Porträt der Woche

»Mein Alltag ist vollgepackt«

Evgeny Schnittmann widmet sich der Elektromobilität, Kunst und seiner Promotion

von Annette Kanis  27.11.2022 10:49 Uhr

»Was ich in St. Petersburg genossen habe, war unsere rund eine Stunde entfernte Datscha«: Evgeny Schnittmann (32) lebt jetzt in Wuppertal. Foto: Sophie Künnecke

Evgeny Schnittmann widmet sich der Elektromobilität, Kunst und seiner Promotion

von Annette Kanis  27.11.2022 10:49 Uhr

Ich wurde in St. Petersburg geboren. Als ich acht Jahre war, emigrierten meine Eltern mit mir nach Deutschland. Wir kamen zunächst in ein Flüchtlingsheim in Unna bei Dortmund, dann nach Wuppertal. Hier bin ich aufs Gymnasium gegangen, hier habe ich studiert, und jetzt promoviere ich im Fach Elektrotechnik.

Das Thema meiner Promotionsarbeit, mit dem ich mich seit 2017 beschäftige, liegt im Bereich Erneuerbare Energien, Elektromobilität und Energieversorgungstechnik. Das Thema wird immer aktueller, und ich möchte mich in diesem Bereich nach Abschluss meiner Promotion auch beruflich selbstständig machen.

Zurzeit arbeite ich als Doktorand am Lehrstuhl für Energieversorgungstechnik an der Bergischen Universität Wuppertal. Energieversorgungstechnik hat mich schon immer interessiert und ist auch sehr zukunftsweisend. Alle Haushalte und gewerblichen Gebäude müssen mit Strom versorgt werden. Die Netzbetreiber stehen vor großen neuen Herausforderungen aufgrund der Energie- und Verkehrswende mit immer mehr Elektrofahrzeugen.

Fokus Neuartige elektrische Anlagen werden an das Netz angeschlossen, aber da in den Unternehmen bislang kein Bedarf für Innovationen war, haben sie auch in der Regel keine Forschungs- und Entwicklungsabteilungen aufgebaut. Deswegen liegt jetzt ein starker Fokus auf Forschungsinstitutionen, die dann mit diesen Unternehmen zusammenarbeiten, Berechnungen durchführen, ob Anlagen ans Netz angeschlossen werden können, ohne dass es Probleme gibt, und ermitteln, welcher Ausbau notwendig ist.

Alles wird irgendwie digitaler, auch die Kunstwelt.

Die meisten Netze in Deutschland liegen seit bis zu 100 Jahren schon im Boden und wurden nicht für die neuen Versorgungsaufgaben ausgelegt. Mit einem Freund, der ebenfalls gerade promoviert, habe ich eine Gründungsförderung beantragt und bewilligt bekommen. Wir werden also finanziert, dass wir innerhalb eines Forschungsprojekts unsere eigene Firma aufbauen können mit dem Fokus Elektromobilität und Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge.

Ich bin allgemein interessiert an Selbstständigkeit und konnte gemeinsam mit zwei Freunden schon ein ganz anderes Projekt realisieren – eine Online-Kunstgalerie. Die Inspiration dazu kam durch meinen Vater. Er ist wie ich gelernter Ingenieur, aber seitdem wir in Deutschland sind, hat er nicht als Ingenieur gearbeitet, sondern im Kulturbereich und als Künstler. Alles wird irgendwie digitaler, auch die Kunstwelt.

Vor vier Monaten sind wir online gegangen, es ist auf jeden Fall sehr interessant. Die Online-Galerie würde ich als spannendes Nebenprojekt einstufen. Wir haben uns kürzlich über unseren ersten Verkauf gefreut, nebenbei strecken wir unsere Fühler aus hinsichtlich Marketingpartnern.

Endphase Aktuell sieht mein Alltag ziemlich vollgepackt aus. Ich bin in der Endphase meiner Promotion, deswegen ist hier mehr zu tun. Auch auf der Online-Galerie lag viel Fokus, aber sie steht jetzt. Da haben wir auch sehr viel Zeit investiert, einen Businessplan geschrieben, die Künstler und Kunstwerke ausgewählt. Ich habe hauptsächlich programmiert und die Internetseiten gestaltet beziehungsweise andere Programmierer koordiniert.

Ansonsten versuche ich, mich möglichst fit zu halten, ins Fitnessstudio zu gehen, meine Eltern und meine Freundin zu sehen. Urlaub ist mir in jedem Fall auch wichtig. Ich war dieses Jahr zum Beispiel dreimal in Israel und vergangenes Jahr in Panama und Kolumbien. In Südamerika gibt es sehr viel Natur, faszinierende Landschaften, und das Klima gefällt mir sehr gut.

In Israel bin ich mindestens einmal jährlich, dort lebt über die Hälfte meiner Familie.

