Die Bergers sind ein eingespieltes Team. Vor 41 Jahren haben sie geheiratet. Rachel Wagner ist seit vier Jahren mit Yitzchak Mendel Wagner verheiratet. »Alles ist nach dem jüdischen Kalender ausgerichtet«, beschreibt sie das Leben an seiner Seite. »Aber sonst ist es wohl wie bei jeder anderen Frau«, meint Rachel Wagner.
Ist es so? Eigentlich ist man versucht, dem zu widersprechen. Übernehmen doch die Frauen der Rabbiner viele Aufgaben, vor denen manche moderne Frau zurückschrecken würde. »Wir haben geheiratet, als mein Mann gerade Rabbiner in Dortmund war«, erzählt Noemi Berger. »Damals hat er die kleineren Gemeinden in der Umgebung mitbetreut.
Jede Woche ist er zum Beispiel nach Krefeld gefahren, um dort Religionsunterricht zu geben«, erzählt Noemi Berger. Gemeinsam zogen sie weiter nach Düsseldorf, Göteborg, Bremen, schließlich Stuttgart. »Ich wusste, was mich erwartet, und habe es vielleicht bewusst gesucht«, überlegt sie.
Mamme Noemi Berger stammt aus einer bedeutenden Rabbinerfamilie, die seit dem 17. Jahrhundert viele berühmte jüdische Persönlichkeiten in ihren Reihen hatte. Sie selbst studierte in Wien Judaistik, ging dann ans »Jews’ College« der Universität von London. »Dort habe ich viel gelernt: tiefes jüdisches und weltliches Wissen.«
Schon im Ferienlager – erinnert sie sich – sei sie mit zwölf Jahren eine kleine jüdische Mamme gewesen. »Alle Mädchen sind zu mir gekommen, ich habe sie getröstet.« Als Kind habe sie auch gern an Veranstaltungen oder bei Theaterstücken mitgewirkt und Gedichte auf der Bühne aufgesagt.
Fähigkeiten, die ihr als Rebbetzin noch sehr helfen sollten. Mit dem Umzug ihrer kleinen Familie nach Bremen nahm sie immer mehr Aufgaben in der Gemeinde wahr. Ihr Engagement machte auch vor den eigenen vier Wänden nicht halt. »Das Gemeindeleben fand häufig bei uns zu Hause statt.« Kaum ein Schabbat verging, an dem ihr Mann keine Gäste mitbrachte. Für viele Gemeindemitglieder war der Kontakt zur Rebbetzin wichtig, sodass sie immer wieder Rat bei ihr suchten.
»Als die Kinder älter wurden, zogen wir nach Stuttgart in eine größere Gemeinde«, erzählt sie weiter. Dort gründete Noemi Berger die Women’s International Zionist Organisation Stuttgart und vor allem den berühmten WIZO-Basar. »Um den Kontakt zu teils recht prominenten Mitgliedern des Freundeskreises zu halten, habe ich manchmal bis tief in die Nacht Briefe an die Sponsoren geschrieben.«
Gemeinsamkeiten Als Arbeit im herkömmlichen Sinne wolle sie das aber nicht verstehen. »Denn das, was wir machten, haben wir einfach aus gemeinsamen Interessen unternommen.« Dabei übernahm Joel Berger die geistliche Seite mit dem Religionsunterricht und der theoretischen Vorbereitung auf die Feiertage. Noemi Berger war für das Praktische zuständig. Zusammen mit den Lehrern und Eltern bereitete sie für die Kinder und Jugendlichen die Veranstaltungen, Spiel und Ausflüge, passend zu den Feiertagen, vor. »Es war eine Symbiose.«
Seit Jahrzehnten sitzt Noemi bei seinen Vorträgen in der ersten Reihe, um auf Wunsch ihres Mannes nach 50 Minuten ein unauffälliges Zeichen zu geben, damit er zum Ende kommt. »Und dann sagt er immer laut: ›Aha, meine Frau guckt auf die Uhr, ich sollte aufhören.‹ Zu Anfang wurde ich noch rot, weil mich dann alle Leute angeschaut haben. Aber das hat sich schnell gelegt.«
kochbuch Mit den Jahren war sie nicht mehr die Frau eines Rabbiners, sondern Joel der Mann der Rebbetzin. Noemi Berger ist Preisträgerin der Otto-Hirsch-Medaille, wurde für die Gründung der WIZO mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet – und schrieb ein Kochbuch. Der Anstoß dazu kam vor allem von nichtjüdischen Freunden, die die Bergersche Küche besonders liebten.
»Als er in Ruhestand ging, habe ich auch aufgehört. Wir haben ja alle Projekte gemeinsam gemacht, ohne den anderen funktionierte nichts.« Heute ist der Landesrabbiner a.D. Mitglied im Rundfunkrat, arbeitet für die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, gibt Religionsunterricht und macht Radiosendungen. »Und ich«, sagt Noemi Berger, »bin fast immer dabei.«
Als Joel und Noemi Berger nach Stuttgart kamen, wurde Rachel Wagner geboren. »1994 bin ich mit meiner Familie nach Deutschland gekommen, gleich nach Krefeld«, erzählt sie. »Und wenige Tage nach unserer Ankunft war ich schon in der Gemeinde.« Auch wenn sich seit ihrer Heirat mit Rabbiner Mendel Wagner 2007 einiges verändert habe. »Dadurch ist eine gewisse Verantwortung dazugekommen.« Gemeindemitglieder rufen an, fragen nach den passenden Gebeten zu einem bestimmten Feiertag. »Und manchmal auch nur nach einem Kochrezept.«
Durch den Kontakt zu den Menschen in der Gemeinde, lerne sie selbst jeden Tag, erzählt Rachel Wagner. »Am Anfang habe ich mich gefühlt wie beim Schwimmen. Man wird einfach ins Wasser geworfen. Eine Gewöhnungsphase gibt es für Rabbinerfrauen nicht.«
Heute vermittelt Rachel Wagner in der Gemeinde Grundschulkindern das Judentum, unterrichtet Frauen, bereitet mit ihnen den Kiddusch vor, organisiert Treffen und Veranstaltungen. »Bald wird die Mikwe fertiggestellt, dann gibt es für mich wieder viel zu tun. Trotzdem betrachte ich das alles als Teamarbeit mit meinem Mann. Was wir auch machen, es geht immer in die gleiche Richtung.«