Portrait der Woche

Musikalisches Erbe

Möchte die Tradition jüdischer Musikerinnen und Musiker fortsetzen: Emanuel Meshvinski (22) studiert an der Hamburger Musikhochschule. Foto: Heike Linde-Lembke

Ich liebe Klangfarben. Und ich möchte Brücken bauen zwischen der Tradition und der Moderne, den alten Meistern und meiner Generation, von Klassik über Jazz und Pop bis zur elektronischen Musik – und aus all diesem möchte ich meinen eigenen Kompositionsstil formen. Denn – jetzt folgt ein großer Satz – die Musik ist mein Leben!

Für mich sind, aber das gilt wohl für alle Menschen, meine Ziele im Leben besonders wichtig. Ich investiere gern Zeit und Energie, um sie zu erreichen. Meine Arbeit spielt eine große Rolle, denn sie ermöglicht mir, selbstbestimmt zu leben und unabhängig zu sein. Aber Berufsmusiker, fest angestellt in einem großen Orchester, das war für mich nie erstrebenswert.

Gleichzeitig sind mir Auszeiten wichtig, weg vom Schreibtisch, weg von Formularen, um etwa Fördergeld für Konzerte zu beantragen. Ich reise gern, beispielsweise nach Israel, wo ich auch schon Konzerte gegeben habe, nach Paris, Italien, Griechenland, Spanien. Ich möchte Zeit mit Freunden verbringen, kreativ sein und auch dadurch den Kopf freibekommen für meine Musik.

Das Jewish Chamber Orchestra Hamburg hat mein Vater Pjotr Meshvinski sel. A. aufrecht erhalten.

Meine Familie, besonders meine Mutter und meine Tante, sind ein beständiger Rückhalt für mich. Beide sind Musikerinnen, meine Mutter Natalia Alenitsyna ist Geigerin, Tante Anna Alenitsyna-Herber Pianistin. Sie spielen im Jewish Chamber Orchestra Hamburg. Auf meine Familie kann ich zählen. Sie sorgt dafür, dass ich nie allein bin. Am Ende zählt für mich, dass das, was ich tue, anderen Menschen Freude bereitet.
Das Jewish Chamber Orchestra Hamburg hat mein Vater Pjotr Meshvinski sel. A. wiederbelebt. Er war Cellist und hat mit der Neugründung des jüdischen Orchesters an das einstige Jüdische Kammerorchester Hamburg angeknüpft, das vom NS-Regime erst geduldet, dann aber verboten wurde und dessen Mitglieder vertrieben oder ermordet worden sind. Die Neugründung ist meinem Vater gelungen, und auch ich habe als Bratschist gleich bei den ersten Konzerten mitgespielt.

Ich bin sehr stolz auf meinen Vater und führe das Orchester seit seinem Tod 2021 weiter. Ich möchte es ausbauen, Konzerte geben und mit diesen Konzerten all die jüdischen Musikerinnen und Musiker aus der Nazi-Verbannung holen, ihnen Namen und Gesicht und ihren Werken wieder eine Stimme geben. Das ist mir eine Herzensangelegenheit.

Ich nenne unsere Konzerte »Musikalische Stolpersteine«.

Am 9. November haben wir bei unserem musikalisch-literarischen Konzert im Gedenken an die Reichspogromnacht Werke von Hans Krása aufgeführt, den die Nazis im Todeslager Auschwitz ermordeten. Wir spielen auch zeitgenössische Werke und Arrangements, um einen Bogen zur heutigen jüdischen Kultur zu schlagen. Aber auch queere Literatur, beispielsweise von der Transperson Liddy Bacroff, die die Nazis ebenfalls ermordeten, nehmen wir ins Programm.

Am Wochenende gönne ich mir dann bewusst eine Auszeit.

Dafür habe ich das Stück »Die Liebe!« komponiert. Ich nenne unsere Konzerte »Musikalische Stolpersteine«, weil wir stets Werke jüdischer Komponisten spielen.

