Frankfurt

Museum im Fluss

Keine leichte Frage: »Darf man auf dem Balkon eine Sukka bauen?«, will Jaden wissen. »Nicht, wenn er überdacht ist. Denn man muss in jedem Fall die Sterne sehen können«, erklärt Anastasia, eine der beiden Kursleiterinnen, die Jaden und neun weitere Kinder am vergangenen Sonntagnachmittag zu einem Workshop über Sukkot auf dem »Pop Up Boat« des Jüdischen Museums Frankfurt am Main betreuen.

Und die Kids sind neugierig, wollen alles wissen, was zum Laubhüttenfest gehört – vor allem aber wollen sie selbst eine Mini-Sukka aus Holzstäbchen, Pappkarton und Mistelzweigen bauen. Sie lesen Texte, sehen sich ein Sukkot-Video aus Israel an und wetteifern in einem Quiz, wer sich alle Details des Festes am besten merken konnte.

Beatboxing Am kommenden Sonntag, an Erew Sukkot, wird das Jüdische Museum das Pop Up Boat allerdings endgültig wieder verlassen. Doch vorher soll mit einem Sukkot-Dinner und anschließender »Closing Party« noch der Abschied gefeiert werden. Sämtliche Plätze sind seit Langem ausgebucht. Bereits mittags tritt das Londoner Duo »Global Vocal Music« auf. Noga Ritter und DavidX, die in ihrer Musik sefardische und karibische Klänge mit Jazz und Funk verbinden, werden aber nicht nur ihren Stilmix präsentieren, sondern bringen ab 14 Uhr Jugendlichen ab zwölf Jahren die hohe Kunst des Beatboxing bei. Wer also schon immer mal einen Synthesizer oder ein Schlagzeug mit dem Mund nachmachen wollte, der kann bei Noga und DavidX in die Lehre gehen.

Das Museum auf Wanderschaft sei eine »Anlehnung an die jüdische Tradition temporärer Bauten«, heißt es in einer Presseerklärung. Der Umzug auf das Boot war notwendig geworden, da das eigentliche Domizil, das Rothschild-Palais am Untermainkai, grundlegend erneuert und dank eines Erweiterungsneubaus auch in seiner Fläche vergrößert wird. Mit dem Provisorium auf dem Boot wollte man gleichzeitig auch an die Zeit der israelitischen Wüstenwanderung nach dem Auszug aus Ägypten erinnern, so wie es auch an Sukkot üblich ist, erläutert Daniela Unger, Pressesprecherin des Museums. »Wir haben unsere Büros verlassen, um an Bord auf die Reise zu gehen.« Den Blickkontakt zur alten Museumsheimat gibt es immer noch: Am Heck der »Freigut«, so der eigentliche Name des Schiffes, kann man durch ein kleines Fenster auf das eingerüstete Rothschild-Palais schauen.

Seit dem 4. September lag das Pop Up Boat im Main, die Schiffsschraube hat sich kein einziges Mal bewegt. In Bewegung geraten ist dennoch Einiges. Denn die Museumsmitarbeiter nutzen diese Zeit des Provisoriums für eine Neuorientierung und für die Suche nach Antworten auf die Frage: »Was gehört in ein jüdisches Museum? Was gilt es zu bewahren, was eignet sich als Zeugnis für jüdisches Leben, jüdische Geschichte und Kultur?«

Schabbatleuchter Eine kleine Auswahl aus den Sammlungen hatten die Mitarbeiter des Museums für den Aufenthalt an Bord mitgenommen. In improvisierten Schaukästen sind in einer offenen Kajüte unter anderem silberne Schabbatleuchter, eine kupferne Gugelhupf-Backform aus dem Hause Rothschild, ein Poster nach einem Gemälde von Moritz Daniel Oppenheim und eine handsignierte Krawatte von Ignatz Bubis, dem 1999 verstorbenen Zentralratsvorsitzenden, zu sehen. Die Mitarbeiter des Museums wollen durch diese Exponate mit den Schiffsbesuchern ins Gespräch kommen, um von ihnen zu erfahren, wie sie sich das Jüdische Museum der Zukunft vorstellen.

Konkret einbezogen werden die Frankfurter bei der Namenswahl für den künftigen Vorplatz im Eingangsbereich des neu konzipierten Museums. Mehrere Vorschläge sind derzeit in der engeren Auswahl: zum Beispiel die Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim, Regina Jonas, die als erste Frau in Deutschland zur Rabbinerin ordiniert wurde, das Ehepaar Teofila und Marcel Reich-Ranicki oder Georg Heuberger, langjähriger Direktor des Museums. Die Besucher können unter den Vorschlägen rote Punkte an einer Tafel anbringen. Außerdem dürfen auf Post-it-Zetteln auch andere Wünsche geäußert werden – »mehr interaktive Angebote für Kinder«, »israelisches Bier« oder eine »intensivere Auseinandersetzung mit der israelischen Friedenspolitik« sollen das neue Museum ergänzen, wenn es nach den Besuchern geht.

»Lunch Talk«
Die hatten in den vergangenen Wochen viel Abwechselungsreiches auf dem Pop Up Boat erlebt: von Filmvorführungen über Diskussionsrunden bis zu Konzerten und Lesungen. Sie konnten sich beim »Lunch Talk« mit den Museumsmitarbeitern unterhalten oder Kuratoren bei deren Arbeit zuschauen. Wer es etwas ruhiger angehen lassen wollte, genoss den Frankfurter Spätsommer an Deck im Korbstuhl nebst Palmen und den Blick auf die Skyline der Mainmetropole. Immerhin taten das 4000 Besucher – mehr, als sich in der Regel bei einer üblichen Wechselausstellung im Museumsbau einfinden.

Erst im Frühjahr 2018 wird das Jüdische Museum wieder öffnen. Doch heißt das für die Mitarbeiter nicht, dass sie bis dahin Urlaub haben. Sie werden ihre Wanderschaft fortsetzen und in andere Büros in der Innenstadt ziehen. »Wir werden diese Zeit zu einer intensiven Auseinandersetzung darüber nutzen, wie das Konzept der Dauerausstellung in Zukunft aussehen soll«, erklärt Manfred Levy vom Pädagogischen Zentrum. »Alles soll anders werden«, verrät er und gibt schon ein Detail preis: »Künftig werden wir eine Kinderwerkstatt mit eigener Küche im Museum haben. Dort können wir dann zum Beispiel Challot für den Schabbat selbst backen.« Wenn das keine leckeren Aussichten sind.

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