Wenn beinahe ein Dreivierteljahrhundert nach der Zerstörung der Synagogen in Deutschland neues jüdisches Leben blüht, grenzt das an ein Wunder. Für Rottweils Oberbürgermeister Ralf Broß, für den die »Schrecken der Schoa bis heute schmerzlich nachwirken«, ist es »ein Zeichen der Hoffnung« – auch für ein diesmal gelingendes Miteinander: Das neue jüdische Leben in Deutschland biete eine unverhoffte Chance für alle.
Das jüdische Leben im Südwestzipfel Deutschlands feiere eine Renaissance. Es kehrte zurück, als das Ende der Sowjetunion besiegelt war und die Grenzen der einstigen Sowjetstaaten sich öffneten. Damit erst beginnt die Vorgeschichte der jungen jüdischen Gemeinde in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg, die am 15. Dezember 2002 gegründet wurde: einer Gemeinde, die ihre Traditionen erst wiederfinden musste.
Moldawische Rabbinerfamilie In Schwenningen sammelten sich 1997 schon zehn Familien aus der Ukraine um Chana Erlichman, die einer moldawischen Rabbinerfamilie entstammte und die zur »Mutter der Kehilla« wurde. Von den alteingesessenen jüdischen Familien waren nur die Geschwister Annette und Michael Melvin(-Meyer) aus der einst weltberühmten Schramberger Majolika-Fabrik in ihre Heimat zurückgekehrt und Förderer des Neuanfangs.
Tatjana Malafy, von Beginn an Geschäftsführerin der Gemeinde, stammt selbst aus der Ukraine. Vor 15 Jahren kam sie in Rottweil an – »ohne Jiddisch, das zu sprechen verboten war, und ohne Deutsch«. Von tagtäglichen Schwierigkeiten, »neues jüdisches Leben aufzubauen«, weiß sie zu berichten, die anfangs nach Stuttgart, Freiburg oder Konstanz in die Synagoge fahren musste.
Die mittlerweile 260 Mitglieder der Israelitischen Kultusgemeinde verteilen sich auf die drei Landkreise Rottweil, Tuttlingen und Villingen-Schwenningen: eine Verstreuung, die auch für den Gottesdienst eine Herausforderung darstellt. Getreu den Gesetzen zu leben, ist nicht einfach in dieser orthodoxen Gemeinde. Koschere Speisen müssen von weit her geliefert werden, aus Straßburg, bisweilen aus Berlin. An einen eigenen Rabbiner ist noch nicht zu denken. Mit Elena Logunova steht der Gemeinde erneut eine Frau vor; sie hat inzwischen neben einem Kinderchor einen gemischten Synagogenchor aufgebaut.
Dem sozialen Engagement von Tatjana Malafy ist es zu verdanken, dass sich der Sitz der Gemeinde von Schwenningen nach Rottweil verlagerte. Vieles ist jedoch auch heute noch im Stand des Provisoriums, so der Betsaal in der alten Cafeteria des Rottweiler Postamts, der die Ostung des Toraschreins nicht zulässt.
Doch das wird sich bald ändern. Denn die IKG Rottweil/Villingen-Schwenningen macht sich das schönste Geburtstagsgeschenk selbst. Am Rottweiler Nägelesgraben entsteht, nach Plänen des Lörracher Büros Wilhelm Hovenbitzer und Partner und unterstützt vom Landesverband der Israeliten Badens, eine neue Synagoge. Für sie hat der Oberrat 1,8 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt. Die Israelitische Kultusgemeinde muss hingegen die Inneneinrichtung berappen.
Toraeinbringung Dem an Chanukka gefeierten Ölwunder komme es gleich, meint Landesrabbiner Mosche Flomenmann, der zusammen mit den Gästen am 16. Dezember den zehnten Geburtstag der Israelitischen Kultusgemeinde Rottweil/ Villingen-Schwenningen feierte. Zwei Torarollen wurden an diesem Tag vom Landkreis Rottweil sowie von der Familie Viktor und Tatjana Malafy der jüdischen Gemeinde gespendet. Unter dem Baldachin trugen sie singende und tanzende Gemeindemitglieder durch die Stadt und die provisorische Synagoge.
Andreas Huber, der Vorsitzende des Oberrats, ist stolz auf das »Nesthäkchen« im Kreis der jüdischen Gemeinden des Landes. Ihre rasante Entwicklung, so betont er, wäre ohne die IRG Badens »undenkbar«. Bei der Vollendung der Tora stehen die Gemeindemiglieder um den Sofer Aleksandr Hofmann aus Hannover herum, der die letzten Buchstaben für Gäste setzte, die sich um die Tora wie um die Religionsgemeinschaft verdient gemacht haben.