An zwei Neujahrsgottesdienste kann sich Mimi Sheffer ganz besonders gut erinnern: als die Kantorin zum ersten Mal in der Westend-Synagoge in New York amtierte und als sie in der neu eröffneten Synagoge Oranienburger Straße den Gottesdienst zu den Hohen Feiertagen gestaltete.
»Ich hatte in New York kurzfristig die Stelle angenommen«, erzählt Mimi Sheffer. »Mit der Musik, den Texten und der Liturgie habe ich gespürt, wie sehr die Liturgie und der Glaube mich aus tieferen Ebenen regelrecht durchdringen«, sagt die Kantorin. Zugleich habe sie diese Empfindung auch etwas überrascht: Schließlich stammt sie aus einer orthodoxen Familie, ist in Israel aufgewachsen und hätte es früher nicht für möglich gehalten, einmal Kantorin zu werden – denn das war damals innerhalb der Orthodoxie keine Option.
premiere Auch das diesjährige Rosch Haschana wird ihr vermutlich lange im Gedächtnis bleiben. Denn Mimi Sheffer hat angeregt, »Sacred Service«, eine jüdische Liturgie des amerikanisch-jüdischen Komponisten David Schiff, im Französischen Dom am Berliner Gendarmenmarkt aufzuführen – erstmalig in Berlin überhaupt. Das jüdische Neujahrskonzert ist einer der Höhepunkte der von ihr organisierten »Jüdischen Musikreihe für Liebhaber und Neugierige«.
David Schiff hat einen durchkomponierten Gottesdienst geschrieben, den das Ensemble um den Organisten Mirlan Kasymaliev uraufführen wird. Unterstützt werden Sheffer und Kasymaliev vom Strelitzer Kammerorchester und dem Kirchenchor St. Laurentius aus dem mecklenburgischen Schönberg, dessen Mitglieder extra dafür Hebräisch gelernt und sich mit den Geboten beschäftigt haben. Kirchenmusikdirektor Christoph David Minke hält als Dirigent alle zusammen.
»Schiffs Werk ist interessant«, beschreibt Mimi Sheffer die liturgische Neujahrsmusik. Denn es biete »viele Klangfarben und interessante Rhythmen« und sei »sehr melodisch und leicht fürs Ohr«. Die liturgische Musik müsse schließlich den Text bedienen, weiß die erfahrene Kantorin – was in diesem Oratorium der Fall sei.
Der amerikanisch-jüdische Komponist Schiff hat überwiegend die Liturgien des Schabbat verarbeitet, von denen nun 60 Minuten uraufgeführt werden. Ergänzt wird sein Werk von bekannten Stücken, die zu den Hohen Feiertagen erklingen. Dass die Musik in einer Kirche und nicht in der Synagoge erklingt, gehört zum Konzept der Reihe.
konzertreihe »Für unsere jüdische Sommerkonzertreihe wollte ich bewusst hinausgehen aus der Synagoge«, sagt Sheffer. Sie hofft, dass so die Berührungsangst niedriger ist, als wenn die Konzerte in der Synagoge erklingen würden.
Ebenfalls erreiche sie so auch ein ganz anderes Publikum. »Auf diese Art und Weise kommen die Zuhörer dem Judentum näher.« Was man kenne, könne man nicht hassen.
Zum Neujahrskonzert hofft Sheffer auf einige Hundert Besucher. Etwa 150 Interessierte seien bei den anderen, etwas kleineren Konzerten, darunter in Brandenburg, ganz Ohr. An zehn verschiedenen Orten konzertieren die Musiker mit unterschiedlichen Programmen. Der Eintritt ist meistens frei, stattdessen wird um Spenden gebeten.
idee Die Idee zu dieser jüdischen Musikreihe kam ihr und dem Konzertorganisten Mirlan Kasymaliev vor zwei Jahren. Beide genossen die sommerliche Atmosphäre. Hinzukam, dass Mimi Sheffer immer wieder gebeten wurde, auch in Berlin häufiger aufzutreten, denn viele Leute wollen sie öfter hören. »Es hat sich also zufällig ergeben, wie alles in meinem Leben«, sagt die Sängerin.
