»Wir waren zu dritt auf der anderen Seite der Synagoge, als es klingelte», berichtet Claire Schaub-Moore, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg. Am Eingang standen die zwei Hausmeister des benachbarten Kulturzentrums PFL, die den an die Synagogentür geworfenen Brandsatz löschen konnten. Zufällig waren sie am vergangenen Freitag in den Mittagsstunden in ihrer Küche und hatten das Feuer entdeckt. «Die beiden wollten uns beruhigen», sagt Schaub-Moore, die bis dahin von dem Anschlag auf die Synagoge gar nichts mitbekommen hatte. Fünf Minuten später war auch die alarmierte Polizei vor Ort.
Jüdische Schülerin am Vortag angegriffen
Mittlerweile wurde bekannt, dass am Tag vor dem Brandanschlag eine jüdische Schülerin auf ihrem Schulweg von zwei jungen Männern festgehalten, bedroht und antisemitisch beschimpft worden war. Das teilte der Sprecher der Polizeiinspektion, Jens Rodiek, mit. Das Mädchen konnte sich befreien und fuhr zu ihrer Schule. Wahrscheinlich sind die jungen Männer wegen der gelben Schleife, die sie trug, auf die Schülerin aufmerksam geworden. Mit der Schleife soll die Erinnerung an die von der Hamas entführten Geiseln wachgehalten werden. Die Eltern erstatteten Anzeige bei der Polizei.
«Die Vorstellung, dass unser Gebäude angegriffen wird, dass jüdisches Leben attackiert wird, ist schrecklich», sagt die Vorsitzende. Aber sie meint auch: «Das Leben geht weiter.» Claire Schaub-Moore verfasste an dem Freitag sofort eine Nachricht an die Mitglieder, die sie in die Gemeinde-WhatsApp-Gruppe stellte. «Die Gemeindemitglieder sollten von ihr und nicht durch die Medien informiert werden, gleichzeitig wollte sie alle beruhigen», lobt die ehemalige Vorsitzende Elisabeth Schlesinger ihre Nachfolgerin. So konnten am Freitag und Samstag die Gottesdienste «normal» stattfinden – nur, dass noch mehr Beter als sonst kamen.
Am Anfang sei man in einem Schock, erst später realisiere man die Gefahr, sagt Rabbinerin Treiger.
Vorstandsmitglied Michael Stahl fuhr noch schneller als geplant zur Synagoge, nachdem die Vorsitzende ihn über den Anschlag informiert hatte. «Die Frage lautet nicht, ob so etwas passiert, sondern wann», sagt er. Was ihn gerührt habe, war die Mahnwache, die am Freitag abgehalten wurde. «Es war super, dass mehrere Hundert Menschen kamen, die uns beschützten.» Es sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, nicht zuzulassen, dass Menschen wegen ihrer Religion oder Herkunft ausgeschlossen würden. «Die Politik steht hinter uns, und auch mit Polizei und Staatsschutz arbeiten wir sehr gut zusammen.»
Alina Treiger, Rabbinerin der Gemeinde, erfuhr ebenfalls über eine WhatsApp-Nachricht von dem Anschlag. «Es ist wichtig, Ruhe zu bewahren.» Am Anfang gerate man in einen Schockzustand, erst mit der Zeit realisiere man immer mehr die bedrohliche Situation. «Die Unterstützung, die wir gerade erfahren, hilft.»
Der ehemalige Vorsitzende Jehuda Wältermann war zu Hause, als er angerufen wurde und so von der Attacke hörte. «Wer überrascht ist, dass es zu so einem Anschlag kam, ist naiv», sagt auch er. Er lasse sich – wie Claire Schaub-Moore – nicht unterkriegen. «Ich bin in einer kleinen Stadt aufgewachsen, da ging man Konflikten nicht immer aus dem Weg.» Er verzichte nicht auf sein jüdisches Leben. Aber der Spruch «Nie wieder ist jetzt» sei für ihn nur noch eine Blase.
Gemeindemitglied Rivka Meyr (Name von der Redaktion geändert) nimmt der Anschlag sehr mit. Sie möchte nicht da leben, wo sie nicht willkommen ist. Man traue sich nicht, eine israelische Flagge zu hissen oder laut jüdische Musik zu hören. «Ich denke, dass wir uns immer verstecken müssen.»
