Es ist eine kleine Sensation: Seit ihrer Gründung vor 27 Jahren hat die Max-Liebermann-Gesellschaft eine Kunstsammlung aufgebaut, die mittlerweile etwa 200 Werke umfasst. Bis heute erhält die Liebermann-Villa am Wannsee großzügige Schenkungen und Dauerleihgaben, die die Sammlung und Dauerpräsentation entscheidend bereichern. In einer kleinen, feinen Ausstellung werden nun die aktuellen Neuzugänge vorgestellt.
»Wir wollten zeigen, was Neues an Schriften, Gemälden und Zeichnungen von Max Liebermann dazugekommen ist«, sagt Direktorin Lucy Wasensteiner. Auch die Entstehungsgeschichten werden beleuchtet. So wird gezeigt, welche Wege diese Bilder zurücklegen mussten, bis sie in der Colomierstraße in Berlin-Wannsee ankamen.
»Blick auf den Wannseegarten nach Osten« heißt die Sommeridylle, die Liebermann 1921 angefertigt hat. Es gelangte erst vor wenigen Monaten in das Haus, denn es galt 100 Jahre lang als verschollen. 1923 war es noch in München ausgestellt worden, wurde noch in einem Buch dokumentiert, bis die Spur sich verlor.
SCHREIBFEHLER Grund dafür war ein Schreibfehler im Namen des Besitzers, es gehört zur Sammlung Jöns Lahmann. Heute ist es im Besitz einer Gruppe von Geschwistern, die es zur Verfügung stellen. Ein anderes Bild zeigt den Liebermannschen Garten mit Bohnenspalier und Beeten voller Kohlpflanzen. »Da ist die Familie auf uns zugekommen, worüber wir uns natürlich sehr gefreut haben«, sagt Wasensteiner. Entstanden ist das Bild nach dem Ersten Weltkrieg – es hält die Idee der Selbstversorgung fest.
1948 erwarb ein Botschafter aus England privat das Bild mit der Seestraße. Es spiegelt einen unbeschwerten Sommertag am Wannsee wider. Der Botschafter ließ es in seinen Büroräumen aufhängen, konnte sich aber nur kurz an dem Werk erfreuen, denn er verunglückte tödlich beim Segeln auf dem Wannsee. 60 Jahre blieb es dort an seinem Ort, keiner erinnerte sich mehr an seine Geschichte. Auch in den Inventarlisten wurde es nicht registriert. Schließlich wurde es der Villa geschenkt.
Die Lithografie »Den Müttern der Zwölftausend« von 1924 wurde für den Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten entworfen.
Ein weiteres Objekt der Schau ist die Kreidezeichnung »Klagende«. Die um 1923 entstandene Papierarbeit kam 2018 zusammen mit zwei weiteren Werken, die ebenfalls Teil der Ausstellung sind, als Schenkung ins Museum. Dabei handelt es sich um eine Vorstudie für Liebermanns Lithografie »Den Müttern der Zwölftausend« von 1924.
Das Blatt wurde für den Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten entworfen, der 1919 als Reaktion auf den zunehmenden Antisemitismus gegründet wurde. »Laut Recherchen zu jüdischen Organisationen der Zeit sind im Ersten Weltkrieg 12.000 jüdische Soldaten für Deutschland gefallen. Mit diesem Gedenkblatt traten Liebermann und der Reichsbund den wachsenden antisemitischen Strömungen entgegen«, so Lucy Wasensteiner.
MENÜ Auch die Menükarte des Festessens zu Max Liebermanns 80. Geburtstag aus dem Privatbesitz Martha Liebermanns wird gezeigt. Die gedruckte Karte entstand 1927 nach einer Zeichnung von Max Slevogt und wurde mit Unterschriften, Widmungen sowie Glückwünschen einiger Festtagsgäste für Martha Liebermann versehen. Nach Liebermanns Tod ging das Blatt verloren, bis es 80 Jahre später – nach einer Einigung mit Liebermanns Erben 2021 – als Schenkung zurück zum Wannsee kam und der Öffentlichkeit jetzt erstmals gezeigt wird.
Zuletzt ist dank einer großzügigen privaten Schenkung die 1904 von Max Liebermann angefertigte Ölstudie »Bildnis Dr. Wilhelm Bode« in die Sammlung gekommen. »Das Porträt des damaligen Direktors des Kaiser-Friedrich-Museums dokumentiert Liebermanns Rolle als anerkannter und gefragter Porträtmaler zu Beginn des 20. Jahrhunderts, von dem sich zahlreiche Persönlichkeiten aus Kunst, Politik und Industrie darstellen ließen«, sagt die Direktorin. Die Endfassung befindet sich heute im Besitz der Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin.
Bode und Liebermann hatten sich bei einem gemeinsamen Zeichenkurs kennengelernt. Bode hatte den Maler 1904 gebeten, ihn zu porträtieren.
»Bode war mit vielen jüdischen Mäzenen und Künstlern befreundet, dennoch äußerte er sich antisemitisch«, sagt Wasensteiner. Die vielseitige Persönlichkeit Bodes verkörpere die inneren Widersprüche seiner Zeit.
Das Porträt des damaligen Direktors des Kaiser-Friedrich-Museums dokumentiert Liebermanns Rolle als anerkannter und gefragter Porträtmaler.
Ähnlich verhält es sich beim Gynäkologen Walter Stoeckel (1871–1961), der ebenfalls von Liebermann mit einer Radierung porträtiert wurde. »Obwohl Stoeckel kein glühender Nationalsozialist war, hat er die bevölkerungspolitischen Ziele des NS-Regimes ausdrücklich begrüßt und 1933 aktiv die Gleichschaltung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe betrieben«, so das Ergebnis der Charité-Forschungen.
ABZUG Außergewöhnlich ist auch die Geschichte, wie der Druck zurückkam. Jeder seiner damaligen Studenten erhielt einen Abzug der Liebermann-Druckgrafik. Einer war der Arzt Siegfried Ernst, der in seine Heimat nach Rumänien zurückkehrte. Mit dabei hatte er das Porträt. Sein Sohn erbte das Blatt, konnte es nach Deutschland zurückbringen und schenkte es dem Haus.
Interessant zu verfolgen sind auch die Werke, in denen der Maler seine Familie skizziert. Sich selbst malte er mit auf die Bilder – mal mit Dienstmädchen und Dackel, mal nur die nächsten Verwandten. »Man sieht, wie er älter wird«, sagt Lucy Wasensteiner. Waren am Anfang seine Haare noch dunkler, wurden sie mit der Zeit auf den Gemälden grau.