Sie wollten »Gemeinsam in die Zukunft« schreiten und forderten »Dialog und Partnerschaft«. So jedenfalls war es auf den Transparenten der rund 70 Teilnehmer zu lesen, die kürzlich in Baden-Baden einem Aufruf des »Aktionskreises Neue Synagoge Baden-Baden« zu einer Kundgebung gefolgt waren. Doch zurzeit ist die Stimmung in Baden-Baden von teils verworrenen Konflikten statt von Dialog geprägt: Der Aktionskreis und der Oberrat der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden (IRG Baden) in Karlsruhe sind uneins über den künftigen Standort der seit Langem geplanten neuen Synagoge.
Es gibt nicht mehr viele Zeitzeugen, die noch die alte, prächtige Synagoge kennen. Sie stand im Zentrum der Stadt in der Stephanienstraße 5 – bis zum 10. November 1938, als sie infolge der Pogromnacht im nationalsozialistischen Deutschland zerstört wurde. Ruben Schuster, der Sprecher des Aktionskreises, erzählt gern von Michael Schuncke, einem Baden-Badener Musiker, der damals neun Jahre alt war. Er kam mit seiner Mutter an der brennenden Synagoge vorbei.
kundgebung Michael Schuncke, so Ruben Schuster, fordert, die neue Synagoge müsse am Ort ihrer Vorgängerin entstehen. Die Anhänger des Aktionskreises sagen zwar, dass sie weniger einen konkreten Standort fordern als vielmehr eine breite und offene Diskussion darüber. Doch letztlich geht es immer wieder um die Frage: Soll die Synagoge im Zentrum der Kurstadt entstehen, gut sichtbar, auch und gerade wegen der traumatischen Vergangenheit? Das Motto der Kundgebung auf der Fieserbrücke war eindeutig: »Juden in der Mitte der Gesellschaft«.
Die Diskussion gewinnt nun an Fahrt, obwohl der Oberrat der IRG Baden mit dem Kauf eines Grundstücks an einem Autobahnzubringer in der Fürstenbergallee außerhalb des Zentrums inzwischen bereits Fakten geschaffen hat. Dessen Vorsitzender Rami Suliman sagt, man habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Vorangegangen sei eine langjährige Suche nach einem geeigneten Standort für die Synagoge, die ohne Ergebnis geblieben sei.
Das Grundstück an der Fürstenbergallee sei mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen. Geplant sind dort Synagoge, Gemeindezentrum und einige Sozialwohnungen. Auf diese Weise seien Synagoge und Gemeindezentrum endlich wieder an einem gemeinsamen Ort zu finden, betont auch Irina Grinberg, die Assistentin des Vorstands der Israelitischen Kultusgemeinde Baden-Baden, im Auftrag des Vorstands.
Die Gemeinde war nämlich nicht der Meinung des Aktionskreises und hatte sich im Vorfeld der Kundgebung in einer Presseerklärung von ihm und dem Protest distanziert. Der Aktionskreis weigere sich, »den Realitäten ins Auge zu sehen«, wird darin der Gemeindevorsitzende Olexandr Odnopozov zitiert.
platznot Die Realität heute ist, dass Synagoge und Gemeindezentrum zwar getrennt, aber in direkter Nachbarschaft im Stadtzentrum liegen. Für ältere Menschen oder Gemeindemitglieder mit Behinderung sei es beschwerlich, von einer Einrichtung zur anderen zu gelangen, sagt Irina Grinberg. Und die gemieteten Räume seien auch zu klein.
»Wir brauchen mehr Platz«, sagt Grinberg. Für Feste müsse man zusätzliche Räume für die insgesamt 656 Mitglieder anmieten. Außerdem sollten künftig neue Freizeitangebote entstehen. Dass das gekaufte Grundstück nicht direkt im Zentrum liegt, sei nicht schlimm. Für Besucher aus Rastatt oder Bühl, die mit dem Auto kommen, sei die Lage sogar günstig.
