Nachruf

»Mit Sensibilität und Klugheit«

Karl Kardinal Lehmann: Der frühere Mainzer Bischof ist am vergangenen Sonntag gestorben. Foto: dpa

Nachruf

»Mit Sensibilität und Klugheit«

Karl Kardinal Lehmann stand fest an der Seite der jüdischen Gemeinschaft

von Johannes Heil  13.03.2018 23:34 Uhr

Es war seine Heidelberger Hochschulrede, die manchem Zuhörer in Erinnerung geblieben sein dürfte. Auf Einladung der Hochschule für Jüdische Studien hatte Karl Lehmann im Juni 2008, kurz nach Niederlegung des Vorsitzes der Deutschen Bischofskonferenz, die »Rückkehr der Religion. Von der Ambivalenz eines zeitdiagnostischen Schlagwortes« als Thema gewählt und kritisch untersucht, was für eine Religion das sei und was ihre Rückkehr in die Mitte einer säkularisierten Gesellschaft bedeuten könne.

Alsbald wurde klar, dass Lehmann der publizistischen Figur der »Rückkehr der Religion« nur wenig Tragfähigkeit zutraute. Etwa um die Mitte seines Manuskripts gab er das Thema eigentlich ganz auf und beschäftigte sich fortan mit den Bedingungen für die Ökumene in der säkularen Gesellschaft. Damit war – wohlgemerkt – die christliche Ökumene gemeint, und kritisch hätte man anschließend bemerken können, dass dieser Teil des Vortrags den Vortragsort und sein Publikum aus den Augen verloren habe.

Vielmehr klang auch noch einiges aus seiner römischen Dissertation von 1962 zu »Ursprung und Sinn der Seinsfrage im Denken Martin Heideggers« an, die sich im Zeichen »des immer heftigeren Streites« mit der Problematik der Frühschriften des Freiburger Philosophen befasste, also einmal mehr in eine andere Richtung führte. Es hätte nicht verwundert, wenn nach dem Vortrag kritische Stimmen aufgekommen wären. Es kam aber nichts. Offenbar war Karl Lehmann bekannt, geschätzt und authentisch genug, um Irritationen gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Gespräch Meine nächste und auch schon letzte Begegnung mit Karl Lehmann fand im April 2017 in Mainz statt, ein Jahr nach seiner Resignation vom Bischofsamt, am Rande einer Tagung der Unterkommission für die Beziehungen zum Judentum der Deutschen Bischofskonferenz. Der Altbischof kam hier zum Gespräch, als Berichterstatter zu den christlich-jüdischen Beziehungen, im Grunde als Zeitzeuge, der den Blick über 50 Jahre zurück auf das Zweite Vatikanische Konzil und die Erklärung Nostra Aetate (»In unserer Zeit«) im Oktober 1965 lenkte. Diese galt den nichtchristlichen Religionen insgesamt, hat aber mit ihren Ausführungen zum Verhältnis der Kirche zum Judentum historisches Gewicht gewonnen.

Kardinal Lehmann schilderte eindrücklich die schwierige Genese gerade des Abschnitts zum Judentum. Dieser hatte nicht nur gegen traditionelle theologische Widerstände zu kämpfen, sondern auch dagegen, dass arabische und osteuropäische Staaten direkt Widerstand leisteten oder indirekt ihre Einwände über Konzilsteilnehmer zum Ausdruck brachten. Tatsächlich war die Anerkenntnis, dass in anderen Religionen Wahres und Heiliges bestehe und der Bund Gottes mit den Juden nicht aufgehoben sei, ein radikaler Bruch mit den bis dahin gepflegten und bis hin zur Verfolgung praktizierten Haltungen. Nostra Aetate bereitete auch die Grundlage für das im Jahr 2000 durch Papst Johannes Paul II. ausgesprochene Schuldbekenntnis gegenüber dem Judentum.

Wendungen Karl Lehmann hat an dieser Entwicklung Anteil genommen und Anteil gehabt. Dabei war sein Weg nicht eindeutig vorgezeichnet und eigentlich eine Abfolge von Wechselfällen und Wendungen: von der philosophischen Promotion über einen nichtchristlichen Philosophen (1962) zur Dogmatik-Professur in Mainz (1968) und zur Professur in Dogmatik und Ökumene in Freiburg (1971), dann auf den Mainzer Bischofsstuhl (1983–2016) und zum Vorsitz der Deutschen Bischofskonferenz (1987–2008). Gerade in diesem Amt war er auch als Politiker gefragt, der gegenüber regressiven Tendenzen innerhalb der Kirche stets Freiräume ausloten und Brückenschläge wagen musste, etwa gegen den völligen Ausstieg der Kirche aus der Schwangerenkonfliktberatung.