Besonders schön war, dass wir das Gedenkkonzert an einem historischen Ort geben konnten, im Rolf-Liebermann-Studio des NDR an der Oberstraße in Hamburg. Wir haben es um 19.38 Uhr beginnen lassen und so schon mit der Uhrzeit an die Reichspogromnacht erinnert. Auch das Rolf-Liebermann-Studio wählten wir bewusst, denn vor der Schoa war es das Gebäude des Israelitischen Tempels der einstigen jüdischen Tempel-Gemeinde in Hamburg, von der das liberale Judentum in alle Welt ging.
Die Besetzung des Orchesters ist heute international, und wir möchten auch international auftreten, daher habe ich den ehemaligen Orchesternamen ins Englische übersetzt. Der Grundtenor aber ist und bleibt jüdisch.

Ich komme aus einer jüdischen Streicher-Familie. Mein Großvater war Cellist am berühmten Petersburger Mariinski-Theater, mein Urgroßvater war Solo-Cellist im Opernhaus von Odessa, wo dank jüdischer Musiker das Musikleben einst blühte. Mein Vater kam 1991 als sogenannter Kontingentflüchtling aus Russland nach Hamburg, da hatte er gerade sein Cellostudium in Moskau abgeschlossen. Meine Mutter und ihre Schwester folgten ihm. Drei Jahre später, 2002, wurde ich in Hamburg geboren, ich bin ein waschechter Hamburger.

Ich möchte unbedingt die Tradition jüdischer Musikerinnen und Musiker fortsetzen, denn vor 1933 gehörten sie trotz des zunehmenden Antisemitismus zum Musikleben in Europa wie selbstverständlich dazu. Doch im April 1933 erließ das NS-Regime das berüchtigte Berufsbeamtengesetz. Jüdische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter staatlicher und städtischer Einrichtungen wurden entlassen, darunter auch Orchester- und Theatermitglieder. 1935, nach nur vier Konzerten, musste das Jüdische Kammerorchester Hamburg seine Instrumente einpacken – für immer.

Der 7. Oktober hat mich sehr bedrückt, obwohl ich mich aus der Politik raushalten will.

Auch mein Vater hat in der ehemaligen Sowjetunion Ausgrenzung und Verfolgung erlebt. In seinem Pass stand »Jude« – das war dort ein Stigma. Als Junge im damaligen Leningrad, heute wieder St. Petersburg, beschimpften ihn andere Kinder und riefen ihm gehässig »Jud« hinterher.
Nun, angesichts des nach dem Hamas-Massaker auf Südisrael überall auf der Welt rasant zunehmenden Antisemitismus, hoffe ich, dass es uns nicht wieder trifft. Der 7. Oktober hat mich sehr bedrückt, obwohl ich mich aus der Politik raushalten will.

Ich stecke meine Zeit lieber in die Musik und in das Orchester. Unsere Musik soll den Menschen Freude bringen und sie für einen Moment von den Krisen und Kriegen in der Welt ablenken. Ich muss mir jetzt aber leider viel mehr Gedanken über die Sicherheit bei unseren Konzerten machen. Es gibt Leute, die Angst haben zu kommen, und viele meiner Freunde haben schon schlechte Erfahrungen gemacht und wurden bedroht. Zum Glück ist mir das bisher nicht passiert. Ich will solchen Gedanken aber nicht zu viel Raum geben, sondern meine Kraft in meine Musik stecken.

Zurzeit studiere ich an der Hamburger Musikhochschule, an der ich mein Viola- und Kompositionsstudium auch aufgenommen habe. Dann bin ich für einige Jahre an die Hochschule der Künste in Zürich zum Studiengang Komposition für Film, Theater und Medien gegangen. Ich sehe das als Ganzes – Musik und Theater, also Klänge und Texte, sowie Film gehören für mich zusammen. Alles ergänzt sich, unterstützt und inspiriert sich gegenseitig und formt ein großes künstlerisches Ganzes.

Das bedingt natürlich auch, dass es für mich keine Fünftagewoche mit festen Wochenenden gibt, aber das geht wohl allen Kreativen so. Oft finden Konzerte und Projekte am Wochenende statt, und ich nehme mir stattdessen an einem anderen Tag frei. Dadurch bin ich viel mehr auf meine eigene Organisation angewiesen und muss darauf achten, dass ich mir nicht zu viele Projekte auflade – auch wenn das manchmal doch geschieht.

