Ein junger Mann steht im Stau. Er wird immer aggressiver, bis er schließlich in eine Gruppe Jugendlicher hineinfährt, die am Gehsteig wartet. Einer der Jugendlichen wird getötet. Eine junge Frau überlebt schwer verletzt. Die Gruppe war gerade aus dem Tor eines jüdischen Sportvereins gekommen. So beginnt der Kriminalroman Blinde Flecken von Peter Probst, der im Februar bei dtv erschienen ist. Die Vorstellung dieses Buches hat das Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern zum Anlass für eine Podiumsdiskussion zum Thema »Jugendgewalt und Zivilcourage« genommen. Moderiert von Dorothee von Bose sprachen dazu Präsidentin Charlotte Knobloch, Heinz-Peter Mair, Ministerialrat am Bayerischen Justizministerium, Franz Joseph Freisleder, Ärztlicher Direktor der Heckscher Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, sowie der Drehbuchautor und Schriftsteller Peter Probst. Letzterer ist bekannt auch durch den Tatort oder Polizeiruf 110. Als Krimiautor, sagt er, gehört einiges an überspitzten Situationen und ein wenig schriftstellerische Freiheit zu seiner Arbeit.
In Blinde Flecken finden sich aber etliche Elemente, die zumindest beim Münchner Leser Assoziationen an reale Ereignisse wachrufen – wie an den von Jugendlichen zu Tode geprügelten Helfer in der S-Bahn, Dominik Brunner, über das noch rechtzeitig verhinderte Bombenattentat zur Grundsteinlegung des Gemeindezentrums am Jakobsplatz, bis hin zur Lichterkette, die 1992 am 6. Dezember mehr als 400.000 Menschen zu einer friedlichen Demonstration gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus auf die Straße brachten. Der Verein ist noch heute aktiv. Von Bose und Peter Probst zählen zu seinen Mitgliedern. Peter Probst las im Gemeindezentrum einige Kapitel aus seinem Buch, darunter den oben erwähnten Einstieg.
Hass Um den Negativ-Helden Tim Burger entspannt sich dabei nicht nur ein bis zur letzten Seite spannungsgeladener Krimi, sondern vor allem die Entwicklung von Gewalt, die in aggressiver Fremdenfeindlichkeit münden kann. So bleibt am Anfang durchaus offen, ob Burger zielgerichtet junge Juden ermorden will oder ob sich hier ein zunächst wenig definierter Hass entlädt. Von »brennendem Hass« ist im Roman die Rede. »Aber noch«, so Peter Probst, »ist er nicht getrieben von einer rechtsradikalen Ideologie«. Der Jugendpsychiater Freisleder sieht hier zunächst die affektgeladene Situation, die sich immer mehr auflädt. Er kenne durchaus Jugendliche mit einer vergleichbaren Vorgeschichte und entsprechenden Problemen im Elternhaus.
Oft fänden gefährdete Jugendliche Anschluss an Gruppen, in denen sie den Rückhalt zu finden glauben, den sie zu Hause nicht bekommen. Daraus könne eine gefährliche Mixtur entstehen. »Wir müssen darauf achten, dass solche Lebensläufe nicht entstehen beziehungsweise den Jugendlichen die Möglichkeit geben, da wieder rauszukommen.« Auch die Politik müsse auf das Ansteigen rechter Gewaltkriminalität reagieren, forderte Heinz-Peter Mair und erinnerte an den Fall des Passauer Polizeichefs Alois Mannichl. Eine wichtige Aufgabe hätten auch die Schulen. Hier müsse Aufklärung stattfinden. Und hier könne und solle auch erkannt werden, wie ein Jugendlicher sich verändere.
Szene Auf ein Miteinander und gegenseitige Achtung müsse man man schon so früh wie möglich bei Kindern hinarbeiten. »Für mich ist es wichtig, dass die Kinder sich gegenseitig schätzen lernen, dass sie die Achtung vor der anderen Religion bereits im Kindergarten erfahren«, betonte Charlotte Knobloch. Dass ein solches Miteinander möglichst früh beginnen muss, wie dies auch Freisleder betont hatte, unterstrich die Präsidentin an einem Beispiel: Hauptschullehrer aus einer Schule im Münchner Norden mit einem großen Anteil moslemischer Jugendlicher hätten sich an sie gewandt mit der Frage, wie sie sich beim Unterrichtsthema Juden und Israel verhalten sollten. Dass gerade hier ein Potenzial an hasserfüllten jungen Menschen zu finden sei, dürfe man nicht unterschätzen, mahnte Knobloch.
Der Kriminalroman von Peter Probst brachte noch weitere Themen auf den Tisch: Der Ermittler Schwarz erhielt den Auftrag, herauszufinden, ob Tim Burger der rechtsextremen Szene zugehöre. Denn seine vorzeitige Entlassung stand bevor. In der Diskussion begegneten sich auch hierzu wieder Roman und Realität. Heinz-Peter Mair vom Justizministerium unterstrich, dass im Vollzug eine Gruppenbildung zu vermeiden gesucht wird, sofern man rechtsextremistische Motive bemerkt. Wesentlich schwieriger wog nicht nur bei der Diskussions- runde, sondern mit Blick auf den Alltag das Erkennen von Rechten. Längst träten sie nicht mehr nur in Springerstiefeln auf. »Nazis in Nadelstreifen« würden nicht mehr so leicht erkannt und seien zudem viel gefährlicher, weil sie die Gesellschaft beeinflussen und beherrschen könnten.
Konflikt Den Schlusspunkt der Diskussion schließlich beherrschte das Thema Zivilcourage. Charlotte Knobloch erinnerte dabei an die mutigen Menschen, die sie als Kind während der Nazizeit aufgenommen hatte »mit dem ganzen Bewusstsein meiner Herkunft und der ungewissen Zukunft«. Doch Zivilcourage, so fuhr sie fort, könne auch schon im ganz Kleinen beginnen. Keiner müsse zum Nahkämpfer werden und sein Leben riskieren. Man könne Zivilcourage lernen und trainieren. Das fängt mit dem Mut, Nein zu sagen, an. Auf die Frage, ob Jugendliche selbst heute noch couragiert seien, unterstrich Freisleder: »Wenn wir nur auf die negativen Seiten achten, tun wir den Jugendlichen keinen Gefallen.« Er verwies auf das Schulstreitschlichter-Modell in Aschaffenburg. Da Aggression nicht nur negativ ist, könnten die mit Konflikten verbundenen Gefühle auch konstruktiv genutzt werden.
Hemmschwelle In dem Modell versuchen Schüler die Konfliktbewältigung ohne Gewalt, sondern mit einer Art interner »Gerichtsverhandlung«. Freisleder betonte zudem, dass man nicht pauschal sagen könne, die Jugend sei gewaltbereiter und die Hemmschwelle niedriger geworden. Einig war man sich auf dem Podium auch darin, dass die Berichterstattung in den Medien über Gewalttäter nicht immer positive Wirkung habe. Knobloch warnte diesbezüglich auch vor »Trittbrettfahrern«. Es solle mehr an die Opfer gedacht werden. Diese sollten auch im Mittelpunkt stehen, wenn es um couragierten Einsatz bei Zwischenfällen ginge. Nicht dem Täter dürfe hier die Aufmerksamkeit zukommen, sondern dem Gefährdeten, formulierte es Dorothee von Bose in ihrem Schlusswort.