Kooperation

Musik verbindet

Für zwei Konzerte, am 10. Oktober im Jüdischen Gemeindezentrum am Jakobsplatz und eine Woche später im Arkadenhof des Wiener Rathauses, galt nicht nur das Motto »Von Generation zu Generation«, sondern auch die Idee grenzübergreifender Zusammenarbeit.

Den Anstoß dazu hatte Ralf Beste, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Österreich, gegeben, der das Wissen um 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland auch an seinem aktuellen Wirkungsort bewusst machen wollte. Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, seit Jahrzehnten mit Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, bestens bekannt, griff die Idee auf. Gemeinsam mit IKG-Vizepräsidentin Claudia Prutscher, gleichzeitig Vorsitzende der Kulturkommission der Wiener Gemeinde, entwickelte er zur Präsentation von 1700 Jahren jüdisches Leben im deutschsprachigen Raum eine Brücke zwischen Wien und München.

jubiläum Charlotte Knobloch konnte den Münchner IKG-Vorstand dafür begeistern. Und so kam es, dass ein musikalisches Potpourri von der Klassik bis zum Rap den Hubert-Burda-Saal zum Klingen und Swingen brachte. Eine Woche später wurden die Wiener mit einem Jubiläumskonzert unter der Federführung von Roman Grinberg beglückt, das im Finale jeweils alle mitwirkenden Musiker, Chöre und Solisten bei dem Lied »L’dor vador«, das fester Bestandteil der Liturgie ist, zusammenbrachte. Aus Deutschland waren der Münchner Synagogenchor »Schma Kaulenu« unter Leitung von David Rees, begleitet von der Pianistin Luisa Pertsovska, sowie der Rapper Ben Salomo aus Berlin mit dabei.

Geht es in dem Gebetstext »Von Generation zu Generation« darum, die Größe des Schöpfers in alle Ewigkeit anzuerkennen, so vermittelt die dazugehörige melodiöse Komposition von Meir Finkelstein ein Gemeinschaftsgefühl, dem sich niemand unter den Zuhörern entziehen konnte.

Bedeutsam ist auch die politische Dimension dieses Doppelkonzerts.

Bedeutsam ist jedoch auch die politische Dimension dieses Doppelkonzerts. In München trafen Charlotte Knobloch und Oskar Deutsch eine Vereinbarung über eine künftige engere Zusammenarbeit, die in Wien noch einmal nachdrücklich bekräftigt wurde. In Zeiten eines wachsenden Antisemitismus, der sich in ganz Europa abzeichne, sei es notwendig, zusammenzustehen. Eine Partnerin wie Charlotte Knobloch an der Seite zu haben, die einer der aktivsten Gemeinden im deutschsprachigen Raum vorstehe, erschien Oskar Deutsch naheliegend. Für ihn gehört »das Judentum zu Österreich wie die Milch in die Melange«.

Was offenbar weniger bekannt ist, sind die direkten Verbindungslinien zwischen beiden Städten. Nach der Zerstörung der mittelalterlichen jüdischen Gemeinschaft in München 1442 gelang einem kleinen Teil die Flucht Richtung Wien. Umgekehrt verlegte 1723 der Wiener Oberhoffaktor und Bankier Simon Wolf Wertheimer den Schwerpunkt seiner Geschäftstätigkeit von Wien nach München und wurde kurbayerischer Hofjude unter Kurfürst Max Emanuel.

Der Austragungsort des Wiener Konzertes war symbolträchtig der größte der sieben Innenhöfe des Rathauses. Der Hausherr Michael Ludwig, Bürgermeister der Stadt Wien, wies in seinem launigen Grußwort für die Ehrengäste beim Empfang wie auch später vor dem Konzertpub­likum darauf hin, dass man es mit dem Dekret von Kaiser Konstantin aus dem Jahr 321 n.d.Z. durchaus aufnehmen könne. Immerhin habe man mit dem »Halbtuner Amulett«, einem Fund im Burgenland, einen Nachweis jüdischer Kultur bereits aus dem 3. Jahrhundert.

zäsuren Dann aber ging er ernsthaft darauf ein, »welche Vergangenheit wir gemeinsam zu bewältigen haben«, und nannte drei große, für die Juden Wiens leidvolle Zäsuren – das Massaker von 1420/21 unter Albrecht V., die Vertreibung von 1670 unter Leopold I. und das Schicksal der österreichischen Juden nach dem Anschluss 1938. Michael Ludwig ist ganz offensichtlich um ein gutes Einvernehmen mit der IKG Wien bemüht.

Ihm lag es am Herzen, dass kürzlich am Flughafen Schwechat ein Mahnmal, das noch von dem im Januar verstorbenen Universalkünstler Arik Brauer entworfen worden war, realisiert werden konnte – zur Erinnerung an ein Außenlager des KZ-Mauthausen, ebenso wie eine gerade der Öffentlichkeit übergebene Dauerausstellung in der Halle des Wiener Hauptbahnhofs. Sie erinnert an 4200 Juden, die zwischen Dezember 1941 und Februar 1942 nach Riga deportiert wurden und von denen 4087 unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet wurden.

IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch hatte vielerlei Anlass zur Freude. Nicht nur der warmherzige Empfang für die Gäste aus München, darunter Rabbiner Shmuel Aharon Brodman und IKG-Geschäftsführer Steven Guttmann, durch die Spitzen aus Rathaus und IKG Wien trugen dazu bei, sondern auch die Ankunft von Alt-Oberbürgermeister Christian Ude und seiner Frau Edith, die zum Festkonzert extra nach Wien gekommen waren. Für Knobloch sind München und Wien zwei Sterne »am jüdischen Firmament im Süden des deutschsprachigen Raums«.

Ihrem Resümee, dass die Herausforderungen für beide Gemeinden nicht weniger würden, fügte sie den Appell hinzu, dass München und Wien künftig enger zusammenarbeiten sollten. Für diesen Gedanken erntete Charlotte Knobloch großen Applaus: »Unsere Vergangenheit können wir nicht neu schreiben, unsere Zukunft schon!«

Jom Haschoa

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