Inge Meinhold sitzt mit ihrem Sohn Philip in einem Café in Moabit – in unmittelbarer Nähe der Putlitzbrücke. Von dort aus mussten seit Januar 1942 mehr als 32.000 Juden die qualvolle Deportation ins Konzentrationslager antreten. Auch Inge Meinholds jüdische Großmutter.
»Mit dem Zug wurde sie über Dresden nach Theresienstadt deportiert«, erzählt die pensionierte Lehrerin. Lieblingstante Trude und deren Mann wurden ebenfalls verschleppt und nach Auschwitz deportiert. Wie durch ein Wunder überlebten alle drei das KZ und das Vernichtungslager und kehrten nach Berlin zurück. Über diese Familiengeschichte hat ihr Sohn Philip Meinhold ein Buch geschrieben.
lager »Selbstverständlich wusste ich als junges Mädchen, dass meine Großmutter im Lager war«, sagt die 70-Jährige. »Aber sie sprach nie über diese Zeit.« Alle Informationen erfuhr sie aus zweiter Hand. »Einmal erzählte Tante Trude meiner Mutter in einer einzigen Nacht, was sie in Auschwitz erlebt hatte. Danach verbot sie ihr ausdrücklich, jemals wieder danach zu fragen.«
Doch die Vergangenheit ließ Inge Meinhold nicht los. In den 80er-Jahren fuhr sie mit einem Lehrerseminar nach Auschwitz, nun wollte sie noch einmal dorthin reisen – diesmal mit Kindern und Enkeln.
»Ich fühlte mich zuerst überrumpelt und habe nicht gleich auf ihren Wunsch reagiert«, gesteht Philip. »Vielleicht war es persönliche Abwehr, das Thema nicht zu nah an mich herankommen zu lassen«, vermutet der Journalist. »Ich wusste ja, dass es einen jüdischen Zweig in der Familie gab. Jedoch war das für mich irgendwie abstrakt geblieben.«
interviews Doch die Mutter ließ nicht locker. So reiste die Familie gemeinsam nach Polen. Zuvor zeichneten sie einen Stammbaum – mit Fotos und Daten aller Verwandten. Aus den einzelnen Fragmenten ergab sich nun für die sechs mitfahrenden Kinder und Enkel erstmals die komplette Familiengeschichte. »Die gar nicht so lange her ist«, wie der 15-jährige Jonas erstaunt feststellte.
Der Guide in Auschwitz überschüttete die Familie jedoch geradezu mit Informationen. Zudem irritierten die Massen an Touristen. »Mein Bruder kam deshalb nicht mit nach Birkenau, er wollte einfach alleine zwischen den Baracken verweilen«, erzählt Philip Meinhold.
Er selbst interviewte seine Verwandten vor und nach der Reise und schrieb ein Buch. »Das war vielleicht mein Trick, um mich intensiver mit den Eindrücken und Wahrnehmungsebenen auseinanderzusetzen.« Den Titel hat Meinhold bewusst gewählt. Denn auch nach 71 Jahren seien Kinder, Enkel und Urenkel der Überlebenden Erben der Erinnerung.