Zwanzig Jahre nach der Zuwanderung aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion haben sich die jüdischen Gemeinden in Deutschland verändert. Sie sind von neuen Gesichtern und Programmen geprägt. Ihr Wachsen hat sie selbstbewusster werden lassen, neue Synagogen mussten gebaut werden, weil die alten zu klein für den Mitgliederzuwachs geworden waren. Und sie haben sich der nichtjüdischen Gesellschaft geöffnet.
Doch bei aller Dynamik des Aufbruchs bleiben auch die nüchternen, alltäglichen, häufig sehr ernsten Pflichten und Aufgaben der Gemeinde. Eine davon, die angesichts des jüdischen Booms leicht aus dem Blick gerät, ist der Erhalt und die Gestaltung jüdischer Friedhöfe. Manch eine junge Gemeinde kämpft noch darum, überhaupt einen »guten Ort« anlegen zu können. Andere benötigen dringend eine räumliche Erweiterung ihres Friedhofs, ist doch jedes Grab für die Ewigkeit angelegt und der Bedarf mit der Zuwanderung gestiegen. Eine Mehrfachnutzung einer Grabstelle kommt halachisch nicht infrage.
In den allermeisten Fällen stoßen die jüdischen Gemeinden bei ihrer Suche nach geeigneten Flächen auf viel Verständnis und Unterstützung durch die Kommunen, in diesem Jahr besonders gut erkennbar in Würzburg und Erfurt. In Würzburg stimmte die Stadt schon im Januar der nötigen Friedhofserweiterung zu und beginnt nun damit, die vorgesehene Fläche in Abstimmung mit der Gemeinde entsprechend zu gestalten. Dabei streckt sie die anfallenden Kosten zunächst vor; über erhobene Gebühren im Belegungsfall fließen die Mittel dann schrittweise an die Kommune zurück. Für die mitgliederschwachen Gemeinden im Osten Deutschlands ist Hilfe vonseiten der Länder und Städte häufig noch wichtiger.
Entlastung Im Frühjahr 2014 beschloss beispielsweise die Thüringer Landesregierung, für die Erweiterung und den Erhalt des jüdischen Friedhofs in Erfurt mehr als 100.000 Euro bereitzustellen. In Brandenburg sorgte die Eröffnung des jüdischen Friedhofs in Frankfurt/Oder vor vier Jahren für eine fast schon rettende Entlastung.
Die Gemeinden bewerten diese Entwicklung als positiv, wobei es für sie wichtig bleibt, ihre Planungen klug und vorausschauend zu gestalten. Der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Würzburg, Josef Schuster, hält es für eine »zwingende Voraussetzung, dass die Gemeinden im Eigentum derjenigen Flächen sind, die zur Erweiterung ihrer Friedhöfe genutzt werden sollen«. Demzufolge seien Pachtverträge eine unsichere Alternative, so Schuster, der auch Präsident des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern ist.
Ehepartner Was die Bestattungen auf den jüdischen Friedhöfen betrifft, gibt es darüber hinaus einige diffizile Fragen, auf die es offenbar keine allgemeingültige Antworten gibt. So werden die Gemeindevorstände immer wieder mit dem Anliegen konfrontiert, einem nichtjüdischen Partner direkt an der Seite des geliebten Menschen oder zumindest auf dem gleichen Friedhof die letzte Ruhestätte zu gewähren. Die Antworten hierauf sind jedoch sehr unterschiedlich.
