Vielleicht haben nur wenige Menschen ihre Zeit mit so viel Schwung verbracht. »Sie ist die Geschichte des israelischen Volkstanzes«, formulierten es einmal die Redner des Festivals Karmi’el. Tirza Hodes schaut in der Regel verblüfft, wenn man sie in diesem Maße rühmt. Wer interessiere sich in der heutigen Zeit schon für ihr Werk? Die Jugend etwa?
Keine Laudatio scheint in Israel auf Folklore-Festen jedoch ohne ihren Namen auszukommen. Die zierliche Grande Dame des Tanzes lächelt dann, wenn sie ihr jahrzehntelanges Engagement herunterspielt. Doch was bewegt ihre Anhänger, ihr auch im hohen Alter noch jeden roten Teppich auszurollen, sie immer wieder für ihr Temperament zu loben und Facebook-Fan-Seiten zu bauen?
flucht Anfang der 1920er-Jahre in Düsseldorf geboren, begann ihr Leben turbulent und sollte dazu führen, dass sie sich eigentlich nie zur Ruhe setzte. Als Kind jüdischer Eltern zwangen die Nazis sie im Alter von 16 Jahren zur Flucht, die ihr 1938 mithilfe der Jugend-Alija gelang. Dieser von zwei deutschen Jüdinnen nach der Machtergreifung 1933 in Berlin gegründeten Organisation verdankten insgesamt 21.000 Kinder und Jugendliche ihr Leben.
Auf ebendiesem Wege gelangte auch Tirza an den Zufluchtsort Palästina. Später gab sie einmal zu, dass sie auch in der Bundesrepublik ein mulmiges Gefühl auf Reisen begleitete, waren es einerseits Disziplin und andererseits Angst, die sie hier zuvor prägten.
Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) ist und bleibt für Tirza Familie. ZWST-Direktor Aron Schuster betont: »Tirza Hodes ist ein Glücksfall für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland. Tausende Juden und Jüdinnen aller Generationen wurden durch sie integriert, geprägt und sozialisiert. Ob auf Machane, Seniorenbildungsaufenthalten, Tanzseminaren oder dem Jugendkongress – Tirza ist seit Jahrzehnten ein ganz fester Bestandteil der ZWST-Familie. Von ihr zu lernen und mit ihr zu arbeiten, war und ist ein großartiges Privileg.«
Bis das Stellenangebot der ZWST sie 1979 mit Deutschland wiedervereinte, sollten jedoch noch 41 Jahre ins Land gehen.
35 Jahre leitete Tirza Hodes in der israelischen Gewerkschaft Histadrut die Abteilung Volkstänze.
1938 immigriert, gehört Tirza Hodes zu jener Generation, die den jüdischen Staat mit etablierte. Hatte sie doch am eigenen Leib erfahren, wie sehr die Deutschen ein judenfreies Europa beschworen und wie weit sie bereit waren, dafür zu gehen. In Israel bekam Tirza die Chance, sich zu entfalten. Die Gewerkschaft Histadrut hatte sie für die Abteilung »Folklore« verpflichtet, und so leitete sie 35 Jahre das Referat für Volkstänze.
potenzial Wie man sie schließlich überzeugte, ihren Radius zu erweitern, weiß ZWST-Präsident Abraham Lehrer: »Es war Beni Bloch sel. A., der ihr Potenzial erkannte und sie für die Jugend- und Seniorenprojekte der Zentralwohlfahrtsstelle gewinnen konnte. Im Lauf der Zeit und je öfter sie zu Veranstaltungen nach Deutschland kam, wandelte sich ihre Einstellung.«
Wohingegen viele ihrer Generation es vorzogen, nie wieder deutschen Boden zu betreten, wählte Tirza schließlich die Flucht nach vorn. Und flog und flog. »Vor 1990 und natürlich auch danach hat sie ihren Beitrag zum Aufbau unserer jüdischen Gemeinschaft geleistet und hatte großen Anteil an der Erfolgsgeschichte der Integration jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion«, so Abraham Lehrer weiter.
Wie in dem Kurzfilm Mit leichten Sprüngen, produziert von der ZWST, zu sehen ist, wussten selbst ihre engsten Nachfahren lange Zeit nicht, wie viel Zusammenhalt Tirzas Tänze dem multikulturellen Judentum schenkten.
wurzeln Menschen wie Tirza ist es zu verdanken, dass Juden hier nicht nur begannen, vermehrt das Tanzbein zu schwingen, sondern sich kulturell auch wieder auf ihre Wurzeln zu besinnen. Die von Spenden und laufenden Zuschüssen finanzierten ZWST-Seminare lockten besonders Einwanderer und boten ihnen lockere Schnupperstunden in israelischer Kultur.
Um gemeinsam zu tanzen, muss man keine Sprachbarrieren überwinden, und gleichzeitig erschließt sich ein Raum für Begegnungen und Tradition. Haben Volkstänze auf simple Art und Weise doch die Kraft, den Spaß an Geschichte weiterzugeben.
Teamgeist kommt nicht aus der Mode, ist Tirza Hodes überzeugt.
Wettbewerb stand deshalb bei Tirza nie im Vordergrund. »Sie war beliebt bei Jung und Alt. Es gelang ihr jeden noch so Unwilligen davon zu überzeugen, sich dem Tanz nicht zu widersetzen«, sagt Abraham Lehrer.
Das Euphorische, Verbindende, sich Einreihende hat Tirza unter anderem genutzt, um die erste Begegnung von Behinderten nach der Schoa zu initiieren.
jerusalemtag Aus Anlass des Jerusalemtags 2006 in Bad Kissingen sagte sie: »Jeruschalajim ist das Herz unseres Staates Israel und die Seele unseres Volkes.« Sie lud Juden mit physischen wie geistigen Behinderungen samt ihren Familien ein. Traditionen schaffen ihrer Ansicht nach von ganz allein Kontakt, vor allem für Menschen, die sich aufgrund ihres Schicksals isoliert und nicht zugehörig fühlen. Viele Eltern weinten die ein oder andere Träne, als sie sahen, wie Tirzas Temperament auf ihre Kinder übersprang.
Aus der Mode kommen Werte wie Teamgeist wahrscheinlich nie, ebenso wenig der Tanz. Tirza Hodes hat diese trotz ihrer Vertreibung verinnerlicht und ein ganzes Jahrhundert in diesem Sinne verlebt. Ihr Alltag zwischen Main und Mittelmeer galt einer Versöhnung mit der Vergangenheit und hat das Leben vieler jüdischer Gemeinden nachhaltig beschwingt. Zu ihrem Geburtstag erklingen dieser Tage bestimmt viele Lieder, und vielleicht reiht man sich sogar hier und da zu einem Tänzchen ein. Hoffentlich noch viele Jahre.