Porträt der Woche

Meine drei Identitäten

»Die Liste der Filme, Serien und Schauspieler, für die ich die deutsche Stimme war, ist lang«: Jaron Löwenberg (54) aus Berlin Foto: Chris Hartung

Der Aufführung, für die ich gerade am Düsseldorfer Schauspielhaus Proben habe, liegt die Dramatisierung des Romans Gewässer im Ziplock von Dana Vowinckel zugrunde, den die jüdische Autorin vor zwei Jahren geschrieben hat. Es ist ein Coming-of-Age-Roman, in dem es um einen israelischen Kantor geht, der seit 15 Jahren mit seiner Tochter im Prenzlauer Berg in Berlin lebt. Ich glaube, dass Dana Vowinckel ihre männliche Hauptfigur, die ich ab 8. Juni in Düsseldorf spielen werde, an ihren Vater angelehnt hat.

Er ist, soviel ich weiß, zwar kein Kantor, aber ein amerikanischer Jude. Darüber hinaus ist das auch ein großartiger Beziehungsroman, der eine Familiengeschichte erzählt, die nicht nur einen jüdischen Hintergrund hat, sondern allgemeingültig ist. Komischerweise habe ich zusammen mit einer anderen israelischen Kollegin im letzten Jahr das Hörbuch dieses Romans eingesprochen. Dafür hatte man einen Sprecher gesucht, der neben Deutsch auch Hebräisch spricht, und da ich ja in Israel geboren bin, hat man mich gefragt.

Ich bin außer einem säkularen Israeli ein Diaspora-Jude – und generell auch ein Deutscher. Das sind meine drei Identitäten. In Haifa geboren, in der Israelitischen Kultusgemeinde in München groß geworden. Ich habe öffentliche Schulen besucht und Abitur gemacht. Dort bin ich nie als Jude oder gar Israeli identifiziert worden.

»Germani! Germani!«

Aber ausgerechnet in Israel wurde mir von Halbwüchsigen oft »Germani! Germani!« hinterhergerufen, nachdem sie erfahren hatten, dass wir in Deutschland wohnen. Das aber ist die einzige Form von Diskriminierung, wenn man es überhaupt so nennen will, die ich jemals erlebt habe. So weit zu meinen gefühlten Identitäten.

Nun also meldete sich vor einigen Monaten der Düsseldorfer Dramaturg David Benjamin Brückel bei mir und bot mir ausgerechnet eine Rolle in seiner Dramatisierung jenes Romans an. Es hat mich sehr gefreut, dass man sich für mich entschieden hat. Wenngleich ich gar nicht weiß, ob es hierzulande überhaupt so viele Theaterschauspieler gibt, die Hebräisch sprechen und auch noch den religiösen Hintergrund haben.

Meine Mutter wurde in Kirgisistan geboren und ist im Alter von zwei Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland geflohen. Im Jahr 1946 ist die Familie dann in Kassel in einem Flüchtlingslager untergekommen und ging nach der Staatsgründung nach Israel, wo meine Mutter groß geworden ist. Ihr Vater stammt ursprünglich aus Lemberg. Er war ein Fiddler, wie das auf Jiddisch heißt, also ein Geiger. Meine Mutter hat mir manchmal erzählt, dass sie seinen Geigenkasten tragen musste, als sie noch unterwegs waren.

Am Burgtheater habe ich nicht besonders viel gespielt, aber den älteren Kollegen viel zugeguckt.

Die Eltern meines Vaters sind beide aus Berlin, haben sich aber in Israel kennengelernt. Mein Großvater väterlicherseits fühlte sich Deutschland nach wie vor verbunden. Er fuhr jedes Jahr nach Bad Wildbad im Schwarzwald zur Kur. Wir haben uns immer sehr gut verstanden, weil er mit mir in seiner deutschen Muttersprache sprechen konnte.

Von seinem Vater, also meinem Urgroßvater, hieß es immer, er sei in Auschwitz ermordet worden. Erst vor etwa 20 Jahren hat dessen Bruder, der nach New York emigriert war, recherchiert. Dabei fand er heraus, dass mein Urgroßvater nicht in Auschwitz vergast, sondern im KZ Dachau von einem kroatischen Ustascha-Offizier erschlagen wurde. Ansonsten habe ich mit der Schoa so gut wie keine Berührung. Also keine traumatisierten Großeltern oder sonstige Verwandte.

Als Schüler mit der Geschichte konfrontiert

Ich bin in der Bundesrepublik als Schüler mit der Geschichte konfrontiert worden: etwa durch linke Lehrer, die nicht wussten, dass ihr Schüler Jaron (sie betonten anders als im Hebräischen immer auf der ersten Silbe) ein Jude ist. Eine Weile ging ich zur Zionistischen Jugend (ZJD), wo man über Israel informierte, mit dem Ziel, dass wir Alija machen.