Liberale Gemeinden wie Beth Shalom in München und die LJG Hannover sehen darin kein Problem. Die Rabbiner begründen dies folgendermaßen: »Rein halachisch ist haKever, das Grab, heilig, und nicht das Grabfeld«, betont etwa Schleswig-Holsteins Landesrabbiner Walter Rothschild. »Damit ergeben sich verschiedene Möglichkeiten, auch nichtjüdische Partner auf einem jüdischen Friedhof zu beerdigen.«
»Eine Variante ist es«, so Rothschild weiter, »ein ›jüdisches Feld‹ und ein ›gemischtes Feld‹ einzurichten, Letzteres mit zumindest einer Grabreihe für Nichtjuden.« Auch Ingrid Wettberg, Vorsitzende der Liberalen Gemeinde in Hannover, bestätigt: »Bei uns ist es so, dass nichtjüdische Ehepartner selbstverständlich neben dem jüdischen Partner beerdigt werden.«
Gemischte Felder Für die Israelitische Kultusgemeinde Würzburg konstatiert Josef Schuster hingegen: »Für gemischtreligiöse Paare gibt es keine Möglichkeit, auf dem jüdischen Friedhof beerdigt zu werden. Wir haben kein gemischtes Feld.«
Andere Gemeinden bieten eine Art Kompromisslösung an, so beispielsweise in Chemnitz. »Interkonfessionelle Paare können bei uns beerdigt werden«, erklärt Vorstandsmitglied Anatolie Oratovski. »Die Gräber der nichtjüdischen Partner werden auf dem jüdischen Friedhof mit angelegt. Sie sind durch eine kleine Hecke vom übrigen Areal getrennt, aber die betreffenden Paare liegen dann doch relativ nahe beieinander.«
Bearbeitungsgebühr Ähnlich kontrovers wie die Unterbringung nichtjüdischer Ehepartner werden unterschiedliche Bearbeitungsgebühren diskutiert, die die jeweiligen jüdischen Gemeinden bei einer Beerdigung für eigene Mitglieder und umgekehrt für (jüdische) Nichtmitglieder erheben. Die Spanne kann vor Ort immerhin so weit auseinanderliegen, dass »Externe« sie als Provokation empfinden. Umgekehrt verweisen Gemeindevorstände auf die kontinuierlichen Mühen und finanziellen Mittel, die für einen stetig funktionierenden Friedhofsbetrieb aufgebracht werden müssen.
gebührensatz In Würzburg entscheidet der Gemeindevorstand situationsbedingt über den höheren Gebührensatz für Nichtmitglieder. »Wir machen es uns damit nicht leicht«, sagt Schuster, »aber die Fälle sind einfach sehr unterschiedlich gelagert. Vor Kurzem baten uns zum Beispiel die Verwandten eines Autobahn-Unfallopfers, das halachisch jüdisch war, um Beisetzung auf unserem Friedhof. Dieses Beispiel lässt sich schlecht vergleichen mit dem Fall eines Verstorbenen, der viele Jahre lang in der Stadt gelebt hat, der Gemeinde aber fernblieb, auch keine Bekenntnissteuer zahlte, und dessen Verwandtschaft nun die Bestattung auf dem Gemeindefriedhof wünscht.«
Auch Rabbiner Rothschild rechtfertigt einen höheren Gebührensatz für Nichtmitglieder: »Es sind zuallererst die Mitglieder, die eine Gemeinde am Leben halten, und durch ihre Beiträge auch sämtliche Dienste. Da scheint es nur legitim, wenn Unbeteiligte, die auf einem jüdischen Friedhof von einem Rabbiner oder Kantor beerdigt sein wollen, auch mehr zahlen.«
Doch ob nun Gemeindemitglied oder nicht – in vielen Städten haben Juden, die selbst nur über minimales Einkommen verfügen und hauptsächlich auf Wohlfahrtsleistungen angewiesen sind, den Wunsch nach einer jüdischen Bestattung.
Auf Antrag der Gemeinden helfen die Sozialämter dann häufig bei der Deckung der Beerdigungskosten, während die Gemeinden nach weiteren Möglichkeiten suchen, um maximale Hilfe zu leisten. So führt die Jüdische Gemeinde Potsdam Stadt beispielsweise ein eigenes »Konto Friedhof«, das laut ihrem Vorsitzenden Mikhail Tkach »dabei hilft, mit angesparten Geldern finanzschwache Familien und Einzelpersonen genau dann zu unterstützen, wenn sie von Todesfällen betroffen sind«.