Gut drei Jahre lang hat der Tag für Lotte Hummel mit dem Besuch der Morgenandacht begonnen, so wie es noch weit über die 40er-Jahre hinaus für katholische Kinder üblich war. Der steile Weg zur Kirche von Arberg machte dem Mädchen dabei weniger Probleme als die Sorge, sich durch eine falsche Geste oder eine Unachtsamkeit zu verraten – und damit sich selbst und ihre Beschützerin in tödliche Gefahr zu bringen.
Den Weg legte Charlotte Knobloch, nun unter ihrer richtigen Identität, am 1. Juli dieses Jahres noch einmal zurück, diesmal in einer großen Limousine, angeführt von einer Polizeieskorte. So sehr sich die örtlichen Honoratioren über den Besuch der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG) freuten – für sie war eines klar: Es war nicht ihr Tag, sondern der von Kreszentia, genannt Zenzi, Hummel. Diese Frau hatte dem kleinen jüdischen Mädchen damals das Leben gerettet, wohl wissend, in welche Gefahr sie sich selbst und ihre Familie damit brachte.
ansprache »In einer Situation, in der ein ganzes Land fast ausnahmslos wegschaute, als Juden verfolgt wurden, und den Hilfsbedürftigen feige aus dem Weg ging, bewies sie nicht nur Menschlichkeit, sondern auch großen Mut«, betonte Knobloch in ihrer Ansprache. Pfarrer Reinhard Pasel hatte ihren besonderen Einsatz und ihren starken Charakter bereits zuvor gewürdigt: »Zenzi Hummel ist eine von uns, ein leuchtender Stern, der sie nie sein wollte. Sie war ein guter Mensch.«
Es war keine leichte Entscheidung, im Fall einer Enttarnung drohte allen der Tod.
Kreszentia Hummel war am 31. Januar 1907 in einer Bauernfamilie in Arberg zur Welt gekommen, wo sie am 21. August 2002 auch starb. In Nürnberg arbeitete sie eine Zeit lang als Angestellte im Haushalt des Bruders von Fritz Neuland. Dort hatte sie auch dessen Tochter Charlotte kennengelernt – die beiden verband sofort eine Sympathie, die ein Leben lang andauern sollte. »Sie blieb immer meine Zenzi, die mit mir schäkerte, während wir meinen Onkel Willi in Nürnberg besuchten – lange, bevor sie wieder nach Arberg zurückging«, erzählte Charlotte Knobloch.
Dennoch waren es bange und lange Minuten, ja gefühlte Stunden, für Tochter und Vater, als Letzterer Kreszentia Hummel darum bat, Charlotte bei sich aufzunehmen. Für die Bauersfrau und ihre Familie war es keine leichte Entscheidung, Im Fall einer Enttarnung nämlich hätte ihnen allen der Tod gedroht. Doch, so erzählte die IKG-Präsidentin später, »sie blieb dieselbe Zenzi, die ihr Leben aufs Spiel setzte, damit mein Leben nicht schon im Kindesalter enden musste«.
»bankert« Bei dieser Entscheidung musste Zenzi Hummel aber noch ein persönliches Problem lösen. Im Ort galt die kleine Lotte bald als »Bankert«, als uneheliches Kind der tiefgläubigen Katholikin. Die gesellschaftliche Schande ertrug sie, die religiöse nicht – und sie vertraute sich dem damaligen Ortspfarrer Josef Scheiber an. Er war nun auch eingeweiht, zeigte Verständnis für die Situation und half der kleinen Lotte, in der Kirche alles richtig zu machen, um nicht aufzufallen.
Sie hatten Glück. Mit dem Ende der Nazizeit war das Versteckspiel zu Ende, alle Beteiligten hatten überlebt. Auch die beiden Brüder von Zenzi Hummel waren unversehrt aus dem Krieg zurückgekehrt – ein Anliegen, für das die fromme Frau immer gebetet hatte. Eine weltliche Auszeichnung erhielt sie 2017, als die Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem sie posthum als »Gerechte unter den Völkern« ehrte.
In Arberg waren die Redner der Gedenkstunde am 1. Juli für die Leistung der frommen Frau des Lobes voll, Landrat Jürgen Ludwig ebenso wie der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, Ludwig Spaenle.
Bürgermeister Jürgen Nägelein als Veranstalter bat die Anwesenden anschließend auf den Marktplatz, wo zur Ehrung von Zenzi Hummel eine Bronzeplastik enthüllt wurde. In Arberg soll auf Anregung des emeritierten Professors Armin Scherb in Absprache mit den Gemeindeverantwortlichen ein Gedenk- und Lernort entstehen.
In Arberg waren die Redner der Gedenkstunde am 1. Juli für die Leistung der frommen Frau des Lobes voll.
Kreszentia Hummel steht nun sichtbar vor dem Arberger Torturm, Lernstätte für jeden, der sich mit Geschichte auseinandersetzt und sich der Zukunft stellen will. Das Projekt solle dabei eine Achse von Nürnberg über Arberg nach Hesselberg bilden und so verschiedene Aspekte der einstigen nationalsozialistischen Herrschaft thematisieren.
ausschreibung Mit der Fertigung der Bronzeskulptur der mutigen Kreszentia Hummel wurde nach einer Ausschreibung die Künstlerin Elke Zimmermann beauftragt. Ihr Werk zeigt eine entschlossene Frau, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht, hinter ihr ein Kind, das sie beschützen will. Der entschlossene Gesichtsausdruck spiegelt Mut und Zivilcourage – Symbol zugleich für die Ziele des Lern- und Gedenkorts Arberg und eine Hommage an eine selbstlose Bürgerin.
»Sie blieb stark, für mich«, sagte Charlotte Knobloch, und genau so zeigt die Skulptur auf dem Arberger Marktplatz Kreszentia Hummel. »Gemeinsam mit ihrer Familie rettete sie damals nicht nur ein kleines jüdisches Mädchen aus München, sondern sie zeigte, dass jeder Einzelne es sehr wohl selbst in der Hand hatte, ob er in dieser Situation half oder nicht«, so Knobloch weiter.
»Zenzi stellte sich nicht schützend vor mich, weil ihr das einen unmittelbaren Vorteil brachte. Im Gegenteil. Sie tat es, obwohl das für sie und ihre Liebsten mit größter Gefahr verbunden war – einfach, weil es das Richtige war.«