Vor der großen Pinnwand in Haus 8 tummeln sich Schüler und studieren die Aushänge. Improtheater: Dienstag und Donnerstag, Chor: immer um 17 Uhr, Karten-Asse und Volleyballer suchen Mitspieler. Das Wetter verspricht ein wenig Sonne – wirklich warm wird es nicht. Großes Geländespiel am Donnerstag. Im Büro kann man Slacklines, Bälle und Filme ausleihen. Auf den ersten Blick wirkt es wie eine ganz normale Sommerfreizeit. Doch an der Wand gegenüber hängen ganz andere Zettel: A6 Rassismen und Kommunikation, A1 Was ist Kindheit?, B4 Präimplantationsdiagnostik, A7 Urban Mining.
Es ist die erste christlich-jüdische Sommerakademie am Werbellinsee bei Berlin. Für zwei Wochen verwandelt sich die Jugendherberge in eine Probe-Uni. Hier bekommen 61 Oberstufenschüler aus ganz Deutschland – katholisch, jüdisch, evangelisch – einen Vorgeschmack aufs Studium. Wie funktioniert Uni? Ist Jura wirklich das Richtige oder doch eher Psychologie? Und wie bezahlt man das alles?
»Ich bin hier in erster Linie, um etwas von den Studiengängen zu erfahren, die ich mir ausgesucht habe. In der ersten Woche mache ich Psychologie, das hat mich schon immer interessiert,« erklärt die 17-jährige Angela Pape aus Berlin. Auch Hedgar Roisenwasser sagt: »Ich überlege, Jura zu studieren, bin mir aber noch nicht ganz sicher.« Und der 17-jährige Daniel aus Freiburg hofft, dass er nach zwei Wochen »das Gefühl« hat, »dass ich mehr weiß und geistig und religiös weiter bin als vorher«.
Die christlich-jüdische Schülerakademie ist ein gemeinsames Projekt der konfessionsgebundenen Begabtenförderungswerke, also dem katholischen Cusanus, dem evangelischen Villigst und dem jüdischen Ernst-Ludwig-Ehrlich-Studienwerk (ELES). Planung, Betreuung, Workshops und Seminare gestalten aktuelle Stipendiaten der drei Werke.
Stipendium Für Thomas Lammel, Referent für Begabtenförderung bei ELES, hat die Akademie zwei Ziele. »Zum einen geht es darum, die Zusammenarbeit zwischen den Begabtenförderungswerken auf allen Ebenen zu vertiefen.« Dies gelte sowohl für Mitarbeiter als auch Stipendiaten. Wichtiger jedoch sei der Kontakt zu den Schülern. »In erster Linie geht es darum, die junge Generation – eine neue Generation – anzusprechen, und ihnen Studienberatung mit auf den Weg zu geben.
Wir möchten die Schüler erreichen, damit sie einerseits die ideale Studienwahl treffen und auch wissen, wo sie Beratung kriegen.« Deswegen ist die Akademie auch eine Gelegenheit für die Schüler, die Werke kennenzulernen und mehr über Bewerbung, ideelle und finanzielle Förderung zu erfahren.
Dafür braucht es keinen Programmpunkt. Schon am ersten Abend tauschen sich Schüler und Stipendiaten auf Treppenstufen und Parkbänken aus. Wie gut muss mein Abi sein? Wie funktioniert das bei Auslandssemestern? Für Jonas Fegert, Mitorganisator im Leitungsteam und ELES-Stipendiat, ist dieser informelle Austausch ein Hauptziel der Akademie. »Das sind alles sehr engagierte Schüler und potenzielle Stipendiaten«, erklärt er.
»Gerade daher ist es wichtig, dass man ihnen die Werke vorstellt und ihnen zeigt, wie man studieren und das auch finanzieren kann. Wir sind schon im Studium und können da auch Orientierungshilfe leisten, das ist schön.« Niemand solle aus finanziellen Gründen nicht studieren können, betont ELES-Mitarbeiter Lammel. Deswegen ist die Teilnahme an der Schülerakademie kostenlos und der Teilnehmerbeitrag freiwillig.
Warum lernen und nicht in der Sonne sitzen, ist für die Schüler ganz klar. »Es macht mir Spaß, Dinge zu wissen, Neues zu lernen«, erklärt der 18-jährige Kevin Martin und zitiert mal eben so nebenbei Mahatma Gandhi: »Lebe, als würdest du morgen sterben. Lerne, als würdest du ewig leben.« Auch Daniel Golikov aus Freiburg findet: »Wenn man die Möglichkeit hat, so etwas zu machen, muss man das nutzen. Ich finde, jeder sollte so weit wie möglich seinen Horizont erweitern.«
Koscher Von den ersten Gesprächen und Seminaren ist er begeistert: »Es sind tolle, gebildete Leute hier, mit denen man gut diskutieren kann. Wir waren gerade eine Minute im Zimmer, und schon ging’s los mit Integrationsdebatte und Beschneidungsurteil.« Und die Sommerstudentin Angela Pape ergänzt: »Mein Seminar war total toll. Besonders, dass die Leiter auf uns eingegangen sind und die Atmosphäre locker ist. Wir durften ganz viele Fragen stellen. Es war lustig.«
Auf dem Programm stehen neben den Seminaren auch religiöse Akzente. In Morgenimpulsen, Workshops und gemeinsamen Gottesdiensten sollen die Schüler gemeinsam Religion feiern, leben aber auch diskutieren. Fast alle sind mehr oder weniger in ihren Gemeinden aktiv, viele wurden durch Religionslehrer oder Pfarrer auf die Akademie aufmerksam.
Und so fragen schon in den ersten Tagen einige, ob denn alle Juden koscher essen oder worüber sich Katholiken und Protestanten eigentlich immer streiten. »Wir haben religiöse Workshops gemeinsam organisiert, in denen Glaubenstexte diskutiert werden. Außerdem hat jede Gruppe ihren eigenen Gottesdienst, der für alle offen ist. So kann jeder sehen, wie wir feiern, wie ihr feiert. Darauf bin ich auch gespannt,« sagt Organisator Jonas Fegert.