Porträt der Woche

»Meine Eltern sind Vorbilder«

Sein Vater ist Rom, seine Mutter Jüdin: David Rosenberg (28) aus der Südpfalz wird am 2. August an der Gedenkveranstaltung anlässlich des 80. Jahrestags der Liquidierung des sogenannten Zigeunerlagers in Auschwitz-Birkenau teilnehmen. Foto: Rolf Walter

Lange Zeit habe ich gezögert, meine Biografie öffentlich zu machen: Mein Vater ist Rom, meine Mutter jüdisch. Wahrscheinlich gehöre ich – zusammen mit meinen jüngeren Geschwistern – zu den ganz wenigen Deutschen, die das von sich behaupten können. Es war mir unangenehm, deshalb schwieg ich lange darüber. Romani Rose vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma ermutigte mich schließlich, offen mit meiner Herkunftsgeschichte umzugehen und mich nicht zu verstecken.

Die Vorfahren meines Vaters gehören den polnisch-rumänischen Roma (genannt Kalderasch) an, die sich als Händler und Kupferschmiede ihr Geld verdienten. Meine Mutter wurde in Beer Sheva geboren, als der Ort noch eine unterentwickelte Stadt in der Wüste Israels war. Ihre Familie stammte mütterlicherseits ursprünglich aus der Bukowina, heute in der Ukraine gelegen. Väterlicherseits kam ihre Familie aus Birobidschan, dem jüdisch autonomen Oblast in der Sowjetunion.

Im Jom-Kippur-Krieg arbeitete ihre Mutter, also meine Großmutter, als Krankenschwester. Doch der Krieg hatte sie dermaßen traumatisiert, dass sie nicht mehr in Israel leben wollte. Zu viert – meine Großeltern und ihre beiden kleinen Töchter – wollten sie in die Schweiz gehen. Da sie dort keine Verwandten hatten, war es vielleicht etwas naiv anzunehmen, dass dies so einfach ginge.

Kurzum, es klappte nicht, und sie änderten ihre Pläne dahingehend, dass sie weiter in das nahe gelegene Baden-Württemberg reisen wollten.

An der Grenze sprach sie ein Polizist an: »Warum kommen Sie hierher? Man hat doch versucht, Sie umzubringen.« »Das haben sie nicht geschafft«, erwiderte meine Großmutter. Das war Mitte der 70er-Jahre.

Meiner Mutter wurde von ihren Eltern verboten, Hebräisch zu sprechen, weshalb sie es komplett vergessen hat. Dafür lernte sie Deutsch und integrierte sich in die deutsche Kultur.

Als Mitglied der Jüdischen Gemeinde Speyer erlebe ich eine herzliche und einladende Atmosphäre. Das hebräische Gebet entnehmen wir einem Buch, das für alle verständlich ist. Diese kleine, engagierte Gemeinschaft ist vor allem durch Mitglieder aus der ehemaligen Sowjetunion geprägt. Sie beeindruckt durch ihre Wärme und die tatkräftige Geschäftsführerin. Ich bin sehr dankbar, ein Teil dieser wunderbaren Gemeinschaft sein zu dürfen.

In der Schule hatte ich die Möglichkeit, Einblick in den katholischen Religionsunterricht zu bekommen, da mein Heimatdorf stark katholisch geprägt ist. Andere Religionen kennenzulernen und Gemeinsamkeiten zu entdecken, hat mich schon damals kulturell bereichert. Mein Vater, ein gläubiger Christ, besucht gelegentlich die Gottesdienste in seiner Gemeinde, und auch dort konnte ich viele interkulturelle Einblicke sammeln.

Nach der Schule entschied ich mich für eine Ausbildung.

Nach dem Abi entschied ich mich für eine Ausbildung zum Möbelfachverkäufer in einem familiären Traditionshaus. Diese Zeit ermöglichte mir intensive Erfahrungen im Umgang mit Kunden sowie ein fundiertes Verständnis für Möbel und deren Verkauf. Auf die konnte ich in meinem dualen Studium in Betriebswirtschaftslehre an der internationalen Berufsakademie Heidelberg zurückgreifen.

Mit meinem Bachelor in der Tasche trat ich eine Stelle als Verkaufsleiter in einem Möbelgeschäft in der Südpfalz an. In dieser Position habe ich wertvolle Fähigkeiten wie Durchsetzungsvermögen, Unternehmensführung und Teamführungskompetenz entwickelt. Ich lernte, effektiv Teams zu leiten, Verkaufsstrategien zu entwickeln und Kundenbedürfnisse zu analysieren, um maßgeschneiderte Lösungen anzubieten. Diese Erfahrungen haben mich beruflich stark vorangebracht, und ich habe damit meine Fähigkeiten in der Geschäftsführung weiter ausgebaut. Gleichzeitig entstand in mir der Wunsch, mich beruflich neu zu orientieren – und zwar in Richtung einer politischen Karriere, um eine sinnstiftende Tätigkeit auszuüben, die sowohl für mich persönlich als auch für die Gesellschaft von Bedeutung ist.

