WIZO

Mit Blick von außen

Noch ein Film über Deutsche und Juden? Diese Frage schwang bei vielen Zuschauern mit, die am Donnerstagabend der Einladung des Berliner WIZO-Teams in das Hollywood Media Hotel gefolgt waren, um Germans & Jews zu sehen, einen Dokumentarfilm der New Yorker Filmemacherinnen Tal Recanati und Janina Quint.

Doch es sei zweifellos »ein wichtiger Film«, meint Alice Brauner, die den WIZO-Abend als Gastgeberin und Moderatorin beim anschließenden Podiumsgespräch unterstützte. Denn er beleuchte »die ganze Vielschichtigkeit des deutsch-jüdischen Verhältnisses« und bringe »jüdische und nichtjüdische Deutsche wirklich miteinander ins Gespräch«.

idee Diese Erfahrung haben auch die beiden Filmemacherinnen während der Dreharbeiten immer wieder gemacht. »Am Anfang stand Ungläubigkeit: In Deutschland leben noch Juden? Und dann auch noch eine so buntgefächerte, dynamische Gemeinschaft – aus Schoa-Überlebenden und ihre Familien, Israelis und Juden aus der früheren Sowjetunion? Das war für mich unfassbar«, bekennt Tal Recanati, die den Film produziert hat. Also fuhr sie 2008 nach Berlin, zum ersten Mal überhaupt. Damals sei ihr bewusst geworden, wie »grundlegend die Deutschen ihre Geschichte aufgearbeitet haben«.

Diese Entwicklung habe sie zeigen wollen. Berlin als Ort mit der am stärksten wachsenden jüdischen Bevölkerung Europas lag dabei für die beiden Filmemacherinnen als Dreh- und Angelpunkt auf der Hand. In vielen Gesprächen mit ihrer langjährigen Freundin, der Regisseurin Janina Quint, einer Deutschen, die seit 30 Jahren in den USA lebt, sei daraus schließlich die Idee zu dem Film entstanden.

Dieser Blick »von außen« kommt dem Film zugute: Berliner Juden, nichtjüdische Berliner, israelische Musiker, russisch-jüdische Zuwanderer kommen auf persönlicher Ebene bei einem gemeinsamen Abendessen miteinander ins Gespräch, und das erstaunlich direkt. Die Tischunterhaltungen verwebt Regisseurin Quint geschickt mit den historischen und sozialpsychologischen Einschätzungen von Wissenschaftlern, Rabbinern und Juristen.

protagonisten In dem Film kommen darüber hinaus prominente Gesprächspartner zu Wort, darunter der Historiker Fritz Stern, der Sänger Herbert Grönemeyer und der Theologe Wolfgang Huber. Sämtliche Protagonisten blättern ihre Gedanken, Empfindungen und Familiengeschichten mit erfrischender Ehrlichkeit vor den beiden Amerikanerinnen auf – das macht diesen Film so sehenswert.

»Auschwitz war bei uns jeden Tag Thema«, sagt etwa der Berliner Unternehmer Ariel Cukiermann, und Herbert Weber, Lehrer und Politikwissenschaftler in Berlin-Wedding, gibt zu, das Wort »Jude« über die Lippen zu bringen, falle ihm nicht leicht, und berichtet von der zähen Auseinandersetzung mit seinem Vater und dessen Nazi-Vergangenheit.

Mit Kameraschwenk auf eines der vielen Mahnmale in der deutschen Hauptstadt sagt ein Schüler: »Ja, wir wollen wissen und müssen verstehen, damit so etwas wie der Holocaust nie wieder passiert aber ich fühle mich nicht mehr schuldig.« Und Rebecca Gop, die in den 60er-Jahren als Kind polnischer Schoa-Überlebender in Berlin geboren wurde, bekennt: »Als mein Sohn bei den Maccabi Games 2011 in Wien enthusiastisch ›Deutschland, Deutschland‹ rief, konnte ich zum ersten Mal sehen, wie viel in Deutschland wirklich passiert ist.«