Der Organist stammt aus Kirgistan. Er hat sich vor Jahren von der jüdischen Musik begeistern lassen und arbeitete sich schließlich in die Thematik ein. Organist und Kantorin planten ein paar Konzerte, um zu testen, wie sie ankommen. So entstand schließlich die »Jüdische Musikreihe für Liebhaber und Neugierige«. Anfangs gab es genau zwei Musiker, die sich daran beteiligten: Mimi und Mirlan. Einziges Ziel war, die Kosten zu decken.
In zehn Kirchen in einem Berliner Kiez oder an einem Brandenburger Ausflugsort im Berliner Umland konnten die Zuhörer in diesem Sommer monatlich das »Pulsieren jüdischer Musik« erleben: Hoffnung und Verzweiflung, Freude und Trauer, Empfang der Schabbatbraut oder Tanz mit der Tora. Die Schirmherrschaft übernahm Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung.
werke In diesem Jahr stehen anlässlich des 70. Jahrestags des Kriegsendes Werke jüdischer Komponisten des 20. Jahrhunderts im Mittelpunkt. Die Anzahl der Musiker hat sich dank Sponsoren vervielfacht, denn nun sind neben dem Chor und den Orchestermitgliedern sieben Solisten mit dabei.
Auf dem Programm stehen jüdischer Tango, sefardische Lieder, Synagogalmusik, Orgelklänge sowie Musik von Kurt Weill und den Comedian Harmonists. Mitwirkende sind etwa Erez Ofer, Konzertmeister des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, die Harfenistin Florence Sitruk, Juan Lucas Aizemberg, Bratschist der Deutschen Oper, und die Pianistin Ofra Yitzchaki.
»Ich habe immer viel Spaß an der Musik, aber leider kein Vergnügen an der Büroarbeit«, sagt Mimi Sheffer. Doch durch die Arbeit an der Sommerreihe habe sie viel gelernt, etwa, wie man Fördermittelanträge formuliert, Flyer und Plakate druckt und am Internetauftritt feilt.
Dank der Spenden und der Gründung des Vereins »Kol – Jüdische Musik beleben und erleben« kann sie sich nun sogar die stundenweise Unterstützung einer Assistentin leisten.
rosch haschana An den Hohen Feiertagen wird sie in die Synagoge Pestalozzistraße gehen und ihrem Mann, dem Kantor Isaac Sheffer, zuhören. »Das mache ich immer sehr gerne«, sagt Mimi Sheffer. Ansonsten hofft sie, auch einmal für sich selbst Zeit zu haben, um in Ruhe meditieren zu können.
Vor zwei Jahren wurde kurzfristig ein Dienst abgesagt, und so konnte sie Jom Kippur alleine an einem See verbringen. »Ich habe damals so viel gelernt und bin meinen Fragen nachgegangen«, sagt die Kantorin.
Manchmal fürchtet sie, nicht alles zu schaffen, was sie durcharbeiten will. Umso mehr freut sie sich daher auf die kommenden Neujahrstage und Jom Kippur, den Versöhnungstag: Sie möchte fasten, saubermachen und sich neue Konzepte überlegen. Auch für die Musikreihe.
»Musikalische Vesper: Das (jüdische) Neujahrskonzert mit Mimi Sheffer« findet am 20. September um 16 Uhr im Französischen Dom am Gendarmenmarkt statt. Der Eintritt ist frei. Das letzte Konzert der »Jüdischen Musikreihe für Liebhaber und Neugierige« heißt »In Großvaters Hand«. Es findet am 11. Oktober um 16 Uhr in der Krankenhauskirche im Wuhlgarten in Berlin-Biesdorf statt.