Porträt der Woche

Mit Bildern und Worten

Shimon Motsa ist Mediengestalter und möchte die Gemeinde sichtbarer machen

von Brigitte Jähnigen  03.09.2023 07:01 Uhr

»Unsere Gemeinde will innovative Wege gehen. Also schaffe ich digitale Strukturen«: Shimon Motsa aus Stuttgart Foto: Meira Motsa

Shimon Motsa ist Mediengestalter und möchte die Gemeinde sichtbarer machen

von Brigitte Jähnigen  03.09.2023 07:01 Uhr

Was machst du eigentlich? Das ist die Frage, die mir unverhältnismäßig oft gestellt wird. Ich bin zwar ein Kind der Stuttgarter Gemeinde, viele kennen mich, aber dass ich seit einigen Monaten das Familienreferat betreue, ist neu.

Wir haben eine Kita mit Warteliste, eine jüdische Grundschule, es gibt das Jugendzentrum, und jüdischer Religionsunterricht kann bis zum Abitur als versetzungsfähiges Pflichtfach gewählt werden. Was will ich damit sagen? Es gibt eine Menge junges Leben bei uns, auch wenn das vielleicht im Gottesdienst so nicht sichtbar ist. Ich bin ausgebildeter Mediengestalter Bild und Ton, und das kommt jetzt meiner Arbeit sehr zugute.

community Die Gemeinde will innovative Wege gehen. Also schaffe ich digitale Strukturen. Zum Beispiel gab es bis zu meiner Einstellung keinen Instagram-Account. Und die verschiedenen WhatsApp-Gruppen vereinige ich zu einer Community. Wir werden auch Videos über die Vielfalt unseres Gemeindelebens produzieren und sie auf die Gemeindeseite stellen. Unsere Community ist mit etwa 2500 Mitgliedern in Stuttgart und allen Zweigstellen die siebt­größte Gemeinde in Deutschland. Aber wir wollen sichtbarer werden; auch über die Landesgrenzen hinaus.

Ich bin gebürtiger Stuttgarter mit estnischem Pass und habe zwei Vornamen: Roman und Shimon. Den Namen Roman haben mir meine Eltern gegeben, weil es einer sein sollte, der sowohl im Russischen als auch im Deutschen gut klingt, Shimon habe ich seit meiner Brit Mila von meinem Urgroßvater.

Wir haben nicht viel Tradition, die wir weitergeben konnten. Die Eltern meiner Mutter stammen aus Tallinn und sprachen Jiddisch. Hingegen aus Moldawien stammen die Eltern meines Vaters. Mein Opa lebt noch in Stuttgart. 91 Jahre alt ist er mittlerweile.

MUTTERSPRACHE Im Dezember 1994 sind meine Eltern als Kontingentflüchtlinge nach Stuttgart gekommen. Verständlicherweise waren sie sehr unsicher, was ihre Zukunft betraf. Einziger sozialer Bezugspunkt war die jüdische Gemeinde vor Ort. Damals war alles noch sehr klein. Die jüdische Grundschule zum Beispiel gab es noch nicht. Also ging ich in die Grundschule am Burgholzhof und anschließend ins Leibniz-Gymnasium. Dort wurde Russisch als Schulfach angeboten.

Meine Eltern gehörten zu den 40 Prozent Bürgern, die in Estland Russisch sprachen. Meine Muttersprache ist also Russisch. Am Gymnasium gab es aber auch einen musikalischen Zweig. Klavier hatte ich schon in der Grundschule gelernt, aber so richtig Lust dazu hatte ich nicht. Die Bratsche war dann am Gymnasium mein Instrument, von Anfang an. Und es gab ein Schulorchester. Die Instrumente wurden subventioniert, und man konnte eines anmieten.

Der Jugendfilmpreis war eine unglaublich schöne Erfahrung.

Wir haben viel Klassik gespielt, aber auch Werke der Moderne. Die Liebe zu dieser Musik ist geblieben, neben Rock, Pop und Filmmusik höre ich immer wieder Klassik. Vor allem, als ich Drehbücher geschrieben habe, habe ich Musik als Inspiration ganz bewusst ausgesucht.

werbefilmagentur Nach dem Abitur wollte ich zur Filmakademie Ludwigsburg. Aber ich hatte noch keine praktischen Erfahrungen. Ich fand einen Platz in einer Werbefilmagentur, bei der mir der Chef eine verkürzte Ausbildung anbot. Das wollte ich nicht ausschließen, und so war ich nach zwei Jahren Mediengestalter Bild und Ton. Schließlich wurde ich übernommen.

Mein großes Ziel war aber noch immer ein Studium an einer Filmakademie. Das ist aber sehr, sehr schwierig. Für zwölf Studienplätze gibt es 800 Bewerbungen, aber leider keinen für mich. Zeitgleich interessierte ich mich immer mehr für mein Judentum. In der Schule war es nie ein Problem, jüdisch zu sein. Und mein Ausbildungschef war so wohlwollend, dass er mich einmal im Winter schon um 14 Uhr daran erinnerte, dass es bald dunkel wird. Als ich unsere Gemeinde mit Gesang und Performances bei der Jewrovision 2014 vertrat, hockten meine Kollegen vor zwei Bildschirmen. An einem haben sie den Auftritt verfolgt, am anderen gearbeitet.

Zwischen meiner Schulzeit und meiner Ausbildung habe ich privat mehrere Filme produziert, die teilweise auch im Stream zu sehen sind. Mit meinem ersten großen Filmprojekt Georg Elser – Das Attentat habe ich den Jugendfilmpreis Baden-Württemberg 2013 im Rahmen der Filmschau Baden-Württemberg in der Kategorie »Bester Dokumentarfilm« gewonnen. Der Film handelt vom Schreiner Georg Elser, der 1939 den letzten Attentatsversuch auf Hitler verübt hatte, bevor der Zweite Weltkrieg ausgebrochen ist.

