Der Tisch ist gedeckt, die Paprika sind geschnitten. Es ist Schabbat. Es bereitet mir große Freude, mit meiner Familie die jüdische Gastlichkeit zu pflegen. Ich brauche Gesellschaft wie die Luft zum Atmen. So ist es mir ein Bedürfnis, für Gäste zu kochen, gemeinsam an einem Tisch zu sitzen, zu essen, zu diskutieren und zu lachen. Ja, und auch manchmal zu weinen.
So wie in diesen furchtbaren Tagen nach dem Massaker der Terrororganisation Hamas auf Israel. Mit wem ich zu Hause auch spreche, alle kennen jemanden, der betroffen ist, ermordet oder entführt wurde.
Es ist ein unvorstellbares Leid, während wir hier in Hamburg in Frieden um einen Tisch sitzen. Ich spreche gern mit Freunden über das, was gerade in der Welt geschieht. Aber, wie gesagt, momentan gibt es leider absolut nichts Gutes.
Der Überfall der Terroristen der Hamas auf Israel ist ein großer Schock für mich, meine Frau und unsere ganze Familie. Unsere Tochter ist in Israel, und wir machen uns große Sorgen um sie. Sie dient in der Search-and-Rescue-Einheit der israelischen Armee und ist Gruppenleiterin von zwölf Soldaten. Bis vor Kurzem war sie auf einer Militärbasis im Süden Israels stationiert. Jetzt ist sie für aktuelle Sicherheitsaufgaben eingesetzt.
Flug nach Israel
Meine Frau wollte in den nächsten Tagen nach Israel fliegen; sie hatte den Flug schon lange gebucht, um unsere Tochter zu besuchen. Inzwischen hat die Fluggesellschaft ihren Flug gecancelt. Fast alle Fluggesellschaften haben ihre Flüge nach Israel wegen der Luftangriffe der Hamas momentan ausgesetzt.
Wenn es irgendwie möglich war, bin ich in Kriegszeiten nach Israel geflogen.
Unsere Tochter sollte im November vier Wochen Heimaturlaub für ihre Familie haben. Aber ob das jetzt etwas wird? Ich weiß es nicht; wir hoffen es sehr. Unser Sohn war bis vor einigen Monaten Sergeant bei der israelischen Armee, jetzt studiert er in Heidelberg. Er wollte sofort zurück zur Armee, als die Hamas Israel überfiel und so viele, sogar Babys, brutal dahinmetzelte.
Auch ich habe natürlich in der israelischen Armee gedient. Als vor genau 50 Jahren, im Oktober 1973, Israel überraschend angegriffen wurde, habe ich als Reservist der Marine den Jom-Kippur-Krieg aus unmittelbarer Nähe erlebt. Als ich später im Ausland lebte, wurde Israel wieder angegriffen. Wenn es irgendwie möglich war, bin ich in Kriegszeiten nach Israel geflogen, um in der Nähe meiner Verwandten und meiner Landsleute zu sein.
Ich wurde 1951 in Jaffa geboren. Meine Familie kommt aus Turkmenistan und Usbekistan, Afghanistan und Persien. Mein Vater schlug sich in Teheran als Teppichhändler durch, damals, als es noch einen Schah gab und seine Kaiserin Farah Diba. Doch überall mussten meine Vorfahren vor dem Antisemitismus fliehen, vor Pogromen, bis sie endlich 1949 in Israel ankamen. Mein Vater stammt aus Buchara, meine Mutter aus Persien.
Flucht aus der Heimat
Beide mussten aus ihrer Heimat fliehen. Sie lernten sich dann in Afghanistan kennen. Nach entbehrungsreichen Jahren und über verschiedene Zwischenstationen gelangten meine Eltern mit nunmehr vier Kindern 1949 in den neu gegründeten Staat Israel. Sie ließen sich in Holon nieder, in der Nähe von Tel Aviv. Dort leben einige meiner Geschwister noch heute.
Da ich zu den jüngsten von insgesamt acht Kindern gehörte, wurde ich rasch der Clown der Familie. Vielleicht hat es mich deshalb nach dem Militär zur Bühne gezogen. An der Schauspielschule wurde mir klar, dass für mich persönlich Pantomime die richtige Ausdrucksform ist.
Doch den letzten Anstoß gab Marcel Marceau, der damals mit seiner Kunst in Israel berühmt wurde. Das war in den 70er-Jahren. Ich war sofort von der Kunst des großen französischen Pantomimen fasziniert – das wollte ich auch werden. Alle meine Geschwister haben es zu »etwas gebracht«, sind Wirtschaftsprüfer oder Anwälte geworden. Nur ich bin aus der Art geschlagen und wurde zum schwarzen Schaf der Familie, ein Künstler, der sein Geld auf der Bühne verdient.
