Porträt der Woche

»Mein Zuhause ist hier«

Noam Petri ist Abiturient, Makkabi-Mitglied und engagiert sich gegen Antisemitismus

von Eugen El  25.07.2021 08:07 Uhr

»Meine Barmizwa hätte ich in Paris oder Tel Aviv feiern können – aber ich entschied mich für Frankfurt«: Noam Petri (17) Foto: Herlich

Noam Petri ist Abiturient, Makkabi-Mitglied und engagiert sich gegen Antisemitismus

von Eugen El  25.07.2021 08:07 Uhr

Ich liebe Fußball. Fußball bedeutet für mich Teamgeist und Zusammenarbeit. Das sind Charaktereigenschaften, die mich weitergebracht haben, weil ich gelernt habe, dass nicht nur mein Wille sich durchsetzt. Da ich drei Geschwister habe – zwei jüngere Brüder und eine kleine Schwester –, habe ich das auch in meiner Familie gelernt. Ich muss also immer auf andere achten.

Geboren wurde ich 2003 in Tel Aviv. Meine Mutter ist Israelin, mein Vater gebürtiger Pariser. Er lebt aber, seit er fünf Jahre alt ist, in Deutschland. Meine Mutter hat mit mir in der Kindheit Hebräisch gesprochen, deswegen verstehe ich die Sprache ganz gut. Ich spreche aber wenig Hebräisch, weil ich ihr meist auf Deutsch geantwortet habe.

Nach meinem Abitur werde ich wahrscheinlich für einige Monate nach Israel gehen, um dem Land etwas zu geben und meine Familie dort zu besuchen, die ich mindestens einmal im Jahr sehe. Aber auch, um Hebräisch zu lernen. Mein Vater hat mit mir Deutsch gesprochen und nicht Französisch, obwohl er in Paris geboren ist. Meine Eltern haben nämlich entschieden, dass ich perfektes Deutsch sprechen sollte. Und wenn ich dreisprachig aufwachsen würde, gäbe es ein Risiko, dass ich keine der drei Sprachen gut sprechen würde.

Mich einzumischen, habe ich vielleicht von meinem Großvater geerbt.

Ich bin relativ früh, in den ersten Monaten meines Lebens, nach Frankfurt gekommen. Erst war ich in einer privaten jüdischen Krabbelstube, wo ich meine ersten Freunde kennengelernt habe, die ich bis heute noch habe. Dann besuchte ich den Kindergarten und die Grundschule der Jüdischen Gemeinde. An der Lichtigfeld-Schule war ich bis zur siebten Klasse. Einige Freunde sind dann von dort an eine deutsche Privatschule gewechselt, und ich bin ihnen gefolgt. Mein Freundeskreis besteht größtenteils aus Nichtjuden.

SPORT Ich bin jetzt in der Jahrgangsstufe Q2 und komme bald in das letzte, zwölfte Schuljahr. Meine Leistungskurse sind Biologie und PoWi, also Politik und Wirtschaft. Sie stellen mich gewissermaßen dar. Denn ich möchte zum einen nach der Schule in Richtung Medizin, am liebsten Sportmedizin, gehen. In meiner Familie erzählt man sich, dass mein Vater, als ich geboren wurde, prophezeite, ich würde Arzt werden.

Meine Eltern haben mich nie gezwungen, Medizin zu studieren. Meine Mutter sagt scherzhaft, du kannst Medizin studieren, wo du möchtest. Ich mag es, Menschen zu helfen und Lösungen für Probleme zu finden. Weil ich viel Sport mache, habe ich mich oft verletzt und war dementsprechend oft beim Arzt. Mit diesen häufigen Besuchen habe ich Interesse an diesem Beruf gefunden, weshalb ich eher in die Orthopädie gehen möchte. Zum anderen hat mich Politik schon immer interessiert. Mein Vater hat mich in dieser Hinsicht sehr geprägt. Jeden Morgen habe ich mit ihm auf dem Weg zur Schule über Politik gesprochen.

Ich spiele bei Makkabi, seit ich drei Jahre alt bin. Ich habe mit Fußball angefangen, aber relativ schnell aufgehört, weil es mir anfangs nicht so viel Spaß machte, und bin auf Tennis umgeschwenkt. Als ich zehn war, habe ich beides gespielt. Mit zwölf habe ich mit Tennis aufgehört und fokussierte mich auf Fußball. Ich bin den Weg bis zur U19-Mannschaft gegangen, wo ich als Rechtsverteidiger spiele. Ich hatte auch Angebote von anderen Vereinen, habe sie aber abgelehnt, weil ich mich bei Makkabi zu Hause fühle. Makkabi hat mich sportlich geprägt. Für Makkabi Deutschland war ich Kapitän der U16-Fußballmannschaft bei den European Maccabi Games 2019 in Budapest. Wir holten damals Bronze.

QUIZ Bei Makkabi Deutschland bin ich außerdem im Jugendvorstand. Ich arbeite im Makkabi-Projekt »Zusammen1 – Für das, was uns verbindet« mit. Es geht darum, Antisemitismus- und Diskriminierungsprävention im Sport zu betreiben. Spezifisch geht es um Fußball, weil es laut der von »Zusammen1« durchgeführten Studie der Brennpunkt aller Sportarten ist. Ich bin dort als Beihelfer für Social Media und als jugendlicher Berater dabei. Ich wurde beispielsweise zu dem von Maccabi Nürnberg durchgeführten Jenö-Konrad-Cup eingeladen. In Zoom-Konferenzen traf ich mich zudem mit Nürnberger Schulklassen, wo ich mich, Makkabi und – durch ein kleines Quiz – auch das Judentum vorgestellt habe. Darin beantwortete ich Fragen und ließ mich auf eine Diskussion ein.