Vor allem aber weisen die Israelitische Gemeinde und der Oberrat-Vorsitzende Rami Suliman auf die Abstimmung bei einer Gemeindeversammlung im September 2017 hin. Seitdem sei bewiesen, dass die Gemeinde hinter dem neuen Grundstück stehe. Zu der Versammlung seien 136 Gemeindemitglieder gekommen, von ihnen hätten sich 116 an der Abstimmung beteiligt, bilanziert Rami Suliman. 105 hätten für den Kauf gestimmt, neun dagegen, zwei hätten sich enthalten. Daraus ergebe sich eine Zustimmung von 92 Prozent.
klage Genau diese Schlussfolgerung findet Ruben Schuster vom Aktionskreis skandalös: Er argumentiert, die Gemeinde sei nicht beschlussfähig gewesen, da von damals 657 stimmberechtigten Mitgliedern nur 136 anwesend gewesen seien. Er hat deshalb eine Klage beim Schiedsgericht des Zentralrats der Juden eingereicht, über die noch nicht entschieden wurde. Rami Suliman betont, die Teilnahme von 136 Mitgliedern bei einer Versammlung sei für Baden-Badener Verhältnisse sogar eher ein guter Durchschnitt.
Auch Ruben Schuster war bis vor Kurzem im Vorstand der Gemeinde. Doch bei den letzten Wahlen ist er nicht mehr angetreten. Er wirft der Gemeinde unter anderem vor, dass es keine geregelte Kassenprüfung und keine aktive Vorstandsarbeit mehr gebe. Irina Grinberg widerspricht: »Wir machen alles so, wie es sein soll.« Wegen alter Konflikte stehe die Arbeit des Gemeindevorstands unter der Aufsicht der IRG Baden und sei dadurch besonders transparent.
Während sich die Fronten verhärten, gab es zuletzt noch weitere Entwicklungen: Für alle überraschend wurde bekannt, dass das Grundstück, auf dem die alte Synagoge bis zu ihrer Zerstörung stand, frei wird. Bisher hatte es das »Badische Tagblatt« gemietet und als Parkplatz genutzt. Doch bei der Zeitung steht ein Umzug an. Das Grundstück wurde 1955 von der IRG Baden an die jetzigen Eigentümer verkauft, sagt Rami Suliman. Ein Rückkauf würde die IRG Baden finanziell überfordern.
Vertragsklausel Nach Recherchen der Online-Tageszeitung »Good news 4 Baden-Baden« soll der Kaufvertrag von 1955 eine Klausel enthalten, wonach es eine Verpflichtung gibt, dass das Grundstück nicht zu »profanen Zwecken« verwendet werden dürfe. Das wiederum sorgt nun für neue Diskussionen: René Lohs, der Kreisvorsitzende der FDP Baden-Baden, äußert in einer Pressemitteilung die Vermutung, dass auf dem Grundstück »weiterer überteuerter Wohnraum« entstehen soll. Das widerspreche der Verpflichtung im Kaufvertrag. Suliman sagt, der Kaufvertrag liege ihm derzeit nicht vor. Falls die veröffentlichten Auszüge jedoch stimmten, »stellt dies eine neue Situation dar, die wir in unseren Gremien beraten müssen«.
Die Kritiker vom Aktionskreis wollen auf jeden Fall weiterdiskutieren, am liebsten in einer breiten städtischen Öffentlichkeit. Sie betonen, dass zu ihnen auch nichtjüdische Mitglieder gehören. Einer von ihnen ist Georg Moch, Anwalt und Katholik, der bei der Kundgebung seine Meinung auf einem Transparent kundtat. »Das Thema muss ausdiskutiert werden«, fordert er. Es sei symbolisch wichtig, dass die jüdische Gemeinde nicht am Rande der Stadt angesiedelt wird.