Besieht man Kardinal Lehmanns Tätigkeiten jenseits des Bischofsamtes, dann fallen vor allem die zahlreichen Funktionen in Gremien christlicher Ökumene auf. Die Beziehungen zum Judentum waren ihm aber nicht minder angelegen. Mit dem in Mainz geborenen Rabbiner Leo Trepp und seiner Frau Gunda unterhielt Lehmann eine enge Freundschaft. Zu einem Band mit den Schriften des Rabbiners schrieb der Bischof ein Vorwort.

2006 wurde Lehmann der Abraham-Geiger-Preis zuerkannt. Der Zentralrat der Juden in Deutschland würdigte den Verstorbenen als »einen jener Vertreter der katholischen Kirche, die einen besonders wichtigen Beitrag zur Versöhnung leisteten und fest an der Seite der jüdischen Gemeinschaft standen«. Hervorgehoben wird dabei, dass Kardinal Lehmann »mit hoher Sensibilität und Klugheit sich stets für ein gutes Verhältnis von Christen und Juden eingesetzt hat und es ihm auch gelang, Missverständnisse oder Unstimmigkeiten auszuräumen.« Hervorgehoben wird in der Erklärung, dass die Deutsche Bischofskonferenz unter Lehmanns Leitung die deutliche Absage an die Judenmission bekräftigte.

Synagoge Kardinal Lehmann zählte tatsächlich zu jenen, die zu neuem Denken fähig waren. Die großen jüdischen Namen seiner Bischofsstadt wie Gerschom ben Jehuda, die Mitglieder der Kalonymos-Familie oder der Maharil waren ihm ebenso präsent wie die seiner Vorgänger Bonifatius, Hrabanus oder Willigis. Den Bau der neuen Mainzer Synagoge hat er als Kuratoriumsmitglied gefördert und zur Einweihung 2010 gemeinsam mit dem evangelischen Kirchenpräsidenten der Jüdischen Gemeinde eine Torarolle geschenkt.

Im April 2017 hat er mich mit der Genauigkeit überrascht, mit der er die seit Nostra Aetate ergangenen jüdischen Erklärungen zum Christentum referieren und würdigen konnte. Die Erklärung orthodoxer Rabbiner zum Christentum, unter dem Titel »Den Willen unseres Vaters im Himmel tun« 2015 erschienen, hat er als »großes Zeichen« betrachtet und mit Optimismus auf die weitere Entwicklung der jüdisch-christlichen Beziehungen geschaut, aber auch gemahnt, nichts von alledem zu vernachlässigen.

Der Autor ist Rektor der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg.

Porträt der Woche

Austausch mit Gleichen

Maria Schubert ist Gemeindesekretärin in Magdeburg und tanzt gern

von Alicia Rust  18.04.2025

Feiertage

Hymne auf die Freiheit

Der Alexander-Moksel-Kindergarten führte im Gemeindezentrum ein Pessach-Musical auf

von Vivian Rosen  17.04.2025

Berlin

Mazze als Mizwa

Das Projekt »Mitzvah Day« unterstützt die Berliner Tafel mit einer Lebensmittel-Spende

von Katrin Richter  17.04.2025

Berlin

Berlin: Gericht bestätigt fristlose Kündigung von Rabbiner

Das Berliner Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung eines Rabbiners wegen sexueller Belästigung eines weiblichen Gemeindemitglieds bestätigt

 16.04.2025

Jewrovision

»Schmetterlinge im Bauch«

Nur stilles Wasser trinken, noch einmal gut essen, dann geht es auf die Bühne. Die Moderatoren Masha und Gregor verraten, wie sie sich vorbereiten und mit dem Lampenfieber umgehen

von Christine Schmitt  16.04.2025

München

Hand in Hand

Ein generationsübergreifendes Social-Media-Projekt erinnert an das Schicksal von Schoa-Überlebenden – Bayern-Torwart Daniel Peretz und Charlotte Knobloch beteiligen sich

von Luis Gruhler  15.04.2025

Literatur

Die Zukunft Israels hat längst begonnen

Der Schriftsteller Assaf Gavron stellte im Jüdischen Gemeindezentrum seinen aktuellen Erzählband vor

von Nora Niemann  14.04.2025

Porträt der Woche

Eigene Choreografie

Galyna Kapitanova ist IT-Expertin, Madricha und leitet eine Tanzgruppe

von Alicia Rust  14.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025