Töne wie Feenstaub, so leicht und so schimmernd, ein wenig vergänglich vielleicht, ein wenig aber bleibt für immer. Wenn Masha The Rich Man auf der Bühne steht, ihre automatische Harfe umarmt, sich ein bisschen an sie schmiegt, dann ist die Welt für die Dauer eines Liedes woanders. Vielleicht hört sie ja zu, vergisst ihre eigene Schwere und wird von Mashas zerbrechlich-warmer Stimme liebkost, mit der Gewissheit, dass alles wieder gut werden kann.
Im langen roten Kleid, mit einer goldenen Strahlenkrone auf dem Kopf, stand die Sängerin bei der Eröffnung des Jüdischen Filmfestivals Berlin Brandenburg (JFBB) Mitte Juni auf der Bühne des Hans Otto Theaters in Potsdam. Barfuß, die Klänge spüren, das ist Masha The Rich Man. Maria Raykhman ist pragmatisch. Tippt ihre Texte meistens in die Notizen-App im Laptop, manchmal ins Smartphone – »ganz unromantisch«, wie sie erzählt.
Schwarzwald Seit sechs Jahren lebt Masha in Berlin, in dieser Stadt, die sie »schon krass verändert« hat. »Alles ist sehr überladen, man ist überreizt – und gleichzeitig sehr allein mit sich selbst.« Vieles sei temporär. Situationen, Menschen. »Und dann muss man irgendwie wieder alles von Neuem aufbauen. Story of my life.« Ein wenig Übung hat die 28-Jährige darin. Als sie vier war, kam sie mit ihrer Familie aus Kyiv in den Schwarzwald, danach ging es nach München. Jahre, die das junge Mädchen auch heute noch nicht vergessen hat.
»Meine Oma war von Anfang an bei mir und hat immer an mich geglaubt.«
Viele Eindrücke, viele Unternehmungen, eine neue Sprache. »Ich hatte kaum Anschluss an andere Kinder, weil ich nur wenig Deutsch sprach. Im Kindergarten habe ich verstanden, dass die anderen Kinder sehr gemeine Sachen sagten und es witzig fanden, weil sie dachten, ich verstehe nichts. Das war sehr hart.« Irgendwann aber habe ihre beste Freundin sie gefunden. »Sie war ebenfalls ein Kontingentflüchtling und hatte generell einen ähnlichen Hintergrund wie ich.« Freundschaften halten, schlafen ein, vergehen, erfinden sich neu.
liebe Eine Oma allerdings ist die Welt. Sina ist Mashas Großmutter. Sie wird in diesem Jahr 93 und wohnt in ihrem alten Kinderzimmer bei ihren Eltern, erzählt Masha. »Sie ist eine starke, dickköpfige Frau, und es gibt nur wenige Menschen, zu denen ich so eine tiefe Liebe und Dankbarkeit verspüre wie zu ihr.« Immer habe sie an ihre Enkelin geglaubt, sie darin bestärkt zu singen. »Sheyne Ziere« war der Kosename für Masha. Jetzt ist es der Titel des Albums von Masha The Rich Man. Und der Titel des Songs, den sie ihrer Großmutter gewidmet hat. »Sie hat immer an mich geglaubt und hat mich sehr geprägt.«
Sina sei nicht »die typische kleine, liebe Oma. Sie hat es schon in sich. Wirft durchaus auch gern mal mit bissigen Sprüchen um sich und ist dabei einfach wahnsinnig lustig. Sie zieht sich gern bunt an, nimmt roten Lippenstift, hat viele Ketten und Klunker.« Sie singe ständig lauthals – auch mal mitten in der Nacht –, rezitiere Gedichte und werde nie müde, Masha zu erzählen, wie sehr sie sie liebt.
»Alles das verbinde ich mit meiner Oma, mit meiner Kindheit. Meine Oma war von Anfang an bei mir, hat mich in Kyiv aus dem Krankenhaus abgeholt, sich um mich gekümmert. Sie war immer bei uns.« »Ohne all ihre Bestärkungen«, sagt Masha, »hätte ich niemals die Kraft gefunden, meinen gegangenen Weg zu gehen.«
Und den ging sie. Studierte an der Pop-Akademie, lernte zu texten, schöpfte aus ihrem musikalischen Fundus aus der Kindheit wie ihrem Klavierspiel – »wie es sich für gute postsowjetische Kinder gehört, habe ich sehr früh Klavierunterricht bekommen«, erzählt Masha mit erfrischender Selbstironie. »Ich konnte eine Zeit lang auch sehr gut spielen, habe mir dann auch so ein bisschen Gitarre selbst beigebracht. Mich selbst bei Liedern zu begleiten, ist aber immer ein wenig kompliziert, weil ich mich dann schwer voll auf das Lied einlassen kann.« Zufällig sah sie bei der französischen Sängerin Pomme dann die Autoharp. »Nicht nur der Klang hat mir unglaublich gut gefallen, sie ist zudem relativ leicht zu erlernen, und man umarmt sie beim Spielen. Und wenn man das Ohr dabei dran lehnt, spürt man die Schwingung am ganzen Körper. Das ist ein schönes Gefühl.«
LIVE Und das merkt man Masha bei ihren Auftritten an. Noch bevor sie beim JFBB auftrat, war die Wahlberlinerin bei Limmud in Hannover. Für die Künstlerin ein Ausnahme-Erlebnis. »Das Konzert bei Limmud war in einem eher kleinen Rahmen mit spärlicher Technik, aber es war so ein besonderer Auftritt für mich. Ich habe mich so unfassbar verstanden gefühlt. Da war einfach etwas im Raum.« Zwar hätte sie ganz viel erzählt zu den Liedern und zu sich selbst, »aber ich hatte das Gefühl, selbst wenn ich das nicht gemacht hätte, hätten mich alle verstanden. Das hatte ich in dieser Intensität noch nie«.
Etwas ärgert Masha allerdings dann doch: »Ich merke, dass mir so viel Wissen fehlt. Ich möchte mich noch deutlich mehr auskennen, noch mehr Zusammenhänge verstehen, um diese mittel- bis langfristig auch selbst fundiert weitergeben zu können.« Deswegen habe sie sich für den Studiengang »Jüdische Studien« in Potsdam eingeschrieben, schaut sich momentan verstärkt auch bei Hillel um, will die vielen Angebote nutzen. Und was sie will, das schafft Masha – denn sie wirkt so mutig und gefasst, so zielstrebig. Ganz sicher war es Oma Sina, die ihr die Basis für alles gab. Vielleicht hat auch ein ganz klein wenig Berlin dabei geholfen. »Die Masha, die jetzt hier ist, verschließt ihre Augen nicht vor Dingen und geht behutsam mit sich und ihren Gefühlen um. Diese Masha spricht Dinge an, die sie in sich trägt, und schweigt generell nicht, wenn etwas dringend gesagt werden sollte – für sich selbst oder auch mal für die, die gerade nicht für sich sprechen können.«
Die Masha, die singt, performt und ihre Familie in ihren Liedern umarmt oder deren Brüche benennt, die Regina Spektor hört, First Aid Kit, Aurora oder Pomme, die die osteuropäischen Klassiker ihrer Eltern kennt, ist die Stimme ihrer Zeit. Eine, die ihren musikalischen Vorbildern mit ganzer Ruhe und Harfe im Arm in die Augen blicken kann.