Reaktionen »Ist Normalität zwischen Deutschen und Juden heute wieder möglich?«, fragt Alice Brauner nach dem Film. Die werde es wohl nie geben, meint Regisseurin Janina Quint. »Aber wenn man den Eindruck aus dem Film mitnimmt, dass es ein differenziertes Thema ist, und die Gefühle auf beiden Seiten versteht, achtet und darüber redet, dann kann man offener sein, dann steht das Unausgesprochene nicht mehr so massiv im Raum.«

Deutsche und Juden verbinde eine besondere Beziehung, ist Tal Recanati überzeugt. »Wo auch immer wir den Film zeigen«, sagt sie, »sind die Zuschauer überrascht vom Wandel, der in Deutschland seit Kriegsende passiert ist – vom Selbstbild als ›Opfer‹ und dem Schweigen und Verdrängen der ersten Jahrzehnte bis hin zu Bürgerbewegungen wie den Stolpersteinen.«

Amerikanisches Publikum fasziniere vor allem »die Kraft der Zivilgesellschaft« im heutigen Deutschland. »Die Geschichte von Deutschen und Juden ist komplex und voller Nuancen – es geht nicht nur um Geschichte und Aufarbeitung«, meint die 53-Jährige, sondern vielmehr um »Anerkennung, Wahrnehmung von Verantwortung und Versöhnung – und damit universelle Fragen, die jede Gesellschaft angehen« so Recanati. So habe der Film in den USA »viele Fragen angeregt zum Umgang mit eigenen gesellschaftlichen Themen, etwa dem Verhältnis von Schwarzen und Weißen in Amerika«, freut sich die Produzentin.

vorführungen Nach seiner Premiere in New York Germans & Jews in allen großen Städten der USA gezeigt. Darüber hinaus lief der Film bei Jüdischen Filmfestivals in Jerusalem, London und Kopenhagen. In Deutschland machte sich das WIZO-Team dafür stark, ihn zu präsentieren.

So zeigte die WIZO Frankfurt den Film am 19. Februar ihrer Reihe »WIZO gets in touch« mit zwei ausverkauften Vorstellungen im Programmkino Orfeo’s Erben; im März wird er bei den Jüdischen Filmtagen in München zu sehen sein. Der Erlös des Filmabends in Berlin kommt dem WIZO-Kindergarten Neve Yaakov in Jerusalem zugute.

Porträt der Woche

Die Zuhörerin

Mariya Dyskin ist Psychologin und möchte sich auf Kriegstraumata spezialisieren

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.03.2025

Berlin

Staatsanwaltschaft: Deutlich mehr antisemitische Straftaten

Im vergangenen Jahr wurden 756 Fälle registriert

 16.03.2025

Erfurt

Israelischer Botschafter besucht Thüringen

Botschafter Ron Prosor wird am Montag zu seinem Antrittsbesuch in Thüringen erwartet

 15.03.2025

Interview

»Wir reden mehr als früher«

Rabbiner Yechiel Brukner lebt in Köln, seine Frau Sarah ist im Herbst nach Israel gezogen. Ein Gespräch über ihre Fernbeziehung

von Christine Schmitt  13.03.2025

Bundeswehr

»Jede Soldatin oder jeder Soldat kann zu mir kommen«

Nils Ederberg wurde als Militärrabbiner für Norddeutschland in sein Amt eingeführt

von Heike Linde-Lembke  13.03.2025

Hamburg

Hauptsache kontrovers?

Mit der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille wurde die »Christlich-Jüdische Zusammenarbeit 2025 – 5785/5786« eröffnet. Die Preisträger sind in der jüdischen Gemeinschaft umstritten

von Heike Linde-Lembke  13.03.2025

Purim

Schrank auf, Kostüm an

Und was tragen Sie zum fröhlichsten Fest im jüdischen Kalender? Wir haben uns in der Community umgehört, was in diesem Jahr im Trend liegt: gekauft, selbst gemacht oder beides?

von Katrin Richter  13.03.2025

Feiertag

»Das Festessen hilft gegen den Kater«

Eine jüdische Ärztin über Alkoholkonsum an Purim und die Frage, wann zu viel wirklich zu viel ist

von Mascha Malburg  13.03.2025

Berlin

Persien als Projekt

Eigens zu Purim hat das Kunstatelier Omanut ein Wandbild für die Synagoge Pestalozzistraße angefertigt

von Christine Schmitt  13.03.2025