Theater habe ich schon in der Schule gespielt. Ich besuchte dann in Paris eine Zirkusschule, die École Nationale de Cirque, und studierte parallel bei Étienne Decroux, dem Vater der Pantomime. Ich habe mit Kollegen auf der Straße Theater gespielt, Pantomimen und Parodien. Mit ihnen tourte ich durch große Hallen und über kleine Marktplätze, bewirtete in meiner kleinen Pariser Wohnung Leute, die mich dann bei meinem Gegenbesuch bei sich zu Hause in Mexiko und anderswo die Miete und mehr zahlen ließen. Es war eine verrückte Zeit und nicht immer nur lustig.
Auftritte als Straßenkünstler
Nur Deutschland lag so gar nicht auf meiner Route als Straßenkünstler. Bis ich mit einer Gruppe erst in Basel und Zürich, dann in Sigmaringen in Baden-Württemberg auftrat. Verständigt habe ich mich immer auf Englisch, Französisch und etwas Italienisch. Deutsch habe ich erst viel später gelernt. Ich habe in jedem Land die Sprache angezogen wie eine Jacke, obwohl meine Kunst doch eigentlich stumm ist.
In Hamburg habe ich meine Ehefrau kennengelernt, sodass ich jetzt hier sesshaft geworden bin. Ironie der Geschichte: Ihr Großvater war Konvertit, allerdings umgekehrt, vom Juden zum Christen. Um den Nazi-Rassenwahn zu überleben. Die Großmutter meiner Frau hat hier in Hamburg-Eppendorf im Hinterhof unter unserem Küchenfenster gespielt, und jetzt wohnen wir hier, das ist doch wirklich verrückt!
Seit unsere Kinder erwachsen sind und ich ihnen keine Schulbrote mehr machen muss, genieße ich meinen Morgenkaffee.
Seit unsere Kinder erwachsen sind und ich ihnen keine Schulbrote mehr machen muss, genieße ich meinen Morgenkaffee, räume auf, bringe den Müll runter, lese israelische Nachrichten, gehe ins Fitnessstudio, mache den Bürokram und telefoniere viel mit israelischen und deutschen Freunden – mit Freunden aus aller Welt. Dann kaufe ich ein, gern am Steindamm hinterm Hauptbahnhof.
Dort sind die Lebensmittel-Läden arabisch und haben gutes Hummus. Und andere Leckereien, die wir Israelis lieben. Die Verständigung mit allen ist gut, egal ob Araber, Türken oder andere Nationalitäten. Ich spreche mehrere Sprachen, das hilft natürlich. Mit meiner Familie spreche ich Hebräisch und Deutsch. Manchmal, besonders zu den Feiertagen, gehen wir in die Synagoge Hohe Weide hier in Hamburg.
»Wie steht ein König?«, »Wie geht ein Kellner?«
Vor ein paar Jahren habe ich den Topf mit der weißen Schminke zur Seite gestellt und mich mit dem Thema der Körpersprache beschäftigt. Heute unterrichte ich Manager der freien Wirtschaft ebenso wie Opernsänger und Schauspieler. Mit viel Gestik, mit meinem ganzen Körper kann ich Fragen wie »Wie steht ein König?«, »Wie geht ein Kellner?«, »Welche fatalen Folgen haben verschränkte Arme und die falsche Farbe der Krawatte?« ganz praxisnah beantworten.
Denn bewusste Körpersprache ist ein Medium, das den meisten Managern einfach fehlt, das haben sie nie gelernt, die Männer ebenso wenig wie die Frauen. Egal, ob sie in der Wirtschaft, der Kultur oder der Politik arbeiten oder auch in Institutionen wie Sport- und anderen Vereinen. Ich arbeite jetzt als Körpersprachen-Coach.
Ich habe nie daran gedacht, dieses Fach zu lehren, doch als ich einmal beobachtete, wie hilflos einige Manager vor Kunden und Mitarbeitern agieren, kam mir die Idee dazu. Viele Menschen bewegen, kleiden und benehmen sich falsch, viele können auch nicht richtig zuhören. Sie hören nur das, was sie hören wollen, aber nicht, was wirklich gesagt wird, geschweige denn, was hinter dem Gesagten steckt.
Eine spezielle Zielgruppe meiner Körpersprache-Workshops sind Ärzte. Die müssen binnen kurzer Zeit aus dem Verhalten des Patienten lesen können, in welchem körperlichen und emotionalen Zustand er sich befindet. Die Zeit dafür aber haben die wenigsten Mediziner.
Ich bin gern auf Tour und gebe Workshops in Körpersprache. Aber ich liebe es auch, wieder hier zurück nach Hamburg zu kommen, nach Eppendorf zu meiner Familie. Dann gehe ich einkaufen, lade Freunde zum Schabbat ein, koche und freue mich, wenn meine Familie und Freunde alle um einen Tisch sitzen und wir gemeinsam essen. Das hilft uns auch jetzt ungemein, in dieser grausamen Zeit, die Israel durchstehen muss.
Aufgezeichnet von Heike Linde-Lembke