Gemeindetag

Mit dem Segway durch Berlin

Der Gemeindetag des Zentralrats der Juden in Deutschland hat am Donnerstagabend mit der Verleihung des Leo-Baeck-Preises an den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands, Nikolaus Schneider, in Berlin begonnen. Er endet am Sonntag mit der traditionellen Ratstagung des Zentralrats der Juden für die Delegierten, zu denen am Mittag Bundespräsident Joachim Gauck sprechen wird.

Zwischen diesen beiden Eckpunkten wird ein vielfältiges Programm angeboten, das mit Erkundungstouren durch die Stadt und seine jüdischen Hotspots bereits am Donnerstagmittag begann. So konnten die Teilnehmer beispielsweise per Segway Berlin erkunden. Einer, der sich auf das zweirädrige Gefährt begab, war Reuven Konnik, Rabbiner in Potsdam. Gemeinsam mit 20 weiteren Fahrerinnen und Fahrern erkundet Konnik den Westen Berlins auf diese Weise.

Auftakt
Rund 13 Touren rund um und in Berlin haben die etwa 700 Teilnehmer zum Auftakt besuchen können. Susanne Weisz aus Berlin ist begeistert: »Ich fahre zum ersten Mal mit einem Segway und finde es sehr spannend.« Auch der Geschäftsführer der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund, Alexander Sperling, freute sich über die Tour, die die Teilnehmer zum Zoologischen Garten und Tiergarten, vorbei an der Siegessäule bis hin zum Bendlerblock führte. Beide sind beim Gemeindetag, um vor allem neue Kontakte zu knüpfen, aber auch Mitglieder aus anderen Gemeinden, Bekannte und Freunde zu treffen. Auch Mihail Rubinstein ist deswegen aus Waiblingen nach Berlin gekommen. Er ist schon öfter Segway gefahren: in Südfrankreich, Kanada und nun auch in Berlin. »Es ist genial«, ruft er immer wieder.

Geschützt mit Fahrradhelm, ausgerüstet mit Handschuhen und einer neongelben Warnweste, fahren die Segways in zwei Gruppen durch den grauen Berliner Novembertag, erfahren, woher die Siegessäule ihren Namen hat und was im Bendlerblock geschah. Auch die vielen historischen Fakten können die Laune der Segway-Tour-Teilnehmer nicht trüben. Denn trotz der Kälte können alle kaum abwarten, wieder auf die fahrbaren Untersätze zu kommen. Mit einer Vorwärtsbewegung wird das Segway schneller, verlagert man das Gewicht nach hinten, bremst man. Absteigen, und das fällt nach fast eineinhalb Stunden schwer, sollte man immer nur dann, wenn noch beide Hände am Gerät sind. Denn sonst fährt das Segway allein weiter.

Zur gleichen Zeit mustert Arieh Farsaneh beeindruckt das Soho House Berlin. Den Kopf in den Nacken gelegt, wandert der Blick des 61-jährigen Freiburgers Stockwerk für Stockwerk das exklusive Hotel hinauf. Weiß und klobig, fast majestätisch steht das 1928 vom jüdischen Architekten Friedländer errichtete Gebäude vor ihm in der Torstraße in Berlin-Mitte. »Das ist ja allerhand, was meine aschkenasischen Brüder und Schwestern damals in Berlin alles auf die Beine gestellt haben«, sagt der Sefarde anerkennend und lacht. »Was für eine Schande, dass die Deutschen diese Bautradition ausgelöscht haben.«

Architektur Wie Farsaneh haben am Donnerstagnachmittag rund 30 Besucher des Gemeindetages an der Busrundfahrt »Vergessene Jüdische Architekten – Bauten der Großstadt« teilgenommen. Auf dem Programm standen unter anderem die frühere jüdische Mädchenschule in der Auguststraße, der Wohnkomplex Gartenstadt Atlantic in Wedding sowie die Volksbühne in Mitte.