ABSCHLUSSARBEIT Der Jugendfilmpreis Baden-Württemberg war eine sehr surreale, aber unglaublich schöne Erfahrung, wenn man bedenkt, wie toll es ist, seinen eigenen Film in einem Kinosaal zu sehen und dann auch noch einen so großen Preis gewinnen zu können. Auch der Abschlussfilm meiner Ausbildung Sprachmemo reicht gewann damals einen Baden-Baden Award der IHK Karlsruhe 2015 für die beste Abschlussarbeit in einem Ausbildungsberuf in der Medienbranche.

Nach der Reli-Schule und dem mündlichen Abitur in Religion ging ich ab 18 regelmäßig in die Synagoge. Infiziert hatte mich ein Pessach-Seminar in Leipzig. Immer wieder war ich dann bei Machanot. In der Gemeinde hatte ich mich mit ein paar Familien angefreundet, die mich auch zum Schabbat einluden.

Ich wollte meine Kontakte zum Judentum intensivieren und ging nach Israel. Mein Ziel war es, ein hebräisches Buch aufzuschlagen und es in Hebräisch lesen zu können. Eineinhalb Jahre blieb ich in einer Jeschiwa in Jerusalem. Es kamen Teilnehmer, die wie ich schon eine Ausbildung hatten. Was ich bekommen habe, ist Hintergrundwissen. Meine Denkstruktur hat sich verändert. Es gibt im Judentum immer etwas zu lernen, denn es gibt nichts, was es nicht gibt.

talmud Die Texte des Talmuds habe ich anfangs mehr erahnt als richtig gelesen. Es gibt keinen Punkt, kein Komma. Man muss die Phrasierung lernen. Wenn man es falsch macht, kommt Blödsinn heraus. In der Jeschiwa habe ich auch Kaschrutregeln gelernt, die ich in meiner neuen Stelle in Stuttgart anwende. Denn ich betreue nicht nur die Familien und jungen Leute, ich überwache auch die Gemeindeküche in engem Kontakt mit unserem Rabbiner Pushkin.

Was mich dazu befähigt? An der Jeschiwa gab es spezielle Kurse für Kaschrut in Theorie und Praxis. Da saßen wir dann im großen Speisesaal, jeder bekam eine Schüssel und eine Lampe, und wir fanden sehr viele interessante Sachen in den Schüsseln, zum Beispiel Würmer und Fliegen in Salat oder Gemüse.

Wir sind sehr happy. Unsere Chuppa war äußerst ungewöhnlich.

Im Oktober 2022 wurde ich Vater. Wir haben unsere Tochter Ariella genannt. Je nach Deutung heißt der Name »der Held Gottes« oder »Löwe Gottes«. Wir sind sehr happy. Unsere Chuppa war äußerst ungewöhnlich. Meira und ich hatten uns durch Machanot bei JCommunity, einem Projekt der Lauder Yeshurun, kennengelernt. Auf diesen bin ich selbst dem Judentum näher gekommen, bin schon mehrere Jahre dort als Jugendleiter tätig und habe schon viel mit unserer Organisation erleben dürfen. Und als klar war, dass wir heiraten werden, feierten wir unsere Chuppa in Osnabrück, der Heimatstadt meiner Frau.

trialog Dort war ich zwei Jahre Rabbinerassistent. Ich habe den Rabbiner und den Kantor vertreten, ab und an Schabbatpredigten gehalten, den interreligiösen Trialog mitgeführt, unter Aufsicht eines Rabbiners für die Einhaltung der Kaschrut gesorgt, Artikel für die Gemeindezeitung geschrieben, die Gebetszeiten öffentlich gemacht.

Das war alles eine große Herausforderung, und ich bin der Jüdischen Gemeinde Osnabrück sehr dankbar. Nebenbei leitete ich mit meiner Frau auch den Verein »Judentum begreifen«, mit dem wir unterschiedliche Projekte an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen durchgeführt haben.

Meira und ich haben in der Corona-Zeit geheiratet. Weil Hochzeiten im privaten Umfeld nicht gestattet, religiöse Gottesdienste aber erlaubt waren, wurde die Chuppa als religiöse Veranstaltung deklariert. Auf dem Standesamt waren wir zu dritt: die Standesbeamtin und wir. Wir führen ein orthodoxes Leben und einen religiösen Haushalt mit koscherer Küche und immer mit Gästen an Schabbat und Feiertagen.

koscher Für meine Eltern war es anfangs gewöhnungsbedürftig. Inzwischen haben sie koscheres Geschirr, und vor Kurzem habe ich ihren Grill koscher gemacht. Was aber wichtig zu erwähnen ist, meine Eltern und weitere Familienangehörige hatten schon immer Kontakt zur jüdischen Gemeinde. Auch wenn der religiöse Aspekt nicht zwingend im Vordergrund war, zeigt es umso mehr, wie wichtig es in meiner jetzigen Stelle ist, in der Gemeinde anzuknüpfen und attraktive Programme für junge Familien zu gestalten.

Mein Lebensmittelpunkt ist jetzt wieder in Stuttgart. Eine Wohnung zu finden, war sehr schwer. Aber mit Unterstützung der Gemeinde haben wir etwas gefunden. Unsere Perspektive liegt hier. Meine Frau studiert Kindheitspädagogik, ich habe einen Studienplatz an der Hochschule für Medien und schließe mit dem Bachelor für Mediadesign ab.

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