Die Neuwahl-Initiative von Gegnern des amtierenden Vorstands in der tief zerstrittenen Berliner Jüdischen Gemeinde droht zu scheitern. Hintergrund sind Zweifel des Präsidiums der Repräsentantenversammlung an der Gültigkeit einiger abgegebener Stimmen von Gemeindemitgliedern.
Bei einer Vorprüfung der 1904 eingereichten Unterschriften für ein Neuwahlbegehren seien bereits 76 aufgrund von Todesfällen, Austritten oder Wohnortwechsel als ungültig aussortiert worden, sagte der Vorsitzende der Repräsentantenversammlung, Michael Rosenzweig, am Mittwochabend in Berlin. Bei weiteren 22 gebe es Unklarheiten in Bezug auf Namen und Adresse. Telefonische Stichproben bei 60 Unterzeichnern hätten zudem ergeben, dass elf von ihnen von einer Unterschrift nichts wussten.
Um mögliche Fälschungen und Missbrauch auszuschließen, hat die Gemeinde am Mittwoch noch einmal an 1833 der Unterzeichner ein Formular verschickt, mit der Bitte, ihr Votum per Unterschrift erneut zu bestätigen. Die Schreiben müssen bis zum 6. Februar an die Gemeinde zurückgesandt werden. Um das Neuwahlbegehren nicht gleich chancenlos werden zu lassen, seien auch die 33 Zweifelsfälle angeschrieben worden, sagte Rosenzweig. Er sieht darin eine Geste des guten Willens. »Theoretisch hätten wir diese schon aussortieren können.«
Generalverdacht Rechtsanwalt Micha Guttmann von der Neuwahl-Initiative sagte der Jüdischen Allgemeinen in einer ersten Stellungnahme: »Ich kann das Vorgehen nicht akzeptieren. Wir haben 1904 unterschriebene Anträge für Neuwahlen eingereicht, nun sollen 1833 Gemeindemitglieder bis zum 6. Februar zurückschreiben, dass sie diesen wirklich unterschrieben haben. Das kann nicht wahr sein.«
Gemeindemitglieder würden unter Generalverdacht gestellt und aufgefordert, noch einmal abzustimmen. »Das ist in meinen Augen rechtswidrig, und wir von der Neuwahl-Initiative werden das nicht hinnehmen. Wir fühlen uns im Recht und wollen uns für die Mitglieder weiterhin einsetzen. In den nächsten Tagen wird sich zeigen, was wir unternehmen können, um nun auch zu unserem Recht zu kommen«, sagte Guttmann.
schiedsausschuss Sergey Lagodinsky nannte das Vorgehen der Gemeinde »eine rechtliche Perversion«. »Die Überprüfung der Unterschriften dient alleine dem Zwecke der Legitimation. Sie ist nicht dafür da, um eine nachträgliche Diskussion anzuregen oder um nochmalige Bestätigung zu bitten. Es gilt der Zeitpunkt, an dem die Unterschriften der unzufriedenen Gemeindemitglieder eingereicht worden sind.« Leider gebe es keine gerichtliche Organe wie einen Schiedsausschuss mehr, »die über diesen Fall urteilen können«.
Benno Bleiberg, der von den Anträgen für die Neuwahl-Initiative notariell beglaubigte Fotokopien gefertigt hat, kommentierte die Ankündigung der Gemeinde: »Diese Art der Überprüfung ist nicht vorgesehen, und sie ist auch nicht rechtens.« Wenn nun an 1833 Mitglieder Briefe verschickt werden, mit der Aufforderung, noch einmal mitzuteilen, dass sie wirklich unterschrieben haben – so müssten sie das nicht tun. »Es gibt keine Verpflichtung zu antworten.«
Allerdings heißt es in dem Schreiben, das am Donnerstag bei den Gemeindemitgliedern in den Briefkästen liegen soll, dass ihre Stimme nur nach nochmaliger Unterschrift gezählt werde. Laut Benno Bleiberg sollte man sich die Energie, den juristischen Weg einzuschlagen, sparen und dann lieber in die Gründungsphase einer neuen Gemeinde gehen.
Polster Für einen Erfolg der Neuwahl-Initiative müssen 20 Prozent der 9122 wahlberechtigten Mitglieder von Deutschlands größter jüdischer Einheitsgemeinde zustimmen. Das wären 1824 der Wahlberechtigten. Die Opposition hatte am 16. Dezember vergangenen Jahres 1904 Unterschriften eingereicht – auch um ein Polster zu haben. Dieses Polster ist nun nach der Prüfung durch den Vorsitzenden der Repräsentantenversammlung auf sechs Stimmen zusammengeschmolzen. Wenn nicht alle der Angeschriebenen in den kommenden zwei Wochen die Formulare an die Gemeinde zurücksenden, ist das Neuwahlbegehren damit relativ sicher gescheitert.
Die Initiatoren werfen dem amtierenden Gemeindevorstand um den 41-jährigen Betriebswirt Gideon Joffe Missmanagement, undurchsichtige Entscheidungen und Konzeptionslosigkeit vor. Er habe die stark verschuldete Gemeinde in immer größere existenzielle Bedrängnis gebracht und isoliert, heißt es. epd/cs/kat