»Mit der Rundfahrt wollen wir das Andenken an die vielen bedeutenden jüdischen Architekten in Berlin wiederbeleben«, erklärt Claudia Marcy, Kunsthistorikerin und Leiterin der Bustour. Durch die Führung werde konkret das Wirken und das Schicksal derjenigen hervorgehoben, die unter der Zerstörung zu leiden hatten. Vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 seien es insbesondere jüdische Architekten gewesen, die Berlins Stadtbild maßgeblich geprägt hätten, so Marcy.

Davon überzeugt sich an diesem Nachmittag auch Leonid Gouber aus Frankfurt. Der 63-Jährige ist überrascht, wie viel sich seit seinem letzten Besuch im Jahr 1994 in der Hauptstadt geändert hat. Am meisten beeindruckt und berührt ist er jedoch von den vielen Schicksalen der jüdischen Architekten während der NS-Zeit. Siegfried Friedländer zum Beispiel, der 1927 die Mädchenschule der Jüdischen Gemeinde zu Berlin baute, wurde 1943 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert – und wenig später von den Nazis ermordet.

ZOO Leichtere Kost wird den Besuchern bei der Tour durch den Zoologischen Garten geboten. Weißstörche sind Symbole für Ordnung, Tauben für Frieden, Adler für Schutz. Rund 20 Gemeindetagsteilnehmer ließen sich durch den Zoologischen Garten Berlin führen und über die Tiere der Bibel aufklären. Dabei erfahren sie nicht nur, welche Tiere dort überhaupt vorkommen oder sogar in Israel heute noch heimisch sind, sondern auch, welche Überlebensstrategien sie entwickelt haben. Zum Beispiel kann die Antilope ihr Blut als eine Art Kühlflüssigkeit benutzen und hält sogar Körpertemperaturen bis zu 48 Grad aus. Paviane markieren ihr Familienreich per Urin, und Weißstörche gelten als ausgesprochen gute Brutpfleger.

Michael Rubinstein aus Duisburg haben es die Bartgeier angetan. »Heute gibt es Entenbrust«, meint der Geschäftsführer, als ein besonders schönes Prachtexemplar mit seiner Flügelspanne von guten 1,60 Meter ein Riesenstück wegschleppte. Eigentlich fräßen sie nur Knochen, erklärt die Biologin, die die Gruppe begleitet. Ein anderes frappierendes Beispiel: Flusspferde können nicht schwimmen. Sie stoßen sich lediglich immer wieder mit den Hinterbeinen vom Flussbett ab, um an die Oberfläche zu gelangen. Das war für viele der Höhepunkt des rund zweistündigen Rundganges bei eisiger Kälte.

Programm Am Freitag geht das Programm weiter mit einem gemeinsamen Gedenken am »Gleis 17«. Anschließend sind zahlreiche Workshops anberaumt, für die sich die rund 700 Teilnehmer im Vorfeld anmelden konnten. Sie reichen von koscherer Küche und Kostproben mit dem israelischen Starkoch Tom Franz über politische Fragen bis hin zur strategischen Partnerschaft zwischen der Türkei und Israel, von der Beschneidungsdebatte bis hin zu den Themen »Würde im Alter« oder »Jüdische Religion zwischen Tradition und Moderne«. Am Nachmittag stellt sich das Zentralratspräsidium vor, bevor es dann nach weiteren Workshops rund um jüdische Identität, Rechtsextremismus oder Judentum in Europa in die Schabbatfeierlichkeiten geht.

Während sich die Delegierten der Ratstagung dem jährlichen Tätigkeitsbericht, einem Jahresrückblick, dem Wirtschaftsplan und künftigen Aufgabenfeldern widmen, haben die Gäste des Gemeindetages am Sonntag weitere Gelegenheit, sich im Jüdischen Museum einzelnen Führungen unter verschiedenen Gesichtspunkten – wie das Verhältnis von Judentum, Christentum und Islam oder Deutsche Juden im 19. Jahrhundert – anzuschließen. Sie sind aber auch zum Besuch des Bundespräsidenten bei der Ratsversammlung eingeladen, um sich anschließend nochmals die ganz besondere Geschichte Berlins als ehemals geteilter Stadt beispielsweise im Haus am Checkpoint Charlie anzusehen.

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