Sie strahlt. Und dieses Leuchten steckt die Frauen an, die sich mit ihr im Reigen wiegen, die zur Musik Geschichten erzählen, vor allem vom Glück. Diese Lust an der Bewegung, diese Lust am Tanz steckt an. Später werden jene sich einladen lassen, die erst einmal zuschauen, applaudieren und selbst auf der Bühne agieren: singend. Ludmila Ilina ist auch hier dabei.
Die Leiterin der Tanzgruppe Tikwatejnu der Jüdischen Gemeinde Wuppertal reiht sich ein in das Frauenensemble Hava Naschira, das mit der Jugendvokalgruppe Kochavim eindrücklich um das Erbarmen des Höchsten bittet: »Rachem«.
Es sei eine Freude, sich mit anderen zu treffen, um gemeinsam zu singen und zu tanzen, sagt Ludmila. Sie gehört zu den rund 200 Menschen, die am Sonntag aus der gesamten Republik nach Duisburg gereist sind. Dort fand im Zentrum der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim/Ruhr-Oberhausen das »Festival der Chöre« statt, nach 2018 zum zweiten Mal in Kooperation mit der gastgebenden Gemeinde ausgerichtet und maßgeblich finanziert von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST).
Mehr als ein Dutzend Chöre und Gruppen scheuten den zum Teil recht weiten Weg nicht und reisten zu diesem Tag der Begegnung an. Vertreten waren neben den Wuppertalern Ensembles der Gemeinden aus Köln, Erfurt, Dortmund, Potsdam, Bamberg, Hamburg, Darmstadt, Mannheim und Düsseldorf.
Gemeinsam mit anderen zu tanzen und zu singen, das ist eine Freude.
Nach der Premiere des Festivals vor sechs Jahren in Frankfurt sei zu spüren gewesen, welch großes Interesse es an einer solchen Veranstaltung gebe, sagte ZWST-Direktor Aron Schuster zur Begrüßung der Gäste im Saal. Er dankte all jenen, bei denen die organisatorischen Fäden zusammenliefen, namentlich unter anderem Ilya Daboosh, dem Leiter des Sozialreferats, und Yevgenia Freifeld, der Leiterin des Fachbereichs jüdische Zuwanderung.
Integrative Kraft
Den Chören käme »eine ganz wichtige Bedeutung in den Gemeinden« zu, so Schuster weiter. Sie hätten eine äußerst integrative Kraft und stärkten den Zusammenhalt der jüdischen Gemeinschaft. Das sei bedeutsam auch mit Blick auf die veränderte Lage seit dem 7. Oktober 2023: »Wir alle sind in unserem Alltag mit Antisemitismus konfrontiert. Trotzdem müssen wir weiter singen und tanzen, sollten wir das Leben feiern.« Es gebe Kraft, sich in schwierigen Situationen »nicht brechen zu lassen«. Ähnlich unterstrich der Vorstandsvorsitzende der Duisburger Gemeinde das Ansinnen des Festivals. Dmitrij Yegudin ermunterte: »Genießen Sie den Tag!«
Den Reigen der Chöre, die sich mit ihrem Kurzprogramm auf der Bühne präsentierten, eröffnete das Theater Rimon des Begegnungszentrums Chorweiler der Synagogen-Gemeinde Köln. Das Ensemble machte sichtbar, was es besang: die Flagge in Blau und Weiß. Es war im Verlauf des Festivals immer wieder zu hören und zu spüren, mit welcher Verbundenheit die Beteiligten eine inhaltliche und gedankliche Brücke nach Israel schlugen.
So war Yardena Arazis zum Symbol gewordener Song »Habayta« mehr als einmal zu hören und unterstrich die Forderung »Bring Them Home« emotional und deutlich. Großen Beifall gab es, als Moderatorin Valeriya Kravchenko besonders betonte, dass die jüngsten Mitwirkenden des Festivals allesamt in Israel geboren worden seien. Einer von ihnen war der zehnjährige Kochavim-Sänger Mark. Er stimmte am Ende aus Leib und Seele und mit der Hand auf dem Herzen in die »Hatikwa« ein – ein Klangbild der Hoffnung.
Dass bei diesem Chortreffen ausschließlich Lieder in hebräischer Sprache und häufig religiösen Inhalts vorgetragen wurden, zeige, wie stark sich die musikalischen Gruppen in das Gemeindeleben vor Ort einbringen würden, sagte ZWST-Direktor Schuster im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Das gemeinsame Singen und Tanzen habe es den seit den 90er-Jahren nach Deutschland zugewanderten Juden aus der ehemaligen Sowjetunion erleichtert, in den Gemeinden Fuß zu fassen. Das sei auch eine Frage der Identitätsfindung.
Auf dem Programm standen ausschließlich Lieder auf Hebräisch.
Das Festival der Chöre wolle eine »besondere Form der Wertschätzung« für die »Hidden Champions« in den Gemeinden sein, die ehrenamtlichen Kräfte, die vor Ort so vieles ermöglichten, so Schuster. Künftig solle dieses Festival im jährlichen Wechsel mit dem gleichfalls von der ZWST ausgerichteten Tanz-Festival stattfinden. Die Corona-Pandemie hatte das Treffen der Chöre nach der Premiere zunächst ausgebremst, inzwischen ist die turnusmäßige Durchführung wieder möglich. Jeder der in Duisburg teilnehmenden Chöre erhielt eine Urkunde. Gewürdigt wurde die Teilnahme, denn das Festival war ein Fest und kein Wettbewerb.
Seminare und Schulungen
Gleichwohl bietet die Zentralwohlfahrtsstelle für Sängerinnen und Sänger sowie Chorleitungen regelmäßig Seminare und Schulungen an, zum Beispiel mit Rokella-Rachel Verenina-Kämper. Die Musikwissenschaftlerin, Komponistin und Dirigentin war in Duisburg für die Programmgestaltung verantwortlich und zeigte mit ihren drei beteiligten Chören aus Wuppertal exemplarisch, was in der jüdischen Chormusik möglich ist.
Welch heilende und verbindende Wirkung die Musik haben kann, unterstrich der Akkordeonist Elik Roitstein mit seiner freundlichen Einladung zum gemeinsamen Gesang. Als er nach all den Vorträgen der beteiligten Chöre das feierfreudige Volkslied »Hava Nagila« anstimmte, gab es im Saal kein Halten mehr. Jung und Alt reihten sich ein in einen fröhlichen Tanz, der musikalisch zur spontanen Session wurde: mit Flügel, E-Piano und einem Saxofon.
Von alledem war rund um das architektonisch so eindrucksvolle jüdische Gemeindezentrum am Innenhafen der Ruhrgebietsstadt kaum etwas wahrzunehmen. Die Sorge um die Sicherheit gebiete die augenblickliche Zurückhaltung, so Aron Schuster. Doch eigentlich würde man Angebote wie dieses gern auch nach außen hin stärker öffnen.