Nach dem Gottesdienst am Samstag fand noch ein Treffen im Garten der Synagoge statt, denn der Vorstand wollte zusammen mit Rabbiner Netanel Olhoeft mit den Mitgliedern über ihre Sorgen und Ängste sprechen. Dazu kamen auch zwei Ehepaare aus einer muslimischen Gemeinde, um ihre Solidarität zu zeigen. «Wegen Ramadan konnten wir ihnen nichts zu essen anbieten, aber wir hatten ein gutes Gespräch», so Elisabeth Schlesinger. Ein Vorsitzender einer weiteren muslimischen Gemeinschaft aus Oldenburg hatte bereits am Freitag wenige Stunden nach dem Anschlag per Mail seine Anteilnahme bekundet.
Solidaritäts-Demo für die Jüdische Gemeinde
«Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg – Demonstration gegen Antisemitismus», so lautete auch der Aufruf des «Bündnisses gegen Antisemitismus und Antizionismus Oldenburg» zu einer Demonstration auf dem Julius-Mosen-Platz in der Innenstadt. Mehrere Hundert Menschen versammelten sich.
Claire Schaub-Moore dankte in einer spontanen Rede für die große Unterstützung, die ihre Gemeinde nach dem Anschlag erfahren habe. «Wir sind schwer beeindruckt von dieser Solidarität», sagte sie. «Wir spüren diese Stärke, und die ist viel größer als das, was vor unserer Tür passiert ist, vor der Synagogentür.»
Der Rückhalt der Stadtgesellschaft spendet allen Mut.
Die Hausmeister seien «Helden», sagte Michael Stahl – «die innerhalb von zwei, drei Minuten genau das gemacht haben, was unsere Zivilgesellschaft braucht: Zivilcourage». Am Montag nahm Elisabeth Schlesinger an der geplanten Veranstaltung des Leo-Trepp-Lehrhauses teil, die diesmal in der Bibliothek der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg abgehalten wurde. «Es gab mehr Teilnehmende als sonst, wahrscheinlich auch, um sich solidarisch mit uns zu zeigen.» Der Rückhalt der Stadtgesellschaft spende allen Mut. «Wir haben großes Glück gehabt, dass die Hausmeister so schnell den Brand löschen konnten und nichts Schlimmeres passierte», so Elisabeth Schlesinger.
Brandspuren sind noch immer an Tür und Mauerwerk zu sehen.
Die Polizei hatte umgehend mit einem Großaufgebot die Fahndung aufgenommen, den flüchtigen Täter aber nicht festnehmen können. Eine Gruppe unter Leitung des Staatsschutzes nahm die Ermittlungen auf. Ein antisemitischer Anschlag werde nicht ausgeschlossen. Bisher gebe es keine neuen Spuren, wie Polizeisprecher Jens Rodiek am Dienstag sagte. Es hätten sich aber mehrere Zeugen gemeldet, deren Aussagen nun ausgewertet würden. Bekannt sei inzwischen, dass bei dem Angriff eine brennbare Flüssigkeit eingesetzt worden ist. Diese werde noch genauer untersucht. Weiterhin geht die Polizei davon aus, dass es sich um einen einzelnen Täter handelt, der den Brandsatz an die Tür der Synagoge geworfen hat. Hierzu gebe es Hinweise, konkreter wird die Polizei nicht. Die Polizei ist nun rund um die Uhr vor Ort.
Bei der Kundgebung am Freitag vor der Synagoge erinnerte ein Sprecher des Bündnisses gegen Antisemitismus und Antizionismus Oldenburg daran, dass der jüdische Friedhof der Stadt zahlreiche Male Ziel von antisemitisch motivierten neonazistischen Angriffen gewesen sei, zuletzt 2015. Im Jahr 2021 sei das Mahnmal für die ermordeten Juden in Oldenburg antisemitisch beschmiert worden.
An der Demo am Sonntag auf dem Julius-Mosen-Platz nahmen neben Vertretern christlicher Institutionen auch Landtagspräsidentin Hanna Naber sowie Oldenburgs Oberbürgermeister Jürgen Krogmann (beide SPD) teil.
«Wir stehen hier für den solidarischen Schutz der Jüdinnen und Juden – in Oldenburg, Niedersachsen und der ganzen Welt. Wir erinnern an unser Versprechen, mit dem die Bundesrepublik gegründet wurde: Nie wieder! Der Schutz jüdischen Lebens ist unser aller Verpflichtung», sagte Naber.