Berlin

Mit Kippa dem Hass trotzen

Israelflaggen als Ausdruck der Solidarität: Kundgebung am George-Grosz-Platz nahe dem Kurfürstendamm Foto: Rolf Walter/xpress.berlin

Es ist das erste richtige Sommerwochenende des Jahres, und auf dem Kurfürstendamm in Berlin erschallt aus mehreren Lautsprechern israelische Popmusik. Überall sieht man Menschen mit israelischen Flaggen, nicht wenige von ihnen tragen Kippa.

Doch trotz mediterraner Sonne und fröhlichen Hits steht an diesem Samstagnachmittag kein Partyevent auf dem Programm – schließlich ist der Anlass ein äußerst ernster. Denn wie jedes Jahr zum Ende des Fastenmonats Ramadan haben Anhänger der Mullah-Diktatur im Iran sowie der Hisbollah und der Hamas zum sogenannten Al-Quds-Marsch in der Hauptstadt mobilisiert.

Ihre Forderung: die »Befreiung« Jerusalems von den Zionisten, was nichts anderes als eine verklausulierte Formel für die Zerstörung Israels ist. Genau deshalb hat sich ein breites Spektrum politischer und zivilgesellschaftlicher Gruppen eingefunden, um gegen dieses antisemitische Spektakel zu demonstrieren.

Ihre Forderung: die »Befreiung« Jerusalems von den Zionisten, was nichts anderes als eine verklausulierte Formel für die Zerstörung Israels ist.

ADENAUERPLATZ Auftakt bildete um 12 Uhr eine Kundgebung am U-Bahnhof Wilmersdorfer Straße, wo sich, angefangen von den Jusos, über die Grüne Jugend bis hin zu iranischen Oppositionellen wie Kazem Moussavi, antifaschistischen Ini­tia­tiven sowie dem LAK Shalom der Linksjugend ein buntes Bündnis linker Gruppierungen zusammenfand. Die knapp 400 Personen zogen dann weiter zum Adenauerplatz, wo auch der Al-Quds-Marsch seinen Anfang nehmen sollte. Auf diese Weise mussten die Islamisten und ihre Gesinnungsgenossen zuerst die israelischen Flaggen erblicken, bevor sie auf ihre eigenen Leute treffen konnten.

»Ich finde es großartig, dass die emanzipatorische Linke gegen diesen schrecklichen Al-Quds-Tag aktiv geworden ist«, betont Stefan Hensel. »Allzu oft in der Vergangenheit haben gerade Linke auf der falschen Seite gestanden und mit den Judenhassern gemeinsame Sache gemacht«, so der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Hamburg. Die Psychologin Annelie Wulff sieht das ähnlich. »Vor allem aus einer feministischen Per­spektive heraus kann es keinen glaubwürdigen Antifaschismus geben, wenn man sich nicht gegen den Islamismus positioniert und an die Seite Israels stellt.«

»Uns ist es unverständlich, dass diese Demo Jahr für Jahr genehmigt wird«, hatte Josef Schuster bereits im Vorfeld der Kundgebung erklärt. »Sollte sich die Veranstaltung auch in diesem Jahr nicht verhindern lassen, erwarten wir strikte Auflagen sowie die konsequente Ahndung bei Verstößen«, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden. Deshalb hatte die Berliner Versammlungsbehörde beispielsweise Parolen wie »Kindermörder Israel« untersagt.

Transparente Doch bereits vor Beginn der Kundgebung brüllten am Adenauerplatz zwei junge Männer genau diese Worte, als sie aus dem U-Bahnhof Adenauerplatz kamen und die israelischen Fahnen sahen. Die zahlreichen anwesenden Polizisten schritten nicht ein. Auch Transparente mit der Aufschrift »Alle drei Tage tötet Israel ein Kind«, die keine andere Message als die verbotene verbreiteten, wurden nicht beanstandet, und während der Demons­tration erklangen die untersagten Parolen immer wieder.

Zur Dramaturgie einiger junger Männer zählte es ebenfalls, weiße T-Shirts mit der palästinensischen Flagge zu tragen, die mit roten Farbflecken beschmiert waren, um so die vermeintliche Brutalität Israels anzuprangern.

Auch der Berliner NPD-Vize wurde beim Al-Quds-Marsch gesehen.

2000 Teilnehmer hatten die Veranstalter des Al-Quds-Marsches angemeldet. Gekommen war ungefähr die Hälfte. Dafür bot sich eine Querfront der besonderen Art. Zu sehen waren Mullahs des Islamischen Zentrums Hamburg, das übrigens Mitglied im Zentralrat der Muslime in Deutschland ist, zahlreiche Anhänger des syrischen Regimes, die Bilder des Diktators Assad trugen, sowie Personen aus dem Umfeld der Hamas, die T-Shirts mit Symbolen der Al-Qassam-Brigaden, dem militärischen Flügel der Terrororganisation Hamas, zeigten. Inmitten dieser Islamistengruppen wurde Uwe Meenen gesichtet, der stellvertretende Landesvorsitzende der NPD.