In Israel bin ich mindestens einmal jährlich, dort lebt über die Hälfte meiner Familie. Bevor wir selbst nach Deutschland gegangen sind, ist ein großer Teil von ihnen nach Israel ausgewandert. Eine Cousine lebt in Holland, ein Cousin in den USA, die restliche Familie lebt in Israel und St. Petersburg. Treffen sind zurzeit deutlich erschwert.

staatsbürgerschaft Ich habe die deutsche und die russische Staatsbürgerschaft. Mit der deutschen bekomme ich kein Visum, und mit der russischen Staatsbürgerschaft in Russland einzureisen, ist derzeit aufgrund der Mobilmachung sehr problematisch und kontraproduktiv. Das Letzte, was ich will, ist es, eingezogen zu werden.

Aber ich will natürlich trotzdem meine Familie, vor allem meine Oma, sehen. Für sie ist es wegen körperlicher Einschränkungen nicht mehr möglich zu reisen, sonst könnte man sich vielleicht auch einmal in Israel oder Deutschland treffen. Die russische Staatsbürgerschaft möchte ich noch behalten, weil ich denke, prinzipiell ist es besser, mehrere Staatsbürgerschaften zu haben, die Chance hat ja nicht jeder. Ganz allgemein bietet es mehr Flexibilität.

St. Petersburg und Wuppertal sind sehr unterschiedlich, die eine Stadt hat vier Millionen Einwohner, die andere nur 370.000. Das allein ist ein großer Unterschied. St. Petersburg ist riesengroß. Es war ja eine Zeit lang die Hauptstadt und früher auch die Vorzeigestadt der Zaren. Das sieht man natürlich bis heute, da wurde sehr viel Kultur hineingesteckt, die Stadt hat sehr schöne Architektur, ist umgeben von Wasser, und ich mag auch die kleinen Inseln dort. Was ich auch genossen habe, war unsere rund eine Stunde entfernte Datscha, in der wir die Wochenenden verbracht haben. Das sind schöne Erinnerungen an St. Petersburg.

Ich hatte schon immer diesen Patriotismus zu Israel, ich bin von jeher zionistisch gewesen.

Ich gehöre offiziell der Jüdischen Kultusgemeinde Wuppertal an, ich war aber nicht oft dort, sondern deutlich öfter in Düsseldorf. Dort habe ich mehr Kontakt mit der jüdischen Community – seit rund vier Jahren. Vorher hatte ich eigentlich keine jüdischen Freunde, die meisten kamen vor allem aus südlichen Ländern. Mir war irgendwie das Orientalische näher. Trotzdem hatte ich immer schon diesen Patriotismus zu Israel, ich bin von jeher zionistisch gewesen. Das stand durchaus im Kontrast zu meinen Freunden aus dem orientalischen Kulturkreis und ist vielleicht für manche auf den ersten Blick ein Widerspruch.

Mit der jüdischen Religion habe ich recht wenig zu tun. Für mich ist das Judentum vor allem als Volksgemeinschaft wichtig. Meine Herkunft, meine Vorfahren und auch die Verbindung zu Israel sind ganz präsent und wichtig. Schon im Kleinkindalter waren wir mit der Familie regelmäßig in Israel. Es ist mir auch wichtig, dass ich Hebräisch sprechen und verstehen kann.

Heirat Vor drei, vier Jahren habe ich mich dann stärker in jüdische Kreise begeben, auch im Hinblick auf das Thema Heirat. Für mich stand fest, dass ich eine Jüdin heiraten möchte. Das wurde mir auch von meinen Eltern vorgelebt und irgendwie vorgegeben. Also, sie hätten mich nicht enterbt, aber es war schon gewünscht, und es war auch mein eigener Wunsch.

Ich habe mich aber immer zu meinem Jüdischsein bekannt und war stolz darauf. Obwohl ich auch viele Probleme damit hatte, war es mir wichtig, das nicht zu verheimlichen. Dadurch kam es zu vielen Diskussionen, vor allem zum Thema Nahostkonflikt.

Häufig habe ich mich wie ein Israel-Botschafter gefühlt und zumindest verbal das Land, das ich für meine Heimat halte, verteidigt.

Häufig habe ich mich wie ein Israel-Botschafter gefühlt und zumindest verbal das Land, das ich für meine Heimat halte, verteidigt. Im Freundeskreis wurde das ziemlich gut aufgenommen, aber ich konnte auch sehr früh und sehr effektiv aussieben, wer eigentlich ein richtiger Freund ist.

reisen Die größten Probleme hatte ich mit muslimischen Menschen, aber auch die besten Freunde sind aus diesem Kulturkreis. Manchmal war es anstrengend, aber eben auch authentisch – und auf jeden Fall lohnenswert. Ich bin sehr froh, dass ich diesen Weg gewählt habe. Irgendwann habe ich zum Beispiel auch zwei Freunde nach Israel mitgenommen, der eine ist ursprünglich aus Marokko, der andere aus Ägypten. Wir haben bei meiner Familie gewohnt und sind im ganzen Land herumgereist.

Ich glaube, es ist leichter, jemanden zu hassen, den man nicht kennt. Wenn Verbindungen und Sympathien entstehen, dann denkt man zweimal darüber nach, ob man blind irgendwelchen negativen Sachen glaubt, die über Israel oder Juden gesagt werden. Dann ist man einfach generell resistenter gegenüber Propaganda.

Aufgezeichnet von Annette Kanis

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