Die gute Nachricht ist, dass der Gottesdienst am vergangenen Wochenende ganz normal gefeiert werden konnte. Das berichtet Rabbiner Jona David Pawelczyk-Kissin, der in der Jüdischen Kultusgemeinde Heidelberg amtiert. Er sei aber immer noch geschockt und beunruhigt – ebenso wie die Gemeindemitglieder.
Zwar seien die beiden Verdächtigen, die einen Anschlag auf die Synagoge verüben wollten, verhaftet worden, aber es trage nicht zu einem guten Sicherheitsgefühl bei, zu wissen, dass so ein Attentat geplant worden sei. »Unsere Mitglieder waren und sind entsetzt«, so Rabbiner Pawelczyk-Kissin. Denn der geplante Angriff wurde eher zufällig verhindert. »Wir stehen im Kontakt mit der Polizei und haben interne Sicherheitsmaßnahmen vorgenommen, damit das Gemeindeleben weitergeht.«
Die Staatsanwaltschaft hatte sich einen Tag vor der offiziellen Bekanntmachung direkt an die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden (IRG Baden) gewandt. Deren Vorsitzender Rami Suliman setzte daraufhin sofort alle zehn Gemeinden in Baden in Kenntnis – darunter auch die Heidelberger.
Die Staatsanwaltschaft hatte sich einen Tag vor der offiziellen Bekanntmachung direkt an die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden gewandt.
Am vergangenen Freitag teilten die Staatsanwaltschaften Karlsruhe und Stuttgart sowie das Landeskriminalamt Baden-Württemberg dann gemeinsam mit, dass zwei Männer festgenommen worden seien, die im Verdacht stehen, sich im April per Chat über einen möglichen Messerangriff auf Synagogenbesucher in Heidelberg ausgetauscht zu haben. Die Verhaftung eines 24-jährigen Deutschen aus Bad Friedrichshall (Kreis Heilbronn) liegt bereits rund drei Wochen zurück. Ein 18-jähriger Deutsch-Türke aus Weinheim (Rhein-Neckar-Kreis) wurde am 18. Mai inhaftiert.
Das Ziel der Männer sei es gewesen, einen oder mehrere Besucher der Synagoge zu töten und sich anschließend von Einsatzkräften erschießen zu lassen, um den »Märtyrertod« zu erlangen. Es hätten sich laut Behörden allerdings keine Hinweise auf eine direkt bevorstehende Gefährdung von Synagogenbesuchern ergeben. Beide Männer befinden sich derzeit in Untersuchungshaft.
»Den Schutz jüdischen Lebens fest im Blick«
Nachdem Suliman davon erfahren hatte, setzte er sich mit dem Innenminister Baden-Württembergs in Verbindung. Thomas Strobl (CDU) erklärte, dass die Polizei und das Landesamt für Verfassungsschutz »den Schutz jüdischen Lebens fest im Blick« hätten. »Entscheidend ist: Die mörderische Tat gegen jüdisches Leben konnte verhindert werden.« Es sei schlimm genug, »dass in kranken Gehirnen solche Mordpläne gegen jüdisches Leben in unserem Land« entstünden, so der CDU-Politiker.
»Es ist eine deutliche Steigerung der Bedrohungslage für uns«, sagt Rami Suliman. »Zum einen war es kein Einzeltäter mehr, sondern es gibt zwei Verdächtige.« Dass die jungen Männer bereit gewesen seien, sich als »Märtyrer« zu opfern, mache ihm Angst: »Damit ist eine ganz neue Stufe erreicht, die ich hier noch nicht erlebt habe.«
Suliman befürchtet, dass sich die Beter nicht mehr in die Synagoge trauen.
Er könne sich vorstellen, dass das angestrebte Märtyrertum eine Folge des Nahostkonflikts sei. Der rufe nun auch in Deutschland potenzielle Täter auf den Plan. Für ihn sei es schlimm, dass »wir alle es gewohnt sind, mit solch einer Bedrohung zu leben«. Er befürchtet, dass nun viele Mitglieder nicht mehr zu den Gottesdiensten kommen und ihre Kinder nicht mehr in die Schule schicken. Andererseits wisse er auch, dass die breite Mehrheit der Gesellschaft an der Seite der jüdischen Gemeinde steht. Am Freitag hatten sich rund 120 Menschen an der Synagoge versammelt, ihre Solidarität bekundet und eine Menschenkette um das Gebäude gebildet.
Moshe Flomenmann, Polizeirabbiner des Landes Baden-Württemberg mit Zuständigkeit für den badischen Landesteil und Landesrabbiner, sagt, dass er sich nun größere Sorgen um die Sicherheit mache als zuvor. Andererseits sei er erleichtert, dass die Gefahr rechtzeitig erkannt worden ist und die richtigen Maßnahmen ergriffen wurden. Auch der Zentralrat begrüßte das entschlossene Handeln der Polizei. Seit dem Anschlag auf die Synagoge in Halle im Jahr 2019 hätten Bund und Länder das System der Sicherheitsvorkehrungen an Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen überarbeitet und merklich verbessert.
Ein Hoffnungsschimmer: Lag BaOmer wurde am Sonntag trotz der Vorkommnisse begangen: Heidelbergs Jugendliche fuhren – wie in den vergangenen Jahren auch – nach Pforzheim, um dort mit der Jüdischen Jugend Baden (JuJuBa) zu feiern.