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Mit einem Klick zu Max Reinhardt

Es gibt Stadttouren, für die braucht man Fahrräder, dicke Pläne oder einen extra Guide. Und dann gibt es Touren, für die ein Smartphone oder ein Tablet ausreichen. Wie bei der App »Orte jüdischen Lebens in Berlin«. Hier zeigt ein blauer Pfeil mit Davidstern den eigenen Standort auf der virtuellen Karte, während man eigentlich vor einem orangenen Gebäude direkt gegenüber der Berliner Museumsinsel, in dem Anfang des 20. Jahrhunderts der große Theatermacher Max Reinhardt residierte, steht. »Am Kupfergraben 7« heißt die Adresse, und sie ist nur eine von vielen Anlaufpunkten, die in der App vorgestellt werden.

In dem von der Beuth-Hochschule für Technik entwickelten Programm geht es um jüdische Schicksale vor, während und nach der Nazizeit. Gefördert durch das Land Berlin und die Europäische Union entwarfen Gudrun Görlitz und der Historiker Christian Schölzel die App gemeinsam – zunächst vor allem für Touristen.

So kommt es, dass sich die meisten Orte der App im Berliner Stadtzentrum finden. Sie sind nach Bezirken oder alphabetisch geordnet. Inzwischen zeigen aber auch Schulen Interesse an dem Projekt, und so hat Görlitz vor Kurzem mit Lehrern diskutiert, wie sich die Anwendung für den Schulunterricht nutzen lässt.

Test Man muss aber nicht unbedingt ein Schüler sein, um die neun verschiedenen Touren zu beschreiten. Egal, ob man die »City Ost«- oder die »Modehäuser«-Tour wählt – alle Rundgänge beinhalten thematische und biografische Fakten. Etwas individueller gestalten sich die Wege, die man sich nach eigenem Interesse aussuchen kann. Wie der von Max Reinhardts Wohnung in Mitte bis zum Hans-Rosenthal-Platz in Wilmersdorf. Zwei Kartenansichten zeigen das heutige Berlin und die Stadt im Jahr 1944/45.

Berührt man auf dem Bildschirm den blauen Davidstern zu Max Reinhardts Wohnung, erscheint ein kurzer Text zum Leben des Starregisseurs, der am nahe gelegenen Deutschen Theater wirkte. Darunter finden sich eine heutige Aufnahme des Ortes, einige ziemlich gestellt wirkende Schwarz-Weiß-Fotos von Reinhardt und ein kurzer Video-Clip, in dem vom »Elementartrieb« des Menschen zum Theaterspielen die Rede ist. So weit, so gut. Auf der Google-Karte der App gibt es zahlreiche weitere blaue Pfeile in der Nähe und hinter jedem Klick eine Geschichte. »Modehaus Kersten & Tuteur« klingt interessant. Was ist der schnellste Weg dorthin?

Die App verrät ihn, aber die Funktion zur Routenberechnung ist leider etwas versteckt. Man muss die Informationsseite eines beliebigen Ortes aufrufen und dann das Navigationssymbol rechts oben anwählen. So gelangt man zur Leipziger Straße 36. Und erfährt durch die App, dass das eindrucksvolle Gebäude mit Glasfassade und Rundbögen einmal Jacob Tuteur und Willi Kersten gehörte. Vor der Nazizeit soll es berühmt gewesen sein für »gewagte Dekorationen« und »eindrucksvolle Modevorführungen«. Im dazugehörigen Video drehen und wenden sich Damen in teuren Kleidern. Jacob Tuteur, durch Boykottaufrufe in den wirtschaftlichen Ruin getrieben, musste die Firma verkaufen und beging Selbstmord. Heute stehen hinter den Fensterscheiben keine Modepuppen mehr, stattdessen stellt eine Galerie moderne Kunst aus.

