Berliner Stadtgespräch

»Mein zweites Zuhause«

»Ich war wählen, und es ist ein tolles Gefühl.« Nicola Lubitsch Foto: Gregor Zielke

Berliner Stadtgespräch

»Mein zweites Zuhause«

Nicola Lubitsch über ihren Vater Ernst, ihre Einbürgerung und Deutschland als Heimat

von Katrin Richter  28.08.2017 18:08 Uhr

Frau Lubitsch, das Kino Babylon hat am Montag einen Filmabend zu Ehren Ihres Vaters, Ernst Lubitsch, gegeben. Mit welchem Gefühl haben Sie daran teilgenommen?
Timothy Grossmann, der Chef des Babylon, ist der vielleicht größte Fan meines Vaters, und das Kino ist eben auch eine Art Zuhause für mich. Es bedeutet mir sehr viel, dass das filmische Erbe meines Vaters in Ehren gehalten wird und das Publikum auch Filme zu sehen bekommt, die vielleicht nicht so bekannt sind.

Welcher ist denn Ihr Lieblingsfilm?
Ninotchka. Der Film ist perfekt, zeitlos und lustig. Ich bin mit ihm groß geworden und kenne fast jede Zeile auswendig. Und einige Redewendungen sind in unsere Alltagssprache in der Familie mit eingegangen. Außerdem ist die Szene, in der Greta Garbo den Kommissar begrüßt und beide durch das Schlafzimmer gehen, inspiriert von dem Raum, in dem die Großeltern meiner Berliner Bekannten lebten. Ich dachte lange Zeit, meine Mutter, die etwas zur Übertreibung neigte, habe sich das ausgedacht, aber dann zeigte mir Laura von Wangenheim ein Foto, und dort sah ich die Gemeinsamkeiten. Der Film ist eine runde Sache und fühlt sich sehr heimisch an.

Was verbinden Sie mit der Stadt?

Berlin ist mein zweites Zuhause. Ich spreche etwas Deutsch und habe seit Kurzem einen deutschen Pass, mit dem ich auch reise. Ich war wählen, und es ist ein tolles Gefühl.

Wie kam es dazu, dass Sie die Staatsbürgerschaft beantragt haben?

Ich wusste nicht, dass ich überhaupt das Recht hatte, einen deutschen Pass zu erhalten. Ich komme seit über 25 Jahren nach Berlin – zum ersten Mal also zum 100. Geburtstag meines Vaters. Und Timothy Grossmann hat sich sehr dafür eingesetzt, dass Berlin eine Straße nach meinem Vater benennt. Leider ohne Erfolg, denn Straßen werden nur noch nach Frauen benannt. Grossmann erzählte mir also, dass ich dieses Recht hätte, und plötzlich fühlte es sich richtig an. Nachdem dieser jämmerliche Mensch zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, dachte ich, die Zeit sei reif, um nach Hause zu kommen. Ich war am Grab meiner Großeltern in Weißensee. Es gibt so viele Dinge, die sich hier einfach richtig anfühlen.

Haben Sie Ihren amerikanischen Pass trotzdem behalten?
Ja, ich reise aber nach Europa mit meinem deutschen. Aber sie stempeln leider die Pässe nicht mehr, von daher kann keiner in den USA sehen, dass ich in Deutschland war.

Wie beobachten Sie die politischen Geschehnisse in den USA?

Wo soll ich anfangen? Mein Psychologe hat mir geraten, ich solle lieber keine Nachrichten mehr sehen. Es ist so verstörend. Es scheint, als ob sich niemand mehr für unsere Werte einsetzt. Auf dem deutschen Konsulat haben sie mir erzählt, dass sie eine 300-prozentige Erhöhung bei Anträgen für die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Der Konsul sagte, dass vielen Schoa-Überlebenden die Situation in den USA bekannt vorkomme und sie sich deswegen um einen deutschen Pass bemühen – das ist doch schon sehr ironisch.