Ich merke als Jugendlicher, dass meine Freunde und Freundinnen, wenn sie nicht selbst politisch interessiert sind, immer weniger herkömmliche Medien lesen.

Ich engagiere mich auch privat gegen Israelhass und jegliche Formen des Antisemitismus. Mit etwa 15 Jahren fing ich an, auf Social Media, unter der Kommentarspalte der »Tagesschau« etwa, zu diskutieren und Kommentare zu melden. Ich habe schon viel Zuspruch bekommen von wildfremden Menschen, die mich auf einmal anschrieben und meinten: »Oh, einer hat es mal gesagt, danke!« Es gibt viele aus der jungen jüdischen Community, die das auch sehen, meine Kommentare liken und sich freuen, dass sich einer hinstellt, den Mund aufmacht und keine Angst hat, den Leuten die Wahrheit darzustellen.

soziale medien Ich wurde natürlich ziemlich oft auch beleidigt. Wenn man von Menschen beleidigt wird, die merken, dass sie mit ihren Argumenten falsch liegen oder einfach nur puren Hass verbreiten und aus Frust beleidigen, dann finde ich das eher lustig und amüsant. Was ich schockierend finde: Egal, was auf Instagram oder Twitter mit irgendeinem Bezug zu Judentum oder Israel gepostet wird, wird mit Hetze und Lügen kommentiert. Nach zwei Jahren komme ich nun, mit 17, zu dem Schluss, dass ich merke, wie zunehmend wichtig soziale Medien für politische Information werden.

Ich merke als Jugendlicher, dass meine Freunde und Freundinnen, wenn sie nicht selbst politisch interessiert sind, immer weniger herkömmliche Medien lesen, sondern ihre Informationen eher aus TikTok, Instagram und zum Teil auch Twitter beziehen. Daher habe ich vor einigen Wochen einen eigenen Twitter-Account unter meinem Namen eröffnet. Dort versuche ich, auf Probleme wie Hass und Antisemitismus hinzuweisen.

Social Media hat eine extrem große Tragweite. Wenn man als neutraler Zuschauer in die Kommentare schaut und nur Fake News und Halbwahrheiten mitbekommt, dann wundert es mich nicht, dass man auf der falschen Seite landet. Ich wende viel Zeit auf, um dort mit Menschen zu diskutieren. Diejenigen, die sich hier Informationen, insbesondere zu Juden und Israel, holen, sehen meistens nur die eine Seite. Es geht mir darum, die andere Seite darzustellen. Die Wahrheit liegt größtenteils in der Mitte.

KOSCHER Erzogen wurde ich traditionell. Ich ernähre mich koscher, indem ich kein Schweinefleisch esse und Milchiges und Fleischiges trenne. Ich gehe gelegentlich zur Synagoge. Wir feiern alle Feiertage. An Jom Kippur faste ich. Ich sehe mich nicht als religiösen, aber als traditionellen Juden. Ich habe viele jüdische Freunde, die liberaler eingestellt sind, die zwar die Feiertage begehen, aber nicht koscher essen. Ich habe aber auch Freunde, die strenger sind als ich und Schabbat halten.

Erzogen wurde ich traditionell. Ich ernähre mich koscher, indem ich kein Schweinefleisch esse und Milchiges und Fleischiges trenne.

Mein Großvater, der Vater meiner Mutter, Ernst Simons, war Rabbiner in Köln. Nach der Schoa – er war mit seiner Frau in Bergen-Belsen – hat er die Kölner Synagogen-Gemeinde wiederaufgebaut. Er war auch lange Gemeindevorsitzender. Nach ihm wurde in Köln eine Schule benannt, weil er sich sehr für den interreligiösen Dialog eingesetzt hat.

Meine Eltern sagen, dass ich dieses Engagement vielleicht von ihm geerbt habe. Mein Vater kommt aus einer nicht-religiösen und nicht-traditionellen Familie. Seine Mutter war nicht traditionell, sein Vater ist Nichtjude, hat sich aber als Anwalt viel gegen Antisemitismus eingesetzt. Mein Vater hat anfangs nicht koscher gegessen, hat sich dann aber später der traditionelleren Seite des Judentums zugewandt.

heimat Ist Deutschland meine Heimat? Diese Frage wird mir oft gestellt, da ich auch den israelischen Pass habe. Israel ist und bleibt für mich immer ein Zuhause. Ein großer Teil meiner Familie lebt dort. Aber weil ich hier aufgewachsen bin, ist Deutschland meine Heimat. Die Frage wurde mir zum ersten Mal bei der Barmizwa gestellt. Meine Eltern fragten mich, ob ich sie in Paris, Frankfurt oder Tel Aviv feiern möchte. Ich antwortete: Frankfurt. Denn zu Paris habe ich kaum Bezug, französisch fühle ich mich nicht. Als Israeli fühle ich mich teilweise.

Eher bin ich deutscher Jude, weil ich die Sprache beherrsche, meine Freunde hier leben und ich mein Leben hier aufgebaut habe. Ich feuere die deutsche Nationalmannschaft bei der WM und EM an, und ich bin Eintracht-Frankfurt-Fan. Mein Leben hat hier begonnen und wird auch hoffentlich hier enden. Eine Familie möchte ich auch in Deutschland gründen. Deswegen will ich das nächste Kapitel hier aufschlagen. Ich bin auf dem Weg zu einem Abiturdurchschnitt von 1,1. Das heißt, dass ich mein Medizinstudium in Deutschland absolvieren kann. Das ist mein Ziel.

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