Musik kann die ganze Welt verändern, davon bin ich überzeugt. Musik ist konkret und abstrakt zugleich. Auf der einen Seite gibt es den Text, das gesungene oder gesprochene Wort. Diese Worte sind konkret und objektiv, weil jeder sie gleich versteht. Doch dann kommt dazu die Musik, der Klang. Klang ist abstrakt und subjektiv, weil jeder ihn anders wahrnimmt. Durch diesen Dualismus aus Konkretem und Abstraktem entfaltet sich die politische Kraft der Musik, weil sie eine Entwicklung in ihren Zuhörern auslösen kann.
Ganz in diesem Sinne verstehe ich meine Musik nicht als Unterhaltung, sondern möchte ihr eine gesellschaftliche, intellektuelle und spirituelle Funktion geben. Dabei gibt es für mich wieder die zwei Richtungen: Die Themen, die ich für die Stücke aussuche, können politisch sein, aber auch gesellschaftlich oder kulturell.
botschaft Das zeigt sich meistens schon an den Titeln, die eine gewisse Botschaft vermitteln. Zum Beispiel habe ich ein Stück »Destroy social oppression« oder ein Konzert mit dem Titel »May all dictators fall«. Die zweite Hälfte meiner Arbeit ist die abstrakte Ebene. Durch die Musik und neue Elemente in der musikalischen Struktur versuche ich, meine Zuhörer zur Reflexion anzuhalten und zu ihrer gesellschaftlichen, intellektuellen und spirituellen Entwicklung beizutragen.
Die Botschaften, die ich vermitteln möchte, sind oft philosophischer Natur: Es geht um grundsätzliche Werte wie den Glauben, das Leben, Frieden oder Freiheit. Andere Stücke haben dann wieder eine klare politische Botschaft. Im Kern aber haben sie alle eines gemeinsam: Es geht um das Gute, um Gott, und die Söhne dieser Idee – Liebe, Freiheit, Gleichheit und Toleranz.
engagement Politisches Interesse und Engagement gehören für mich schon seit meiner Jugend zum Leben. Ich bin in Brasilien, in São Paulo, aufgewachsen, wo die politische Realität eine sehr andere ist als in Europa. Dennoch, meine Großeltern waren deutsche Juden. Deshalb war ich mir immer schon sehr bewusst über die politische Situation, die mich umgibt. In Brasilien, in Europa und natürlich in Israel. Und mir war immer sehr klar, dass ich die riesengroße Unterdrückung der Armen durch die reichen Menschen nicht akzeptieren kann. Gerade in Brasilien sieht man das sehr stark: Dort gibt es Menschen, die bekommen 50 Euro im Monat, und andere, die bekommen 50.000 Euro im Monat.
In Deutschland wiederum sind diese Ungleichheiten nicht so stark ausgeprägt. Während ich in São Paulo groß geworden bin, habe ich verstanden, dass ich diese Ungleichheiten durch meine Musik bekämpfen kann. Diese Erkenntnis war immer sehr wichtig für mich. Natürlich könnte ich auch einen anderen Weg gehen, der es mir einfacher machen würde. Aber das sind meine Überzeugungen, und zu denen stehe ich. Meine Musik ist, wie gesagt, keine Unterhaltung, und ich verdiene damit auch kein Geld. Musik ist meine Mission.
Brasilien Ich bin der einzige Musiker in meiner Familie, in Brasilien gibt es auch keine musikalische Erziehung in der Schule. Die Musik war einfach in meiner Seele. Als ich ein Kind war, wusste ich das natürlich noch nicht, aber heute als Erwachsener erinnere ich mich daran, dass ich schon damals kleine Melodien und Lieder vor mich hingesungen habe. Das waren keine bekannten Stücke, sondern meine eigenen. Ich habe mir immer neue Melodien ausgedacht und sie vor mich hin gesummt. Es fiel mir auch schon immer leicht, Instrumente zu lernen.
Zunächst habe ich Klavier gelernt, dann Gitarre und später Gesang. Ohne große Unterstützung bin ich immer weiter vorangekommen. Und irgendwann habe ich gemerkt, dass es für mich keine andere Option gibt. Das ist, was ich machen will, mein ganzes Leben lang. Ohne meine Musik und meine Mission, das ist der spirituelle Zusammenhang, könnte ich nicht leben. Ich sage ganz klar, dass ich kein Instrumentalist bin, auch kein Dirigent.