Keramik Ein paar Gehminuten entfernt liegt das Mosse-Haus in der Schützenstraße. Ein Gebäude mit einer Fassade aus Eisen und Keramik im Stil der klassischen Moderne. Benannt ist das Haus nach dem Verleger Rudolf Mosse, für dessen »Berliner Tageblatt« bekannte Journalisten wie Theodor Wolff und Kurt Tucholsky schrieben. Das kurze Video der App zeigt nicht nur das Mosse-Haus, sondern auch den Berliner Alltag der 20er-Jahre: Auf dem Bürgersteig vor dem Bahnhof Zoologischer Garten sitzt ein alter Mann auf einem Holzhocker und verkauft Zeitungen.

Auf solche Videos ist Gudrun Görlitz besonders stolz. Christian Schölzel sei »durch die Archive gekrochen«, um solches Material aufzutreiben, sagt sie.

Wer sich nicht selbst einen Spaziergang überlegen möchte, kann auf eine der neun Stadttouren zurückgreifen. Darunter finden sich solche wie »City West«, die Orte jüdischen Lebens in Charlottenburg ansteuert, Routen zu einzelnen Persönlichkeiten wie Hans Rosenthal oder auch zu aktuellen und einstigen Synagogen der Stadt. Dabei empfiehlt es sich, ein wenig mit der kostenlosen App herumzuspielen, denn nicht alle Funktionen sind gleich offensichtlich. So verbergen sich unter dem Info-Button in der rechten Bildschirmecke nicht nur das Impressum, sondern auch eine Zeitleiste der Jahre 1933 bis 1945 und informative Texte der politischen Epochen und des jüdischen Lebens in Deutschland.

Nollendorfplatz Vom Mosse-Haus und dessen Zeitungsvergangenheit geht es weiter, einmal quer durch die Stadt zu Else Laskers-Schülers einstigem Wohnort in der Motzstraße 7. Hier, in unmittelbarer Nähe zum U-Bahnhof Nollendorfplatz, lebte die Schriftstellerin in einem kleinen Zimmer im »Hotel Koschel« von 1924 bis 1933. Eine Glasplatte an der weinroten Hauswand erinnert daran.

Die App gibt noch zusätzliche Informationen, wie beispielsweise die, dass Else Lasker-Schüler 1933 nach Zürich floh. Und dass sie in dem selben Jahr, als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, ein SA-Schlägertrupp überfallen hat. Weit weg wirkt diese Zeit heute in der Motzstraße. Zwar findet sich unter der Adresse noch immer ein Hotel, aber am Klingelschild klebt ein runder Aufkleber: »Wir im Regenbogenkiez. Für Toleranz und Vielfalt.«

Hans Rosenthal Weiter geht es vorbei an der ehemaligen Wohnung von Franz Hessel. Der Mann hat nicht nur Casanova, Balzac und Proust ins Deutsche übersetzt, sondern auch das Buch Spazieren in Berlin geschrieben. Die App zeigt einen historischen Umschlag des Buches, in dem Hessel durch die Hauptstadt der 20er-Jahre flaniert und ihr Leben beschreibt. Schließlich gelangt man zum Hans-Rosenthal-Platz.

»Dalli Dalli, das sagt doch alles«, entscheidet der Pförtner im RIAS-Gebäude des Deutschlandradios, darauf angesprochen, was er mit dem Namen Hans Rosenthal verbinde. Mit Dalli Dalli meint er die legendäre Quiz-Sendung, die Hans Rosenthal moderierte. Natürlich erinnert sich der Pförtner auch an Rosenthals berühmten Luftsprung, den er in seine Show einbaute. Die App gibt zu dieser Anekdote wie gewohnt einen knappen lexikalischen Überblick über Rosenthals Leben, seine Zeit im Versteck während der Naziherrschaft und dass er bei RIAS als Redakteur arbeitete.

Als Testergebnis für die App kann man definitiv festhalten: ein tolles und insgesamt einfach zu bedienendes Mittel, um das frühere jüdische Berlin zu erkunden.

Die App kann für Android-Smartphones über Google Play und iPhones im Apple App Store kostenlos heruntergeladen werden.

projekt.beuth-hochschule.de/ojl

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