Religiöses Mobbing, Antisemitismus an Schulen, der Einfluss von antisemitischen Rappern auf junge Fans – seit Wochen sind diese Themen wieder einmal allgegenwärtig. Vergangene Woche veranstalteten die Kultusministerkonferenz (KMK) und der Zentralrat der Juden in Deutschland eine gemeinsame Fachtagung zum Thema »Jüdische Geschichte, Religion und Kultur in der Schule«.
Bei der Eröffnung des Treffens sagte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster: »Wenn wir uns die gesellschaftliche Debatte der vergangenen Wochen anschauen, könnte man meinen, wir hätten flugs diese Tagung aus dem Boden gestampft, um auf die aktuellen Fragen zu reagieren.« Tatsächlich aber beschäftigten judenfeindliche Vorfälle, die weite Verbreitung antisemitischer Einstellungen und mangelndes Wissen über das Judentum an Schulen die KMK und den Zentralrat schon lange.
»Mal wird bekannt, dass ein Kind gemobbt wird, nur weil es jüdisch ist. Dann hören wir, dass ein Lehrer von seinen Schülern fordert, ihn morgens mit dem Hitler-Gruß willkommen zu heißen«, zählt Schuster auf. »Dann gibt es Klassen, in denen antisemitische YouTube-Videos der Renner sind und eifrig geteilt werden. Und wir hören auch von jüdischen Lehrern oder Lehrerinnen, die wegen ihrer Religion angegriffen werden und keinen Rückhalt im Lehrerkollegium erhalten. Oder die ihre Identität inzwischen lieber verbergen, so wie es auch jüdische Schüler tun.«
schulalltag Bereits 2016 kam es deshalb zu einer Zusammenarbeit der beiden Institutionen. Damals legten sie eine gemeinsame Erklärung vor, in der sie sich dafür einsetzten, dass »das Judentum in seiner Vielfalt im schulischen Alltag sichtbar wird«, und vereinbarten Schritte »zu einer zukunftsorientierten und authentischen Thematisierung des Judentums in der Schule«. Einer dieser Schritte war das Ausrichten der Fachkonferenz, die nun rund anderthalb Jahre später in der Thüringischen Landesvertretung in Berlin ausgerichtet wurde.
Zur Eröffnung erklärte der Präsident der KMK und Bildungsminister von Thüringen, Helmut Holter (Die Linke): »In der Schule wird das Judentum vor allem in Zusammenhang mit der Schoa thematisiert. Das ist und bleibt unerlässlich. Aber es muss um viel mehr gehen, um die wichtige Rolle des Judentums in der deutschen und europäischen Geschichte und Kultur, um die Vielfalt jüdischen Lebens in unserer heutigen Zeit.«
Biografien Der Publizist und emeritierte Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik schlug mit seinem Vortrag »Wie jüdisch ist das Abendland?« in die gleiche Kerbe. Er stellte fest, dass das Judentum vor allem als Opfer des Holocaust oder Partei im Nahostkonflikt thematisiert werde. Dagegen plädierte Brumlik dafür, das Judentum konsequent als genuinen Teil der europäischen Kultur darzustellen. So schlug er etwa vor, jüdische Persönlichkeiten in den allgemeinen Unterricht zu integrieren, die nicht nur als Täter oder Opfer gesehen würden. Als Beispiele nannte er etwa die jüdische Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim (1859–1936), die jüdische SPD-Bundestagsabgeordnete Jeanette Wolff (1888–1976) und den jüdischen, deutschnationalen Heimatdichter Berthold Auerbach (1812–1882).
Diesem Ansatz, vor allem über Biografien von Prominenten zu gehen, widersprach Marina Chernivsky, die Leiterin des Kompetenzzentrums für Prävention und Empowerment der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). Dadurch könnte der Eindruck vermittelt werden, dass man etwas Herausragendes leisten müsse, um dazuzugehören. Der jüdische Schneider oder Schuster sei aber ebenfalls für den Schulunterricht interessant. Auch Chernivsky plädierte für eine breitere Vermittlung des Judentums in der Schule: »Die Formel ›Je mehr Auschwitz, desto weniger Antisemitismus‹ geht nicht auf.«
Themenbereiche Zu den Vereinbarungen von Kultusministerkonferenz und Zentralrat der Juden zählte auch, dass man brauchbares Lehrmaterial sammeln wolle. Diese Vereinbarung wurde nun umgesetzt. Während der Fachtagung wurde die Webseite www.zentralratderjuden-kmk.de
vorgestellt. Fortan findet sich dort eine kommentierte Materialsammlung, die nach den Themenbereichen »Jüdische Geschichte und Gegenwart«, »Jüdische Religion«, »Antisemitismus« und »Israel« sortiert ist. Neben Lehrmaterialien gibt es auf der Webseite Hinweise auf Begegnungsprogramme, Ideen für außerschulische Projekte, Förderungsmöglichkeiten und didaktische Literatur.
Für die Lehrmaterialien wurden Steckbriefe erstellt. Darin findet man nicht nur Autoren und Erscheinungsjahre, sondern auch eine Zuordnung zur Schulstufe und eine kurze Handreichung, die Form und Inhalt des Lehrmaterials einordnet. Zentralratspräsident Josef Schuster sagte dazu während der Fachtagung: »Wir als jüdische Gemeinschaft brauchen im Kampf gegen Antisemitismus die Unterstützung der gesamten Gesellschaft, der Politik wie der Schulen. Mit gezielter Fortbildung müssen wir die Lehrkräfte zu Stoppt-Antisemitismus-Experten machen.«
Der Bedarf an einer Sammlung von gutem Lehrmaterial wurde auch von der Judaistin und Pädagogin Sara Soussan, die an der Sammlung beteiligt war, unterstrichen. Bei der Sichtung des vorhandenen Materials sei viel Unbrauchbares aufgefallen. So berichtet Sara Soussan etwa von einer 40-seitigen Handreichung für die Primarstufe, die eine Lehreinheit empfahl, in der Schüler den Davidstern tanzen sollten.
Die nun vorgelegte Materialsammlung ist nicht abgeschlossen, sondern soll ständig erweitert werden. Andrea Schwermer, Referentin in der Schulabteilung der KMK, und Shila Erlbaum, Referentin für Bildung des Zentralrats der Juden, wiesen darauf hin, dass insbesondere für die Primarstufe noch viel Material fehle, und betonten, sie würden sich weiterhin über Hinweise freuen.
GESELLSCHAFT Besserer Schulunterricht allein reicht jedoch nicht, um dem Problem beizukommen. Josef Schuster wies darauf hin, dass man es mit einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu tun hat, und fragte: »Warum sollten Lehrer jederzeit souveränere Lösungen parat haben, wenn auch Politiker sprachlos sind?« Marina Chernivsky sagte, die Schule könne nicht alles ausbügeln. Auch in der Erwachsenenbildung sei einiges zu tun.
www.kmk-zentralratderjuden.de/