Meine Aufgabe ist es, zu komponieren. Es gibt viele Leute, die sagen: »Ich mache alles.« Ich finde das ein bisschen komisch, weil ich glaube, dass man sich voll und ganz einer Sache widmen muss, um wirklich gut darin zu sein. Natürlich könnte ich auch üben und meine eigenen Stücke spielen. Aber das möchte ich nicht, weil der Kontakt mit den Instrumentalisten ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist. Ich als Komponist habe eine kreative Seele, die trifft auf die vermittelnde Seele des Instrumentalisten. Zusammen bereiten wir die Musik vor für die dritte, die empfangende Seele – die des Zuhörers.
instrumentalisten Meine Beziehung zu den Instrumentalisten ist sehr eng. Ich betrachte sie als Freunde und Partner. Es ist mir egal, woher meine Musiker kommen. Wichtig ist der seelische Kontakt: Wir müssen dieselbe musikalische Sprache sprechen, dieselbe Vorstellung von der Welt haben. Meistens arbeite ich immer wieder mit denselben Musikern zusammen, die meine Arbeit kennen und verstehen und auch zu mir kommen und fragen: »Hast du etwas Neues für mich?« So sind mit der Zeit berufliche Partnerschaften zu Freundschaften geworden.
Meine Komposition beginnt immer mit einem ersten Gedanken. Das kann eine musikalische Struktur sein, genauso wie ein philosophischer Gedanke, den ich musikalisch wiederzugeben versuche. Dieser erste Schritt entspringt im Gehirn und in der Seele. Ich stelle mir die Musik vor, beginne sie zu fühlen. Und erst, wenn ein Stück in meinem Kopf reifer wird, beginne ich zu schreiben. Diese seelische und intellektuelle Basis brauche ich, um überhaupt mit der Arbeit beginnen zu können.
Auch wenn ich ein Stück zu Papier gebracht habe, ist es noch nicht fertig, denn dann kommen meine Musiker dazu, die Interpreten. In diesem Schritt kann es sein, dass sich die Stücke weiter verändern, weil unsere beiden Seelen aufeinandertreffen und beginnen, mit der Musik zu arbeiten. Das ist sehr wertvoll für mich. Ich sehe den Instrumentalisten nicht als einen Computer, der einfach nur meine Partituren wiedergibt. Auch er hat eine kreative Seele, und unsere menschliche Partnerschaft bereichert das musikalische Phänomen. Deswegen suche ich genau aus, welche Musiker meine Stücke spielen.
Identität Früher hatte ich Probleme, meine jüdische Identität zu finden. Wirklich klar, was diese Identität bedeutet, wurde mir erst, als ich verstanden habe, wie viele jüdische Künstler dieser Welt einen Dienst geleistet haben. Heute bedeutet mir meine Freundschaft mit Schönberg, mit Franz Kafka, mit Stefan Zweig, mit Chagall alles. Sie haben mir verdeutlicht, dass ich – bei aller Bescheidenheit – auch ein Teil dieses Ganzen sein und meinen Beitrag leisten kann.
Das Fundament meiner Musik sind die Werte: das Gute. Für mich ist das gleichbedeutend mit Gott, auch wenn ich mich nicht als religiös in einem orthodoxen Sinne beschreiben würde. Als ich 2010 meine erste Sinfonie aufnahm, hatte ich keinen Zweifel am Titel: Sie heißt »Symphony of the good – Sinfonie des Guten«. Das Gute ist für mich alles, was ich auch von Gott erwarten kann: Liebe, Freiheit, Respekt und Toleranz. Ohne den Glauben daran könnte ich nicht leben.
Jeden Tag passieren schreckliche Dinge auf der Welt, und auch, wenn ich persönlich bisher davon verschont geblieben bin und ein gutes Leben führe, bin ich sehr empfindsam für die Katastrophen um uns herum. Der Glaube an das Gute hilft uns, damit umzugehen. Ich bin tief durchdrungen von der Überzeugung, dass jeder Einzelne von uns einen Unterschied machen kann. Jeder hat eine Mission und kann etwas gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt tun. Meine Gabe, die Gott mir gegeben hat, ist die Musik. Damit versuche ich, etwas zu verändern.
Aufgezeichnet von Jakob Mühle