Ich kam mir immer etwas komisch vor. Schließlich war ich mit meinen Eltern jedes Jahr in Israel, und deshalb hatte ich den Anspruch gar nicht, noch etwas über das Land zu lernen und auch nicht irgendwann einmal da hinzuziehen. Ich fühlte mich auch so in Israel zu Hause.

Nach dem Abitur bin ich nach Salzburg gegangen und habe am Mozarteum, der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, ein Studium begonnen. Am Ende dieser Schauspielausbildung hat mich Claus Peymann direkt ans Wiener Burgtheater engagiert. Da habe ich nicht besonders viel gespielt, aber sehr viel bei den älteren Kollegen zugeguckt.

Dann habe ich in Brechts Der kaukasische Kreidekreis in einer Inszenierung von Ruth Berghaus einen der Panzerreiter gespielt.
Nach anderthalb Jahren bin ich nach Karlsruhe ans Staatstheater gegangen. Da blieb ich etwas mehr als vier Spielzeiten und bin dann nach Berlin gezogen. Von hier aus habe ich in Dresden am »Theater in der Fabrik« gastiert. Das war eine dem Staatsschauspiel angegliederte Experimentierbühne, wo ich die Uraufführung des Stückes Anrufung des Herrn von Martin Heckmanns spielte.

Als das Theater am Kurfürstendamm noch in seinem Stammhaus existierte, habe ich einige Zeit später dort die Komödie Eine Familie gespielt. Regie führte Ilan Ronen, der Intendant des israelischen Nationaltheaters Habima. Das Stück hatte keinen jüdischen Hintergrund, sondern war eine tragisch-komische Familiengeschichte.

Nur noch gelegentlich Theater gespielt

Danach habe ich nur noch gelegentlich Theater gespielt und sehr viel als Synchronsprecher gearbeitet. Das mache ich ja nach wie vor, und die Liste der Filme, Serien und Schauspieler, für die ich die deutsche Stimme war, ist lang. Synchron ist eine Kunstform für sich und mit nichts anderem zu vergleichen. Man weiß in der ganzen Welt, dass diesbezüglich in Deutschland eine extrem gute Arbeit geleistet wird.

Für mich war es eine ganz besondere Aufgabe, an der Synchronisation für den Film »Zug des Lebens« mitzuarbeiten.

Für mich war es eine ganz besondere Aufgabe, an der Synchronisation für den Film Zug des Lebens mitzuarbeiten. Das war eine internationale Gemeinschaftsproduktion, bei der Radu Mihăileanu, der Sohn von Schoa-Überlebenden, Regie geführt hatte. Das ist für mich bis heute der beeindruckendste Spielfilm zum Thema Schoa.

Das sage ich nicht, weil ich darin gesprochen habe, sondern weil ich ihn so unglaublich klug erzählt finde. Der Film war im Original in Französisch gedreht, spielt aber in einem osteuropäischen Schtetl. Nun wollte der deutsche Verleih, dass Jiddisch gesprochen wird. Man holte den fast 90-jährigen Osman Ragheb, einen aus Nablus stammenden Juden, als Regisseur, der schon viele Jahre in Deutschland im Synchrongeschäft war.

Man suchte nach Schauspielern, die ein Gefühl für diese Sprache hatten, und es kam ein ganz toller Kollege aus München von der dortigen Bibliothek im jüdischen Gemeindezentrum, der noch das alte Jiddisch sprach. Der arbeitete mit uns an den Texten. Die aber mussten natürlich ein wenig an die deutsche Hochsprache angeglichen werden, damit das Publikum es verstand. Ich finde, das war eine große Leistung von allen Beteiligten mit einem großartigen Ergebnis. Schließlich also wurde in diesem Film in den deutschen Kinos Jiddisch gesprochen.

Diskussionen über den Nahost-Konflikt

Unter den Künstlern in diesem Land wird ja derzeit viel über den Nahost-Konflikt diskutiert. Nach dem verheerenden Terroranschlag vom 7. Oktober hörte man immer wieder, dass das als ganz schrecklich empfunden wurde, im gleichen Atemzug jedoch wurde ein »Aber« hinterhergeschoben. Allerdings hat mich direkt noch niemand angesprochen.

Ich höre immer nur von Kollegen, die hinter vorgehaltener Hand das Pogrom auf diese Weise relativieren. Oder es wird unkritisch António Guterres zitiert, wonach dieser Terroranschlag »nicht im luftleeren Raum« passiert sei. Das macht mich dann immer unfassbar sauer.
Ich denke, wenn jemand meint, sich dazu äußern zu müssen, sollte er sich die Geschichte des Staates Israel und die des ehemaligen Mandatsgebiets Palästina ganz genau angucken.

Er sollte sich mit den Fragen beschäftigen, wie die arabisch-israelischen Kriege angefangen haben, wer sie initiiert hat, um sich erst dann ein Urteil zu erlauben. Durch die Geschehnisse vom 7. Oktober habe ich festgestellt, dass ich mich sehr mit Israel identifiziere, wenngleich nicht zwingend mit der Regierung von Benjamin Netanjahu.

Aufgezeichnet von Gerhard Haase-Hindenberg

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