Europawahl

Migration und Weltraumforschung

Der Stimmzettel für die Wahl des Europäischen Parlaments ist fast einen Meter lang. 34 Parteien sind aufgelistet. Am 9. Juni ist der Tag der Entscheidung, dann darf jeder, der möchte, sein Votum abgeben. Darunter sind auch viele Erstwähler, deren Alter auf 16 heruntergesetzt wurde.

»Als 16-Jährige hätte ich mich damals gefreut, bei den Wahlen mitmachen zu können, aber jetzt sehe ich es mit gemischten Gefühlen, dass so junge Leute wählen dürfen«, sagt Daniella Levi. Sie befürchtet einen Rechtsruck, da die AfD mit ihrem TikTok-Auftritt viele Jugendliche erreiche.

In ihrem Gymnasium in Mecklenburg-Vorpommern, das sie besuchte, wurden in der zehnten Klasse die sogenannten Juniorwahlen abgehalten, die ein Stimmungsbild wiedergaben. »Da konnten wir selbst nach unserem Bedürfnis eine deutsche Partei aus dem Bundestag wählen.« Vor zwei Jahren zog Daniella nach Berlin und engagiert sich seitdem politisch in mehreren Organisationen, seit Herbst studiert sie an der Technischen Universität. Auf Bundestagsebene wähle sie Die Grünen, aber fürs EU-Parlament wolle sie eine kleinere Partei wählen.

Deshalb hat sie den Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung befragt – herausgekommen ist eine Naturschutzpartei. »Kein Wunder, denn ich studiere schließlich Ökologie und Umweltplanung, und das sind für mich auch die wichtigen Themen«, sagt sie. Die Partei arbeitet auf EU-Ebene mit den Grünen zusammen. Das passe für sie. Wichtig seien ihr auch die Außenpolitik, Sicherheit und Frieden.

»Natürlich werde ich wählen«, meint Amit Baida aus Chemnitz. »Ich interessiere mich für Politik und habe mehrere Wünsche, was das EU-Parlament in Angriff nehmen soll.« Ganz oben steht für ihn die Beziehung zu Israel. Sicherheit ist auch ein Thema für den 26-Jährigen, der die israelische und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und in Chemnitz Angewandte Informatik studiert. Er nimmt zum ersten Mal an der Europawahl teil. In der Vergangenheit hätte die EU den Fehler gemacht, so seine Meinung, Menschen aus Ländern aufzunehmen, in denen das Bildungssystem oft antisemitisch sei. »Aber nicht jeder Migrant ist ein Antisemit«, sagt er. Die EU-Außengrenze müsse besser gesichert werden.

Auch mit dem Klimawandel setzt er sich auseinander. »Jeder versteht, dass Umweltschutz wichtig ist, aber die Politiker wollen schärfere Gesetze verabschieden, als die Gesellschaft gewillt ist, diese mitzutragen.« Bisher denke er an zwei Parteien, die für ihn infrage kommen. Entschieden hat er sich noch nicht. Ganz der Tradition Israels entsprechend, wird er am Sonntag das Wahllokal aufsuchen. »Eine Briefwahl gibt es in Israel nicht – und ich möchte sichergehen, dass meine Stimme zählt.«

Auch Venjamin Makarov aus Stuttgart weiß noch nicht, wo er sein Kreuz bei seiner ersten Wahl machen wird. »Für mich ist es wichtig, eine Partei zu finden, die meine Interessen vertritt«, so der 20-Jährige, der zurzeit ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Jüdischen Grundschule in Stuttgart leistet. Er gehe davon aus, dass mehr Menschen extrem rechts und auch links wählen werden. Die Zusammensetzung des Parlaments werde wahrscheinlich nach dem 9. Juni anders aussehen.

Um sich auf die Sprünge helfen zu lassen, hat auch er den Wahl-O-Mat befragt. Aber mit dem Ergebnis konnte er nicht viel anfangen. Er möchte auch noch einen Blick auf die Programme der kleineren Parteien werfen. Wirtschaft, Sicherheit und Umweltschutz sind seine Hauptthemen. »Die EU sollte mit ihren Gesetzen die goldene Mitte zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltschutz finden.« Die Bildung sollte mehr gefördert und reformiert werden.

