Jude sein, mitten in der Gesellschaft – das muss gekonnt sein. Jude sein in der deutschen Gesellschaft – das muss man in erster Linie wollen. Besonders nach der Schoa. Zu denen, die sich damals fürs Bleiben entschieden, gehörte der Rechtsanwalt Gerhard C. Starck, Sohn einer jüdischen Mutter. Er war ein Vorbild für Generationen jüdischer Männer und Frauen, die in Deutschland ihre Heimat sahen, die sich für ein Leben in Deutschland entschieden.
Nach Gerhard C. Starcks Tod wurde die Aufgabe an seine Ehefrau übergeben, die zusammen mit dem jetzigen Vorstandsmitglied der Stiftung Icek Ostrowitz die Idee für etwas Großartiges geboren und später verwirklicht hatte. Aus dem Vermögen der Starcks entstand im Jahr 2004 eine Stiftung, die junge engagierte Juden in Deutschland fördern sollte. Diese jungen Leute kommen aus unterschiedlichen Gegenden. Nicht alle sind in Deutschland geboren, manche kamen aus Israel, viele aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion.
Generationen Was ihnen gemein zu sein scheint, ist der Wille, als Jude einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, zur deutschen Gesellschaft – wie es Gerhard C. Starck getan hat. Sie wollen Teil sein – als Ärzte, Juristen, Wissenschaftler, Politiker, Journalisten. »Wer ein Haus baut, will bleiben«, sagte damals Salomon Korn.
Das Haus wurde längst gebaut – die Menschen wollen bleiben, seit Generationen schon. Und sie wollen mitmischen und mitgestalten. Die meisten Stipendiaten verbinden Studium einerseits und Hingabe an die eigenen Wurzeln andererseits. Viele sind in ihren Gemeinden engagiert oder arbeiten zusammen mit den Institutionen der Zentralwohlfahrtsstelle oder des Zentralrats für ein besseres Dasein der Juden in Deutschland.
Anfang April trafen 61 Stipendiaten zum ersten Mal seit der Gründung der Stiftung zusammen. Das gegenseitige Kennenlernen stand bei dem Treffen im oberbayerischen Fischbachau im Vordergrund. Denkanstöße und Diskussionsstoff lieferten das eigene Studium, der Beruf, die Zukunft in Deutschland und das eigene Dasein.
Schabbat Nach der Begrüßung durch den stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Rolf Friedmann und einem anschließenden Schabbat-Gebet, bot das Wochenende Vorträge und Gesprächsrunden. Unter den Referenten waren der Schriftsteller Rafael Seligmann, der Dermatologe und Allergologe Thomas Ruzicka, der Präsident des Landgerichts Duisburg a. D. Hubert Just. Sie gaben Einblicke in die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und in spezielle Bereiche.
Der Vortrag der Vorstandsvorsitzenden der Stiftung, Charlotte Knobloch, ließ in jedem Einzelnen die Erinnerung an die Vergangenheit der deutschen Juden erwachen. Das Haus sei gebaut, doch keiner solle vergessen, um welchen Preis es nun stehe.
Allgegenwärtig solle der Gedanke bleiben, mit welcher Mühe die Gemeinden nach der Befreiung wieder zum Leben erweckt, die Synagogen nach ihrer Zerstörung wieder gebaut wurden und wer damals die ersten Schritte zurück in die Gesellschaft gewagt und den Weg vorgelegt hat. Dieser Eindruck wurde verstärkt durch den abschließenden Besuch in der Münchner Synagoge Ohel Jakob.
Die Antwort auf die Frage, warum die angereisten Jugendlichen so hart an ihren Universitäten und in ihren Gemeinden arbeiten, und warum sie darin von der Stiftung unterstützt und gefördert werden, ist eindeutig: Sie wollen Juden sein, mitten in der deutschen Gesellschaft und sie wollen dafür sorgen, dass dies auch in Zukunft so bleibt.