Berlin

Neuer Blick

Der junge Mann rudert im Boot über den See. Sein Blick schweift in die Ferne – er sieht auf dem Foto optimistisch aus, und man merkt Hugo-Kurt Chotzen seine Kraft und Energie an. Jahre später steht er in zerlumpter Zwangsarbeitermontur, aber selbstbewusst an einer Straßenecke in Berlin. Ebenfalls fotografisch dokumentiert. Das Bild klebte er in sein Album und schrieb dazu: »Berlin wird von den Juden gereinigt.«

Familie Treitel hat bei ihren Ausflügen in den Tiergarten oft die Kamera dabei. 1939 klebten sie ihre Passfotos ins Album und fügten hinzu: »Wir wandern aus!« 1936 besucht Edith Schlomann ihre Heimatstadt Swinemünde und den Strand. Sie lässt sich mit einem sogenannten Foto-Eisbären ablichten, einer beliebten Attraktion in Urlaubsorten. Zwei Jahre später darf sie nur noch an einem separaten Abschnitt baden – was sie auch im Bild einfängt.

Das Leben festhalten. Fotoalben jüdischer Familien im Schatten des Holocaust lautet der Titel der Ausstellung, die noch bis zum 22. Dezember im Stadtmuseum Schöneberg zu sehen ist.

»Die meisten erhaltenen und öffentlich gezeigten Fotos aus der Zeit zeigen den Blickwinkel der Tätergesellschaft«, sagt Robert Müller-Stahl, Historiker und Kurator der Ausstellung. Dabei hätten die fotografierten Menschen keinen Einfluss auf die demütigenden Verfolgungs- und Zwangssituationen, bei denen sie abgebildet wurden, gehabt. »Ganz anders ist die Situation bei den privaten Aufnahmen, über die sie selbst bestimmten«, so der Historiker. Diese würden Eindrücke und Lebenssituationen demonstrieren, die bisher kaum Eingang in die öffentliche Wahrnehmung gefunden hätten. Der 32-jährige Wissenschaftler hat mehrere Jahre in Archiven recherchiert, um darüber seine Dissertation zu schreiben.

Zwei Angehörige werden im August kommen, um sich die Ausstellung anzuschauen.

Zusätzlich hat er auch Kontakt zu den Nachfahren der sechs Familien aufgenommen, die in der Ausstellung in den Mittelpunkt gestellt werden. Zwei Angehörige werden im August kommen, um sich die Ausstellung anzuschauen.

Die Schicksale von Harry Blumenthal und Helen Thilo werden vorgestellt, der bekannteste Fotograf und Protagonist dürfte aber Walter Frankenstein sein, der gerade seinen 100. Geburtstag feiern konnte. Er hatte seine Fotos im Grunewald versteckt und später wieder gefunden. Hugo-Kurt Chotzen vertraute sein Album seiner Mutter an, die als Nichtjüdin der Deportation entkam.

»Kein Foto und kein Album einer jüdischen Familie ist einfach so erhalten geblieben«, sagt Müller-Stahl. Ihre Überlieferung sei stets das Resultat einer Rettung. Kamera und Album ermöglichten es den deutschen Jüdinnen und Juden, sich so zu sehen – und sich so zu erinnern –, wie sie selbst es wollten: als deutsche und jüdische Sportbegeisterte, als liebendes Paar, als bürgerliche Familie, als selbstbestimmte Auswandernde.

»Die Dokumente der privaten Erinnerung werden so zu wichtigen Zeugnissen kollektiver jüdischer Geschichte und jüdischen Lebens«, ergänzt Hanna Feesche, die Projektleiterin und Mitarbeiterin des Museums.

Porträt der Woche

Zurück ins Land der Eltern

Liliana Goldstein de Kühne stammt aus Argentinien und folgte ihrer großen Liebe

von Gerhard Haase-Hindenberg  07.09.2024

Frankfurt

Resilienz finden

Der Jewish Women* Empowerment Summit diskutierte über die Folgen des 7. Oktober – und was Einzelnen nun helfen könnte

von Johanna Weiß  07.09.2024

Berlin

Von Generation zu Generation

Am Donnerstag fand in Berlin die feierliche Ordination von zwei Rabbinerinnen sowie sechs Kantorinnen und Kantoren statt. Doch auch der monatelange Streit um die liberale Rabbinatsausbildung in Deutschland lag in der Luft

von Ralf Balke  06.09.2024

München

Schüsse aufs Konsulat: Bayern will Präventionskonzepte prüfen

Für eine Verschärfung des Sicherheitskonzepts des Münchner Oktoberfestes sieht Herrmann hingegen keinen Anlass

 06.09.2024

Kreuzberg

Zu Zondek ans Urban

Im Vivantes-Klinikum zeigt eine Ausstellung sieben Episoden aus dem Leben des einstigen Chefarztes Hermann Zondek

von Katrin Richter  06.09.2024

Neue Potsdamer Synagoge

Am Freitag wird der erste Gottesdienst gefeiert

Nach der feierlichen Eröffnung im Juli soll nun das religiöse Leben in der Synagoge in Potsdam langsam in Gang kommen. Am Wochenende sind erste Gottesdienste geplant

 06.09.2024

Potsdam/Berlin

Neue Stiftung für Ausbildung von Rabbinern nimmt Arbeit auf

Zentralratspräsident Schuster: »Die neue Ausbildung öffnet wichtige internationale Horizonte und Netzwerke innerhalb des liberalen und konservativen Judentums«

von Yvonne Jennerjahn  06.09.2024 Aktualisiert

Medien

»Unsere Zukunft in die Hand nehmen«

Jenny Havemann ist Organisatorin des zweitägigen »Media Tel Aviv – Israeli-European Summit«. Ein Gespräch über die deutsche Israel-Berichterstattung, Objektivität und den 7. Oktober

von Katrin Richter  06.09.2024

München

Rabbiner offerieren »Gemeindepaket«

Mit besonders auf kleine Gemeinden abgestimmten Dienstleistungen will die Europäische Rabbinerkonferenz halachische Standards aufrechterhalten

 05.09.2024