Ihre Augen strahlen, als sie das frisch renovierte Foyer der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule in der Auguststraße betritt: »Mein Vater hatte ein besonderes Gespür für junge Menschen«, sagt Beate Hammett. Die kleine zierliche Dame ist die einzige Tochter von Alexander Beer, dem Erbauer der ehemaligen Schule, die nun ein Kulturzentrum ist. »Nur schade, dass der Fahrstuhl nicht mehr da ist, ich bin als Kind so gerne damit gefahren.«
Noch etwas aufgeregt und umringt von Freunden und Vertretern der jüdischen Gemeinde, strahlt sie erleichtert. Denn kurz zuvor hatte die ältere Frau, elegant gekleidet im weißen Blazer und einem schwarzen Rollkragenpulli, vor dem Eingangstor eine berührende Rede gehalten. Mit leicht bebender Stimme hat sie ihrem Vater Alexander, dem Gemeinde-Baumeister, der 1944 in Theresienstadt ums Leben kam, zur Einweihung seiner Gedenktafel ihr ganz persönliches Denkmal gesetzt.
»Ich bin überwältigt«, fügt sie hinzu, »mit welch großem Interesse ich hier aufgenommen werde.« Im australischen Sydney, wo sie seit ihrem 18. Lebensjahr lebt, würde sich keiner für sie interessieren. Aber die Menschen hier gingen sensibler mit der jüdischen Vergangenheit um.
Kindertransport Als Beate Beer wurde sie 1929 in Berlin geboren. Gerade noch vor Kriegsausbruch schickten ihre Eltern sie Ende 1939 auf den vorletzten Kindertransport Richtung England. Das hat ihr wohl das Leben gerettet. »Genau an Hitlers Geburtstag war ich auf dem Schiff über den Ärmelkanal«, erinnert sie sich. Berlin wollte sie eigentlich nicht mehr wiedersehen.
Aber 1997 entschloss sie sich doch – auf Einladung des Berliner Senats –, mit dem Besucherprogramm für entkommene jüdische Bürger ihre Geburtsstadt zu besuchen. Betreut hat sie damals die ehrenamtliche Mitarbeiterin Erika Falkenreck. Bis heute verbindet die beiden eine herzliche Freundschaft, zudem hat sich die Berlinerin sehr für die Gedenktafel eingesetzt.
»Das Einzige, was ich sofort wiedererkannte, waren die großen würfelförmigen Uhren in den Straßen«, lacht Beate Hammett. Das elegante Teehaus am Zoologischen Garten, das sie samstags immer mit ihrem Vater besuchte, war einem Fastfoodlokal gewichen. »Mein Vater wäre entsetzt gewesen ob des vielen Plastiks dort.«
Beate Hammett wuchs behütet in einem wohlhabenden Haushalt auf, im Blumeshof 15, nahe dem Landwehrkanal in Tiergarten, in einem Gebäude, das der Jüdischen Gemeinde gehörte und später völlig ausgelöscht wurde. Sie zeigt ein Foto, auf dem Alexander Beer, gut gekleidet, froh und zuversichtlich in die Kamera blickt: »Er ist auf Ferien in Südtirol. Es wurde kurz vor meiner Geburt im Mai 1929 aufgenommen. Ich war ein spätes Kind. Ein Wunder, denn mein Vater war bereits Mitte 50, meine Mutter 20 Jahre jünger. Sie liebte es, alle Feste zu feiern, die da waren.«
Aroma Trotz der guten Stellung Alexander Beers in der jüdischen Gemeinde führte die Familie kein besonders jüdisches Leben. »Wir hatten keine Mesusa, die Schriftkapsel am Türpfosten, und ab und an roch man schon mal das köstliche Aroma von Schinken und Wurst«, erinnert sich Hammett. Dennoch war es ihrem Vater wichtig, sich zum Schabbat in der Synagoge zu zeigen: »Besonders in dem prächtigen Bethaus in der Prinzregentenstraße, die er als die Krönung seiner baulichen Errungenschaften betrachtete.«
Umso schrecklicher war es, als diese am 9. November 1938 in der sogenanntenReichskristallnacht angezündet und komplett zerstört wurde. »Ich sah am nächsten Morgen die Rauchschwaden aus ihren Ruinen aufsteigen.« Und noch demütigender war, dass ihr Vater gezwungen wurde, die Trümmer mit wegzuräumen.
Dieses einschneidende Ereignis bewog ihre inzwischen an Krebs erkrankte Mutter dazu, die kleine Beate außer Landes zu schicken. Sie nahm Kontakt zu einer englischen, christlichen Pflegefamilie auf und stimmte sogar einer Taufe zu, was Vater und Tochter schockierte. »Dazu kam es aber nie.«
Friedrichstrasse »Wie die meisten Kindertransportkinder erwartete ich eine aufregende Abenteuerfahrt und dachte, Weihnachten wäre ich wieder zu Hause.« Ihre Mutter brachte sie zum Bahnhof Friedrichstraße. »Ich verstand nie, warum mein Vater nicht da war. Ich hatte Schwierigkeiten, in den Waggon zu steigen, weil ich zu klein war für die hohen Stufen.« Ihre Mutter half ihr, obwohl dies strengstens untersagt war. Und da erblickte sie auch ihren Vater in der Menge. Tränen standen in den Augen der Mutter. Es war das letzte Mal, dass sie ihre Eltern sah.
Hammetts neues Leben in England bescherte ihr einen Kulturschock und drei Brüder. »Meine Ziehmutter war überaus streng, ich hatte sogar Angst vor ihr«, erzählt sie. »Heute bewundere ich sie sehr. Kaum jemand versteht mehr, welche Risiken sie auf sich aufbürdete, ein jüdisches Mädchen aufzunehmen.« Der Briefkontakt zu ihren Eltern schlief nach und nach ein. »Wir wuchsen auf schmerzhafte Weise auseinander. Ich wurde immer britischer.« Kurz nach dem Krieg erfuhr sie vom Tod der Eltern. Ihre Mutter war 1941 an Krebs gestorben. Ihr Vater wurde 1944 im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet.
Mit 18 wanderte der lebensfrohe Teenager nach Australien aus. Auch diesen Kulturschock bewältigte sie. 1962 heiratete sie, bekam zwei Kinder und schwärmt: »Ich würde nicht mal dran denken, woanders zu leben!« Die verspätete Ehre für ihren Vater war Beate Hammett so wichtig, dass sie kurz nach einer Operation diese lange Reise unternommen hat. Damit kann sie nun ein Kapitel aus ihrem Leben abschließen.