Getrieben von einem tiefen Interesse an meiner eigenen Kultur absolvierte ich ein Praktikum beim Landesverband der Sinti und Roma, da ich den Wunsch hatte, mich intensiver mit meiner kulturellen Identität auseinanderzusetzen. So kam es, dass ich mich an der Entwicklung eines neuen Projekts beteiligen konnte, einer Meldestelle für antiziganistische Vorfälle. Für mich war es eine bereichernde Erfahrung, durch die ich viele Sinti und Roma kennenlernen durfte. Während meines Praktikums habe ich viel über ihre Geschichte gelernt, insbesondere darüber, dass viele Sinti und Roma während des Holocaust von den Nazis ermordet wurden und wie ihre Nachfahren und Überlebenden oft keine angemessene Entschädigung oder Anerkennung erhalten haben.

Noch 1956 schrieb der Bundesgerichtshof: »Die Zigeuner neigen, wie die Erfahrung zeigt, zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien, es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe der Achtung vor fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist.« Obwohl das Urteil später aufgehoben wurde, wurden Entschädigungen erst nach der Anerkennung des Völkermords im Jahr 1982 bearbeitet und ausgezahlt.

Bereits im Alter von 16 Jahren begann ich, mich in der SPD zu engagieren. Allerdings musste ich während meines dualen Studiums und meiner Berufstätigkeit zeitweise meine politische Arbeit zurückstellen. Jetzt widme ich mich mit voller Hingabe meiner Rolle als Werkstudent in der SPD-Regionalgeschäftsstelle in Landau in der Pfalz. Mein Ziel ist es, dass auch wir als Minderheit in Deutschland aktiv am politischen Geschehen teilhaben können. Langfristig strebe ich eine Bundestagskandidatur an, da ich fest davon überzeugt bin, dass mein politisches Denken und meine vielfältigen Erfahrungen eine wertvolle Bereicherung für den Bundestag wären.

Mit meiner Perspektive als Angehöriger zweier Minderheiten – sowohl der jüdischen als auch der der Roma – bin ich in der Lage, eigene Einblicke und Erfahrungen in die politische Arbeit einzubringen. Als jemand, der aus der Arbeitergesellschaft stammt, konnte ich eine fundierte Ausbildung absolvieren und würde mich bürgernah beschreiben. Meine vielfältigen Erfahrungen haben dabei auch meinen Blick auf gesellschaftliche Herausforderungen und Lösungsansätze geprägt. Diese Erfahrungen will ich im Rahmen der Zivilgesellschaft in den Bundestag einbringen.

Zurzeit absolviere ich einen Masterstudiengang in Interkultureller Bildung, Migration und Mehrsprachigkeit an der PH Karlsruhe. Parallel dazu vertiefe ich mein Wissen durch ein Zertifikatsprogramm, das sich auf die arabische Sprache und arabisch-islamische Fachterminologie konzentriert. Besonders am Herzen liegt mir dabei der Einsatz für Initiativen wie »Meet a Jew« in Schulen, wo ich gezielt auf arabischstämmige Schüler zugehe, um falsche Stereotype abzubauen. Die Ähnlichkeiten zwischen den semitischen Sprachen Arabisch und Hebräisch erleichtern oft den Zugang und das Verständnis in diesen interkulturellen Dialogen.

Vor einem Jahr gründete ich zusammen mit jüdischen Aktivisten den Studierendenverband »Hinenu«, der sich für junge jüdische Menschen aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland engagiert. Der Verband wächst kontinuierlich.

Im Rahmen der Demonstrationen gegen die Remigrationspläne der AfD in Potsdam, die auch deutsche Staatsbürger betreffen sollten, habe ich als Vertreter des Jüdischen Studierendenverbandes und in meinem eigenen Namen bei mehreren dieser Veranstaltungen gesprochen. Es war mir ein wichtiges Anliegen, eine starke jüdische Stimme in dieser Debatte zu sein. Besonders stolz bin ich darauf, vor über 3000 Menschen auf dem Marktplatz in Landau sprechen zu können und meine Position deutlich zu vertreten.

Meine Eltern sind für mich große Vorbilder. Ihre Fähigkeit, mehrere Sprachen zu beherrschen, Vollzeit zu arbeiten und gleichzeitig drei Kinder großzuziehen, beeindruckt mich zutiefst. Ihr Engagement hat mich geprägt und zeigt mir jeden Tag, was mit Entschlossenheit und Fleiß möglich ist. Sie wiederum sind stolz, dass ihre drei Kinder studieren. Aufgewachsen in der Südpfalz, einem Ort, den ich als mein Zuhause betrachte, schätze ich die Vielfalt und die Chancen, die mir Deutschland bietet. Hier habe ich gelernt, dass Engagement und Verantwortungsbewusstsein zentrale Werte sind, die ich auch in meinem politischen Wirken vertrete.

Als junger und engagierter Mensch strebe ich danach, einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Bei meinen Reisen durch Europa finde ich stets die Ruhe und Verbundenheit in meiner Heimat in der Südpfalz wieder. Ich bin dankbar für die Chancen, die mir Deutschland bietet, und fest entschlossen, dafür einzutreten, dass auch andere Minderheiten hier sicher und frei leben können. Für mich ist es eine Ehre, meinen Beitrag zu leisten und die Zukunft unseres Landes mitzugestalten.

Aufgezeichnet von Christine Schmitt

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