Gregory Garderman aus Nürnberg informiert sich viel über Social Media, aber »ich habe einen seriösen Account und checke die Fakten immer noch einmal«, so der 20-Jährige. Die Europawahl sei für ihn etwas Besonderes – und vielleicht sogar wichtiger als die Bundestagswahl. »Denn wir entscheiden da schließlich länder­übergreifend, wie sich das EU-Parlament zusammensetzen wird.« Jeder könne mit seiner Stimme etwas bewirken. Für ihn seien auch Themen wie die Förderung der Künstlichen Intelligenz (KI) und der Weltraumforschung wichtig. »Es hört sich etwas lustig an, aber das interessiert jüngere Leute.«

Ansonsten bewege ihn die Innenpolitik. Dabei denke er auch an die älteren, ärmeren Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben und nun kaum von ihrer Rente leben können. »Das müsste europaweit abgedeckt werden, dass jeder eine Mindestrente bekommt.« Die Demokratie sehe er auf EU-Ebene nicht gefährdet, aber in Deutschland.

»Wegen einer Partei, der AfD, die die Freiheit im Land ausnutzt, um Hassparolen zu verbreiten. Leider sind sie auf Social Media sehr erfolgreich«, sagt der Einzelhandelskaufmann und angehende Student. »Extremismus, Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus haben für mich in Europa keinen Platz.« Und auch in Deutschland nicht. Der Wiederaufbau der Ukraine, seiner Heimat, sei ihm ebenfalls wichtig, denn »meine Kinder sollen später auch die Möglichkeit haben, meine und ihre Wurzeln kennenzulernen«.

Dan (l.) und Ron Petri aus Frankfurt werden gemeinsam mit ihren Eltern ins Wahllokal gehen. Die zweieiigen Zwillinge sind sich politisch einig. »Die Wirtschaft ist ein großes Thema für uns, ebenso die Bekämpfung von Extremismus und die Migrationskrise.« Ferner, wie man außenpolitisch gemeinsam als Europäer auftritt, wie die EU zu autoritären Staaten steht und was für eine Position sie im Nahostkonflikt einnimmt. »Da ist es für mich von Bedeutung, ob man stark an der Seite Israels steht oder – was eher linke Parteien tun – auch gegenüber dem Iran immer mehr Zugeständnisse macht«, sagt Ron.

»Wenn wir die Migrationskrise nicht unter Kontrolle kriegen, werden es die falschen Parteien tun. Wenn wir die autokratischen Staaten weiter so machen lassen und nicht stark an der Seite Amerikas stehen und zusammen mit Amerika und Israel als Westen gemeinsame Außenpolitik betreiben, dann werden wir überrollt«, ergänzt Dan.

Er fragt sich auch, wie stark das EU-Parlament die Wirtschaft regulieren wird. Wird es – wenn man die EU weiter ausbaut – ein lockerer Bund europäischer Staaten mit einem gemeinsamen Binnenmarkt und mit einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik werden oder eine extremere Variante, indem man einen supranationalen Staat hat, der nach dem Leitbild der Vereinigten Staaten von Amerika fungiert. Oder eher eine Weltfreihandelszone der Demokratien, wie es im Programm der FDP zu finden ist?

Umweltschutz ist bei beiden 18-Jährigen ein Gesprächsthema. »Aber mit einer Bevormundung der Gesellschaft wird es nicht gelingen, eine Verbesserung zu erzielen.« Im Endeffekt sind beide der Meinung, dass der Klimawandel nicht in Europa entschieden wird, sondern in China und Indien. »Es bringt nichts, durch Verbote unserer eigenen Wirtschaft zu schaden, wenn China und Indien so weitermachen wie bisher.«

Den Wahlzettel haben sich die beiden Abiturienten bereits angeschaut und die Namen der Kandidaten gelesen. »Natürlich wählt man auch nach Persönlichkeiten, aber schlussendlich ist der Inhalt das Wichtigste, und danach entscheiden wir. Ich glaube, es ist auch wichtig, mehr auf das Individuum zu gucken, nicht auf irgendeine Gruppenzugehörigkeit«, sagt Dan. Da die Wahl schon ein Ereignis ist, werden sie mit ihren Eltern danach gemeinsam essen gehen.

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