Aber auch Mitglieder des sogenannten Jugendwiderstandes, eine maoistische Schlägertruppe aus Neukölln, die bereits mehrfach durch antisemitische Gewalttaten aufgefallen war, liefen mit und kamen dabei vor allem einigen Pressevertretern bedrohlich nahe; doch die Polizei hatte die Situation stets im Griff. Drei Vertreter der radikal-antizionistischen jüdischen Neturei-Karta-Sekte rundeten das Bild ab.

HISBOLLAH Zu sehen waren – wenn auch versteckt – viele Symbole der Hisbollah. Deren generelles Verbot forderte Richard Grenell auf einer weiteren Kundgebung gegen den Al-Quds-Tag am George-Grosz-Platz. »Es gibt keinen Unterschied zwischen ihrem militärischen und ihrem politischen Arm«, so der US-Botschafter, der aus Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft mit Kippa erschien. Die über 700 Demonstranten dort begrüßten seine klaren Worte. Auch Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) stand mit Kippa auf der Rednerbühne und schloss sich der Forderung an. Deutschland würde dadurch »ein eindeutiges Zeichen setzen, dass Judenhass und Antisemitismus in unserem Land nicht geduldet werden«.

Israels Botschafter Jeremy Issacharoff forderte das Verbot der jährlichen Demonstration.

Israels Botschafter Jeremy Issacharoff forderte das Verbot der jährlichen Demonstration: »Berlin hat die führende Rolle in Europa bei anderen Themen übernommen, so in der kürzlichen Resolution des Deutschen Bundestages, die unmissverständlich Antisemitismus und BDS verurteilt hat. Berlin sollte auch eine führende Rolle übernehmen, diese Demonstration der Heuchelei zu stoppen.«

Grüne Jugend Auch von Ricarda Lang kamen kritische Töne. »Gegen Antisemitismus zu sein, verkommt leider nur allzu oft zu einer leeren Formel«, so die Bundessprecherin der Grünen Jugend. »Schließlich bedeutet es mehr, als sich nur gegen Judenfeindschaft zu engagieren. Auch dem Antizionismus muss in diesem Kontext ganz klar der Kampf angesagt werden.«

Gideon Joffe sieht das ähnlich. »Vor allem an einem Tag wie heute, wo wir diese Israelhasser auf der Straße marschieren sehen«, so der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. »Wenn Deutschland die Sicherheit Israels zur Staatsräson erklärt, aber zugleich so etwas wie der Al-Quds-Tag möglich ist, dann handelt es sich um einen klassischen Fall von Doppelmoral.«

Gespräch

»Nach den Wahlen habe ich geweint«

Sie sind jung, jüdisch und leben in Ostdeutschland. Zwei Wochen nach den Erfolgen der rechtsextremen AfD in Thüringen und Sachsen fragen sie sich: Sollten wir gehen? Oder gerade jetzt bleiben?

von Joshua Schultheis, Mascha Malburg  20.09.2024

Vertreibung

Vor 600 Jahren mussten die Juden Köln verlassen - Zuflucht auf der anderen Rheinseite

Die älteste jüdische Gemeinde nördlich der Alpen - und dann ist auf einmal Schluss. Vor 600 Jahren verwies Köln seine Juden der Stadt. Viele zogen darauf gen Osten, manche kamen dabei nur ein paar Hundert Meter weit

von Johannes Senk  19.09.2024

Magdeburg

Jüdischer Kalender für 5785 in Sachsen-Anhalt veröffentlicht

Bereits vor Rosch Haschana ist er als Download verfügbar

 18.09.2024

Augsburg

Jüdische Kulturwoche beginnt in Bayerisch-Schwaben

Führungen, Konzerte und Workshops stehen auf dem Programm

 18.09.2024

Berlin

Für die Demokratie

Ehrenamtspreis für jüdisches Leben für das EDA-Magazin und »BeReshith«

von Katrin Richter  17.09.2024

Hochschule

»Herausragender Moment für das jüdische Leben in Deutschland«

Unter dem Dach der neuen Nathan Peter Levinson-Stiftung werden künftig liberale und konservative Rabbinerinnen und Rabbiner ausgebildet. Bei der Ausbildung jüdischer Geistlicher wird die Uni Potsdam eng mit der Stiftung zusammenarbeiten

von Imanuel Marcus  17.09.2024

Würdigung

Ehrenamtspreise für jüdisches Leben verliehen

Geehrt wurden das »EDA-Magazin« und der Verein BeReshit aus Sachsen-Anhalt

 16.09.2024

Hannover

Leib und Seele sind vereint

Die bucharische Gemeinde eröffnete in ihrem neuen Zentrum drei Mikwaot

von Michael B. Berger  16.09.2024

München

Wehmütig und dankbar

Die Religionslehrerin Michaela Rychlá verabschiedet sich nach knapp 30 Jahren in den Ruhestand

von Luis Gruhler  15.09.2024