Charlottesville ist nur ein Beispiel für die Stimmung in den USA.
Ich denke, dass Donald Trump nicht eine gute Eigenschaft an sich hat. Er ist unmoralisch und narzisstisch. Ich habe ihn, bevor er Präsident wurde, nie wirklich wahrgenommen, aber wenn man sich Interviews von vor 20 Jahren mit ihm ansieht, dann merkt man, wie sehr sich seine Sprache verändert hat. Er hat fast keinen richtigen Wortschatz. Ich darf eigentlich gar nicht anfangen, über ihn zu reden. Ich vermute, dass die Republikaner nie etwas gegen ihn unternehmen werden, es sei denn, sie haben keine andere Möglichkeit mehr. Denn während des ganzen Dramas mit Russland und auch jetzt mit den Geschehnissen in Charlottesville verabschieden sie eine Agenda nach der anderen. Und die Demokraten verschlafen alles. In diesen Tagen ist es schwer, stolz darauf zu sein, Amerikaner zu sein.

In dreieinhalb Wochen sind Bundestagswahlen. Sie durften bereits per Brief abstimmen – zum ersten Mal. Verraten Sie uns, wie Sie sich entschieden haben?
Nun, ich denke, zurzeit ist Deutschland der Tonangeber der freien Welt. Angela Merkel hat einen starken Charakter, und sie hat eine feste Überzeugung, was Immigranten angeht. Ob sie dies nun unbedingt tun wollte oder nicht: Sie hat es getan. Und das hat eine moralische Botschaft ausgesendet. Es ist ihr Mo-ment. Weltpolitisch gesehen sind Emmanuel Macron und Justin Trudeau interessant.

Wie hat Ihre Familie reagiert, als Sie ihr eröffneten, einen deutschen Pass zu beantragen?
Meine Kinder haben es auch gleich getan. Als ich meinen Pass abgeholt habe – man muss erst ein Zertifikat beantragen, dann kann man sich um einen Pass bemühen –, war das Konsulat so voll, dass ich schon etwas ungeduldig wurde. Ein Mann, der mir geholfen hatte, sagte: Nicola, Sie müssen noch etwas warten, das sind alles Schoa-Überlebende, und wir müssen mit ihnen reden. Ich dachte an die schlimmen Dinge, die sie hatten durchmachen müssen. Als ich den Pass dann in der Hand hatte, war ich einfach überwältigt, und ich hatte sofort das Gefühl, Verantwortung übernehmen zu müssen. Was in Deutschland passiert, hat Auswirkungen auf die ganze Welt.

Ihr Vater emigrierte 1922 in die USA. Gab es denn etwas besonders Deutsches in Ihrer Kindheit?

Er starb ja noch, als ich sehr klein war, und zu Hause war es verboten, Deutsch zu sprechen. Viele seiner Freunde waren Deutsche. Meine Mutter wuchs im Schwarzwald auf und trug auch in Hollywood immer Dirndl. Es gab ziemlich viel Wurst. Mein Vater hat sein Judentum nicht gelebt.

Wie hat die Arbeit Ihres Vaters Sie beeinflusst?
Ich war für kurze Zeit mal Schauspielerin, aber das hat nicht so richtig funktioniert. Alle anderen waren blond und blauäugig und haben mich etwas seltsam angesehen. Was mir geblieben ist, ist der Wunsch, Dinge anders zu sehen und zu sagen, Situationen anders zu bewerten, einen gewissen Stil zu wahren. Mein Vater hatte einen tollen Stil. Er war nie vulgär und er verstand, dass weniger mehr ist. Heute sieht man zu viel in Filmen. Ich habe viele Jahre beim Radio gearbeitet und habe immer versucht, nach dem Vorbild meines Vaters einen anderen Zugang zu finden.

Mit Nicola Lubitsch sprach Katrin Richter.

Mehr Informationen zu Ernst Lubitschs Werk unter www.babylonberlin.de

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