Meinen Unterarmen sieht man das natürlich an: ein paar Wunden hier, ein paar Kratzer da. So etwas passiert. Eigentlich passiert es sogar ständig. Ist sozusagen ein Berufsrisiko. Hunde und Katzen hinterlassen eben ihre Spuren.
Eine Statistik besagt, dass wir Tierärzte häufiger gebissen werden als zum Beispiel Polizisten. Angst habe ich deshalb vor meinen Patienten noch lange nicht. Respekt natürlich schon. Und meistens warnen mich ja Frauchen oder Herrchen auch, wenn es da Probleme geben könnte. Zumindest bei Hunden ist das so.
Hündchen Die Tierbesitzer wegen ihrer Erziehungsmethoden zu kritisieren, empfiehlt sich nicht. Das kommt absolut nicht gut an. Die meisten kennen ja ihre Fehler und verspüren keinen Bedarf, noch einmal extra darauf hingewiesen zu werden. Wenn ich der Oma sage: »Ihr Hündchen ist aber ein wenig rund«, dann war es das. Zumal das Fett auf den Rippen des Kleinen nichts anderes ist als der Ausdruck einer sehr, sehr starken Liebe.
Oh ja, Psychologie spielt wirklich eine große Rolle in meinem Beruf. Vielleicht sogar die größte. Oft würde sich dieses oder jenes Wehwehchen beim Tier von ganz alleine wieder geben, aber weil der aufgeregte Mensch daneben steht, tue ich halt irgendetwas, und alle sind zufrieden. Sie sind ja manchmal so richtig miteinander verwachsen – der Mensch und sein Tier.
Sie werden sich mit der Zeit tatsächlich oft immer ähnlicher. Weiß ich nicht, was dem Tier fehlt, frage ich manchmal beim Halter nach, ob der irgendeine Krankheit hat. Ich frage zum Beispiel: »Sind Sie vielleicht an der Schilddrüse erkrankt?« Und wenn er das dann bejaht, dann gucke ich mir die Schilddrüse vom Tier an – und gar nicht selten liege ich mit dieser Methode richtig.
Wir haben keine offene Sprechstunde – die Leute kommen nacheinander mit Termin.
Der Beruf des Veterinärs hat schon auch seine Tücken. Zum Beispiel dauert es wirklich lange, bis man finanziell auf der sicheren Seite ist, was auch daran liegt, dass der Berufsweg nach der Uni – und im Gegensatz zu dem der Humanmediziner – viel weniger festgelegt ist.
Und trotzdem. Tierarzt zu sein, hat so etwas wie Suchtpotenzial. Irgendwann will man einfach überhaupt nichts anderes mehr tun. Ich habe nach jetzt gut 20 Jahren endlich meine eigene Praxis, und zwar hier in Münchens Südosten, nicht allzu weit vom Ostbahnhof entfernt.
Vielleicht wäre das tatsächlich auch ein wenig schneller gegangen, dafür bringe ich aber Einiges an Erfahrung mit. Ich war auch im Großtierbereich tätig, habe da aber sehr schnell gemerkt: Mit Kühen kann ich nicht richtig, Pferde verstehe ich einfach nicht, und Schweine schreien mir zu laut. Und eigentlich war mir das ja auch schon als Kind klar: Hunde, Katzen, Vögelchen – die sind meins. Mit denen durfte ich nämlich als Kleiner – damals noch in Orenburg – meine Erfahrungen machen.
ORENBURG Orenburg ist eine mittelgroße Stadt im Südural. Dort habe ich auch studiert und noch meinen Abschluss gemacht. Im Jahr 2000 sind wir von dort weggegangen, mein Bruder, meine Mutter und ich. Wir sind recht schnell in München gelandet und haben auch den Kontakt zur Gemeinde gefunden. Meine Mutter ist dort als Chorleiterin des Männerchors »Drushba-Chaverut« fest eingebunden, über sie kommen zu uns auch die jüdischen Feiertage nach Hause.
Mindestens zweimal im Jahr versuche ich, in die Synagoge zu gehen. Dass es nicht häufiger ist, hat tatsächlich auch mit meiner knapp bemessenen Zeit zu tun. In Orenburg war das noch anders. Ich war so richtig ins jüdische Leben integriert, was natürlich auch damit zu tun hatte, dass ich ein junger Mann war und man in diesem Alter den Anschluss an andere junge Leute sucht. Man will miteinander seine Zeit verbringen.
Es hatte aber auch mit unserem Rabbiner zu tun. Der hieß Goel Maier, kam aus Israel und war richtig toll. Der hat die jungen jüdischen Leute der Stadt um sich geschart, und wir haben wirklich viel miteinander unternommen.
Einzeltermine ersparen den Tieren auch die Stresszeit im Wartezimmer – umso besser läuft dann die Untersuchung.
Heute bleibt mir für kaum etwas anderes Zeit als für den Beruf. Und das ist in Ordnung so. Im Grunde nehmen wir Patienten von 8 Uhr morgens bis 20 Uhr abends an. Wir haben keine offene Sprechstunde, sodass dafür gesorgt ist, dass man die Leute und deren Tiere über den Tag verteilt und schön hintereinander annehmen kann. Das ist nicht nur in Corona-Zeiten besonders wichtig, sondern erspart den Tieren auch die Stresszeit im Wartezimmer – umso besser läuft dann die Untersuchung.