Trotzdem versuche ich, eine Art Wochenrhythmus zu finden, bei dem ich Arbeit und Termine möglichst auf die Wochentage lege. Am Wochenende gönne ich mir dann bewusst eine Auszeit, spiele Fußball und treffe Freunde. In der Woche stehe ich oft früh auf, erledige anstehende Aufgaben, nehme Termine wahr, komponiere, lerne neue Musik und genieße am Abend auch mal ein gutes Essen, gern zu Hause bei der Familie, gutes Essen ist mir wichtig. Und: Ich liebe Kaffee!

Ich lerne gern neue Menschen kennen oder arbeite mit interessanten Leuten an tollen Projekten, auf die ich stolz sein kann. Darüber hinaus hoffe ich, dass wir bald bessere Zeiten erleben – sowohl in Deutschland als auch weltweit – und dass wir Jüdinnen und Juden mit mehr Selbstbewusstsein und weniger Angst durchs Leben gehen können.

Meine Musikerfamilie hat mich schon als kleines Kind geprägt.

Der Antisemitismus wird nicht verschwinden, er war immer da, und wird auch immer da sein, er darf aber nicht gesellschaftsfähig werden.
Meine Musikerfamilie hat mich schon als kleines Kind geprägt und, inspiriert von Filmmusik und Symphonik, habe ich die verschiedensten Musikgenres und -stile entdeckt, habe erst Viola, Komposition und Dirigieren in Hamburg studiert und bin dann nach Zürich gegangen, weil mich als Film- und Theaterkomponist eben die ganz bunten Projekte faszinieren.

Davon habe ich auch schon einige unter anderem mit dem Tonhalle-Orchester Zürich, dem Schweizer Fernsehen und in den Hamburger Kammerspielen umsetzen können. Jetzt freue ich mich auf die Festtage mit Familie und Freunden, sei es Chanukka oder Weihnachten. Wir feiern sehr gern Weihnukka, was diesmal ja sogar auf dieselben Tage fällt. Und ich freue mich auf unser nächstes Konzert, das wir auch dank unseres Fördervereins Shalom Hamburg umsetzen können.

Aufgezeichnet von Heike Linde-Lembke

Chabad-Konferenz für Jugendliche

»Wir schämen uns nicht«: 500 junge Juden am Brandenburger Tor

Stolz zeigen sich die Teilnehmer des Europäischen Jüdischen Jugendkongresses im Herzen Berlins

von Imanuel Marcus  13.12.2024

Berlin

Chanukka-Basar in der Synagoge Pestalozzistraße: Kuchen, koscherer Glühwein und ein Bühnenprogramm

Am Sonntag findet der Basar im Innenhof der Synagoge statt. Es gibt ein vielfältiges Bühnenprogramm. Auch die »The Swinging Hermlins« werden auftreten

von Christine Schmitt  13.12.2024

Hamburg

»Our Turn«: Zentralrat und ZWST veranstalten Jugendkongress 2025

Den Teilnehmern sollen »Methoden, Chancen und Vorbilder« gezeigt werden, mit denen sie sich selbst verwirklichen können sollen

von Imanuel Marcus  11.12.2024

Magdeburg

Sachsen-Anhalt setzt Förderung jüdischer Einrichtungen fort

Die Projektauswahl wird vom Beirat für jüdisches Leben begleitet

 11.12.2024

Interview

»Damit ihr Schicksal nicht vergessen wird«

Die Schauspielerin Uschi Glas setzt sich für die Befreiung der israelischen Geiseln ein. Ein Gespräch über Menschlichkeit, Solidarität und Gegenwind

von Louis Lewitan  11.12.2024

Stuttgart

Opfer eines Schauprozesses

Nach fast drei Jahrzehnten Stillstand wurde nun ein Platz eingeweiht, der Joseph Süß Oppenheimer gewidmet ist

von Brigitte Jähnigen  10.12.2024

Esslingen

Antike Graffiti

Der Künstler Tuvia ben Avraham beschreibt das Judentum anhand uralter Buchstaben – und jeder darf mitmachen

von Valentin Schmid  09.12.2024

Berlin

Campus mit Kita und Café

Noch bis zum 10. Dezember können Architekten ihre Entwürfe für den Neubau an der Synagoge Fraenkelufer einreichen

von Christine Schmitt  09.12.2024

München

Mit Erfahrung zum Erfolg

Die Spieler des Schachklubs der IKG gehören zu den stärksten in Bayern – allen voran Leonid Volshanik

von Vivian Rosen  09.12.2024