Ulm

Mit blinder Zerstörungswut

Die neue Synagoge Ulm wurde 2012 eröffnet. Foto: imago

Sie kamen in der Gruppe. Einer schulterte einen Metallpoller und rammte ihn gegen die Außenwand der Synagoge, die anderen schauten zu. Eine Woche später kehrte vermutlich derselbe Täter zurück. Wieder nicht allein. Er trat mit brutaler Zerstörungswut gegen die vorgeschädigte Fassade, brach ein Loch in die Wand.

Und noch in derselben Nacht vollendete er sein feiges Werk und trat noch einmal gegen die Wand. Das ohnehin schon gebrochene Fassadenelement wurde komplett aus der Fassung gerissen und in die Wärmedämmung des Gebäudes gedrückt. Passanten, die zufällig unterwegs waren – Zeugen also – sahen zu oder weg und schweigen bis heute.

Zeitpunkt »Ob es sich bei den an den Wochenenden 25./26. August und 1./2. September verübten Attacken um denselben Täter handelt, wissen wir mit aller Sicherheit noch nicht«, sagt Wolfgang Jürgens. Auf jeden Fall sei »erheblicher Sachschaden entstanden, den wir noch nicht beziffern können«, sagt der Pressesprecher des Polizeipräsidiums Ulm. »Die Ermittlungen liegen bei den Kollegen der Kriminalpolizei«, sagt Wolfgang Jürgens. Das sei sonst bei Sachbeschädigungen nicht üblich und zeige, »dass wir intensiv ermitteln«.

Für Schneur Trebnik stellt sich der Sachverhalt kompliziert dar. »Wir sind in einem kleinen Dilemma«, sagt der Rabbiner der Ulmer Synagoge. Natürlich werde in der Gemeinde über die Beschädigung gesprochen. Und alle fragten sich, warum denn keiner der nächtlichen Passanten sein Handy gezückt und die Polizei gerufen habe. Das mache den Gemeindemitgliedern Angst. »Es gibt genügend Familien, vor allem mit Kindern, die sich fragen, ob sie sich in der Öffentlichkeit als Juden zu erkennen geben sollen«, so Trebnik weiter. Das Klima sei schlechter geworden, öffentliche Anfeindungen hätten »leider zugenommen«.

Beschimpfungen Schneur Trebnik sieht ein weitreichendes Problem und sagt: »Politik und Polizei spielen antisemitische Vorfälle herunter.« Werde ein Mitglied der Gemeinde auf der Straße beschimpft, müsse das zu einem Aktenvermerk führen, um im Wiederholungsfall schneller zu Personenidentifikationen zu kommen. Wolfgang Jürgens erklärt dazu: »Üblicherweise wird bei Persönlichkeitsdelikten die Zugehörigkeit zu einer Religion in den Akten nicht vermerkt.«

Er räumt jedoch ein, dass im Fall eines »erkennbar orthodox gekleideten Mannes« der Sachstand ein anderer ist. »Wir dürfen im aktuellen Fall nicht davon ausgehen, dass ein schlecht gelaunter 30-Jähriger zufällig die Synagoge zur Zielscheibe seines Frusts gemacht hat«, kommentiert das Rabbiner Trebnik.

vorurteile Welche Vorurteile in den Köpfen herrschen, macht der Rabbiner an einem Beispiel deutlich. »Vor einiger Zeit hatten wir in der Synagoge Besuch jugendlicher Muslime, die der festen Überzeugung waren, nur aufgrund der Nazi-Vergangenheit in Deutschland hätten wir die Synagoge bauen können.« Er habe die Diskussion sofort gestoppt und erklärt, Grundstückserwerb und Synagogenbau seien von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) selbst finanziert worden und nicht Folge irgendeiner »Entschädigung«.

Indes machte die IRGW ein überraschendes Angebot. Vorstandssprecherin Barbara Traub sagte: »Die Täter sind offenbar gezielt zurückgekommen, um die Fassade der Synagoge am Weinhof zu beschädigen.« Dabei sei ein Schaden von geschätzten 3000 bis 4000 Euro entstanden. Würden sich die Täter jedoch reumütig zeigen oder sich bei der IRGW unter der Telefonnummer 0711/228 36 24 melden, wolle die Religionsgemeinschaft von einer Strafanzeige absehen. Inzwischen werde die Gemeinde die Tat jedoch weiter verfolgen lassen. Auch der Rat der Religionen Ulm hatte die Tat auf das Schärfste verurteilt. Er sei überzeugt, dass der Angriff auf die Synagoge »dem jüdischen Leben in Ulm als Ganzem gilt«.

Hinweise nimmt die Kriminalpolizei Ulm unter Telefon 0731/1880 entgegen.

Ruhrgebiet

»Und weil er hofft und liebt«

Recklinghausen gedachte des Gemeindegründers Rolf Abrahamsohn an dessen 100. Geburtstag

von Stefan Laurin  16.03.2025

Ausstellung

Fragile Existenz

Das Jüdische Museum Berlin zeigt historische Fotos aus den Gemeinden der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit

von Eugen El  16.03.2025

Gedenken

Der vergessene Ingenieur

Die Stadt setzt Erinnerungszeichen für Arthur Schönberg, den Mitbegründer des Deutschen Museums, und drei Angehörige seiner Familie

von Luis Gruhler  16.03.2025

Frankfurt

Bildungsarbeit gegen Rassismus und Fake News

Antisemitismus im Keim ersticken - das versucht das Jüdische Museum mit einer Workshop-Reihe an Schulen

von Lukas Fortkord und Ina Welter  16.03.2025

Porträt der Woche

Die Zuhörerin

Mariya Dyskin ist Psychologin und möchte sich auf Kriegstraumata spezialisieren

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.03.2025

Berlin

Staatsanwaltschaft: Deutlich mehr antisemitische Straftaten

Im vergangenen Jahr wurden 756 Fälle registriert

 16.03.2025

Erfurt

Israelischer Botschafter besucht Thüringen

Botschafter Ron Prosor wird am Montag zu seinem Antrittsbesuch in Thüringen erwartet

 15.03.2025

Interview

»Wir reden mehr als früher«

Rabbiner Yechiel Brukner lebt in Köln, seine Frau Sarah ist im Herbst nach Israel gezogen. Ein Gespräch über ihre Fernbeziehung

von Christine Schmitt  13.03.2025

Bundeswehr

»Jede Soldatin oder jeder Soldat kann zu mir kommen«

Nils Ederberg wurde als Militärrabbiner für Norddeutschland in sein Amt eingeführt

von Heike Linde-Lembke  13.03.2025