Ein Minjan war es nicht ganz, aber das sieht das deutsche Vereinsrecht zum Glück auch nicht vor: Gemeinsam mit acht Freunden gründete Wolfgang S. H. Meyer im Jahr 1965 den Turn- und Sportverein Makkabi Frankfurt. Und er ist der Einzige, der noch davon berichten kann: »Alle anderen sind mittlerweile gestorben«, sagt Meyer lakonisch und zuckt seufzend mit den Schultern. »Bald hab’ ich mehr Freunde unter als über der Erde.«
Auch von den Anfängen bei Makkabi erzählt der 86-Jährige ohne Pathos: »Das war keine große Sache. Wir haben damals als Freunde oft zusammengesessen. Irgendwann haben wir uns überlegt, dass wir einen Sportverein brauchen – und dann haben wir es einfach gemacht.« Sport, das ist für Meyer, einen passionierten Fan von Eintracht Frankfurt, in erster Linie Fußball.
Insofern überrascht es nicht, dass der junge Verein Makkabi Frankfurt auch mit dieser Sportart startete. Mit einem eigenen Fußballplatz auf dem Dachsberg, kaum antisemitischen Erlebnissen – es gehörten von Anfang an Nichtjuden zum Verein –, aber stets von dem Spruch begleitet, dass wir »der reiche jüdische Sportverein« sind.
Eigener Platz »Aber«, so räumt Meyer ein, »das waren wir im Vergleich zu anderen auch« – mit eigenem Platz und »tollen Trainern«, wie etwa István Sztani von der Eintracht. »Wir sind sogar zwei- oder dreimal aufgestiegen«, erinnert sich Meyer mit leuchtenden Augen. Sein Verdienst sei der sportliche Erfolg aber nicht gewesen: »Ich habe eher mittelprächtig gespielt.«
Eine eigene Arena hat Makkabi Frankfurt längst nicht mehr. »Wir mussten den Platz verkaufen, weil die Stadt eine Straße gebaut hat«, ärgert sich Meyer noch heute. Schließlich sei das oftmals löchrige – und nicht vereinseigene – Gelände auf der Bertramswiese kein gleichwertiger Ersatz.
Ob Meyer, der auch 40 Jahre lang im Gemeinderat der Jüdischen Gemeinde Frankfurt saß, stolz auf die Gründung von Makkabi ist? Zumindest gibt er sich sehr bescheiden. Ganz anders ist das, wenn er von den Leistungen seines Sohnes Alon schwärmt: Der habe »die Mitgliederzahl von 400 auf über 1000 gebracht« und sei nun als Präsident von Makkabi Deutschland maßgeblich für die European Maccabi Games in Berlin mitverantwortlich. Dass es diese Spiele Ende Juli bis Anfang August in Berlin geben wird, gibt Meyer »ein gutes Gefühl«.
Vorhersehbar war das nicht. Im Dezember 1928 in Berlin geboren, wanderte Meyer 1936 mit seinen Eltern nach Palästina aus. Seine »erste Mutter«, wie er sie nennt, war im Kindbett gestorben. Eine besondere Tragik: »Mein Vater war Gynäkologe, hatte meine Geburt und die Nachsorge aber aus Unsicherheit einem Kollegen überlassen«, erzählt Meyer. 1939 reiste Meyers Vater, ein »glühender Zionist«, zurück nach Deutschland, um seine drei Brüder ebenfalls zur Auswanderung zu bewegen. Einer von ihnen folgte ihm, die anderen beiden blieben und kamen im Holocaust um. Ebenso die Eltern seiner leiblichen Mutter. Die Eltern seiner Stiefmutter wurden nach Theresienstadt deportiert, aber überlebten das Nazi-Regime.
An das Deutschland seiner Kindheit hat Meyer im Prinzip keine schlechten Erinnerungen. Lediglich einmal, als Siebenjähriger, habe er Antisemitismus am eigenen Leib erfahren: »Ich habe einen Fremden nach dem Weg gefragt. Doch anstatt mir zu sagen, wo ich lang muss, wollte er wissen, ob ich Jude sei. Ich habe bejaht und dann statt einer Auskunft eine Ohrfeige bekommen.«
Studium 1958 führte Meyers Weg nach einer Zwischenstation in New York von Israel nach Frankfurt. Der Grund: Meyer studierte Pharmazie, hatte sich aber mit seinem Chemieprofessor verkracht, der ihm angekündigt hatte, er werde ihm nie die Abschlussprüfung abnehmen. Also studierte er in Frankfurt weiter. »Das war kein Problem, wir hatten zu Hause immer Deutsch gesprochen, und ich bin nicht der Mensch, der sich allein fühlt.«
Nach dem Studium wollte Meyer zurück nach Israel, konnte aber einem Jobangebot der Hoechst AG nicht widerstehen. 26 Jahre hat er dort gearbeitet, »ohne dass ich als Jude jemals Schwierigkeiten gehabt hätte«. Eines freilich merkte er in den vielen Jahren: »dass die Pharmazie nicht so mein Beruf war«. Deswegen sei er dann ins Immobiliengeschäft eingestiegen – und seine drei Söhne sind ihm gefolgt, einer von ihnen lebt und arbeitet in Israel.
Palästina »Als wir nach Palästina ausgewandert sind, gab es dort 300.000 Juden. Jetzt sind es 6,5 Millionen«, sagt Meyer und lässt ein wenig vom zionistischen Geist seines Vaters – »er war ein Freund von Zeev Jabotinsky« – aufflackern. Selbst will er aber niemanden von der Auswanderung überzeugen: »Wenn man die Juden irgendwo auf der Welt rausschmeißt, gehen sie von allein nach Israel. Man muss sie nicht überreden.«
Mit seinem Leben in Frankfurt ist Meyer zufrieden, bis auf die Tatsache, dass er aus Altersgründen kein Auto mehr hat. »Ich habe von drei Söhnen zehn Enkelkinder bekommen, das ist schon etwas Besonderes.« Zudem versteht er sich mit seinen Sprösslingen sehr gut. Langweilig ist ihm auch nicht, weil er noch für die Häuser seiner Familie »die Verwaltung und die Steuer« macht. »Ich gehe spät ins Bett, stehe spät auf, gehe zur Eintracht, singe jede Woche im Chor und spiele regelmäßig Poker.« Für die Zukunft wünscht sich Meyer »Gesundheit, den Rest habe ich«. Und für Makkabi? »Gedeihen. Und vielleicht noch einmal einen Aufstieg.«
Info
Die Maccabi World Union
wurde 1921 auf dem Zionistischen Kongress in Karlsbad gegründet. Bei der letzten Maccabiah vor dem Holocaust, 1935 im Mandatsgebiet Palästina, nutzten viele der Teilnehmer die Chance, um im Land zu bleiben. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam der Sportgedanke in den DP-Camps schnell wieder auf. 1965 wurde Makkabi Deutschland gegründet und daneben auch die Ortsvereine München und Frankfurt am Main.