Drei Sprechstundenhelferinnen gehen mir zur Hand. Und mittags machen wir eine kleine Essenspause. Zwei Häuser weiter gibt es die beste Pizza der ganzen Stadt. Eines der Mädchen macht draußen manchmal eine kurze Pause, und wenn sie dann zurückkommt und sagt: »Grad hat der Pizzabäcker wieder gesungen«, dann wissen wir, dass heute die beste Pizza der Stadt die allerbeste Pizza der Stadt sein wird, mit ganz viel Käse und extrem knusprigem Rand. Gerade jetzt, mit den Einschränkungen der Corona-Pandemie, halten wir an diesem kleinen Ritual fest.
KATER Meine Praxis ist sehr gut mit sämtlichen Apparaturen ausgestattet. Deshalb ziehen es meine Kunden auch vor – wenn es denn sein muss –, ihre Tiere hier und nicht in einem Krankenhaus operieren zu lassen. Hier ist alles überschaubarer, und es ist natürlich auch preisgünstiger. Na klar, es gibt Operationen, die einen schlecht schlafen lassen, wenn sie am nächsten Tag anstehen. Bisher hat aber immer alles gut geklappt.
Einmal habe ich aus einem Kater ein Kätzchen gemacht. Das hatte natürlich keine psychologischen Gründe, sondern medizinische: Der Kater hatte immer ein Problem mit dem Urinablassen. Und dann operiert man, und am Ende sieht das dann aus wie bei einem weiblichen Tier. Ist mir auch gut gelungen.
Zu mir kommen ziemlich viele russischsprachige Leute. Zwischen russischen und deutschen Frauchen und Herrchen gibt es mentale Unterschiede.
Zu mir kommen ziemlich viele russischsprachige Leute. Sie machen ungefähr zehn Prozent meiner Klientel aus, würde ich sagen. Das hat damit zu tun, dass ich in russischen Zeitungen und Zeitschriften inseriere. Auf diesem Markt gibt es natürlich auch eine kleine Konkurrenz. Hier in der Stadt mit Umland sind das zwei weitere Kollegen.
Frauchen Zwischen russischen und deutschen Frauchen und Herrchen gibt es mentale Unterschiede. Sehr deutlich merke ich die zum Beispiel, wenn es darum geht, das Tier einschläfern zu lassen, weil das manchmal einfach die beste Lösung ist. Deutsche sehen das ein, Russen tun sich da sehr schwer. In Russland ist das auch lange nicht so üblich wie hier.
Es gibt auch Leute, die meinen, dass man bei uns Tiere abgeben kann. Einmal sind wir hier morgens angekommen, und an der Tür hing ein Paket mit drei Schlangen. Unglaublich und völlig verantwortungslos! Die Tiere waren – was weiß ich, wie lange – der Kälte ausgesetzt. Ich habe die Schlangen gleich zur Feuerwehr gebracht, die den Fall dann an die Justiz übergeben hat, die natürlich ein Verfahren eröffnete.
Für mich ist es in meinem Berufsalltag das Schönste, wenn ich beim Ultraschall im Bauch eines Tieres Junge entdecke. Und manchmal werde ich auch nachts gerufen, um bei einer Geburt zu helfen. Es gibt ja zum Beispiel solche überzüchteten Rassekatzen, die gar nicht mehr wissen, wie man sich da anstellt.
REISEERINNERUNGEN Tierarzt zu sein, ist also ein Rund-um-die-Uhr-Job. Aber natürlich gibt es auch ab und zu Urlaub, den man zum Beispiel in Israel verbringen kann. Ein wunderbares Land mit unglaublich freundlichen Menschen. Einmal, in Netanja, wollte ich von einem Herrn im Bus wissen, wie ich irgendwo hinkomme, woraufhin der ganze Bus beratschlagte, bis schließlich der Busfahrer extra angehalten und seine Schwester angerufen hat.
Oder: Als wir in Tel Aviv angekommen sind, erschien gleich ein Mann und bot an, dass wir mit ihm ins Taxi steigen könnten. Wir haben das sogar getan, auch wenn es in die falsche Richtung gegangen ist.
An Begebenheiten wie diese denke ich in letzter Zeit immer wieder und schwelge in Erinnerungen – besonders jetzt, wo das Reisen wegen der Corona-Krise erst einmal tabu ist und die meisten Länder ihre Grenzen dichtgemacht haben.
Irgendwann wird auch hier wieder Normalität einkehren.
Hier in München, in meiner eigenen Praxis, bin ich jedenfalls endlich genau dort angekommen, wo ich hinwollte. Die Auslastung ist noch nicht bei 100 Prozent – das zu erreichen, ist mein Traum –, aber es geht ganz klar in diese Richtung.
Im Moment kommt natürlich hinzu, dass alles ein wenig unberechenbar ist: Wegen des Coronavirus haben die Leute wohl mehr Zeit. Sie nutzen sie, um einen Termin bei mir zu vereinbaren. Bis sie ihn dann womöglich doch wieder absagen. Das kann man in diesen Tagen nie genau wissen.
Aber irgendwann wird auch hier wieder Normalität einkehren. Ich bin jedenfalls durchgängig für die Tiere und ihre Besitzer da. Denn sie brauchen mich vielleicht gerade jetzt.
Aufgezeichnet von Katrin Diehl