Schweigend finden sich die Jugendlichen vor dem Eingangstor zur Gedenkstätte zusammen. Zuvor waren die Fußball-Nachwuchsmannschaften aus Polen, Tschechien, Ungarn und Deutschland individuell über das Gelände des einstigen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz geführt worden. Nun stehen die jungen Sportler und ihre Betreuer gemeinsam an jenem Denkmal, an dem sich die Tafeln befinden, die in unterschiedlichen Sprachen an die während des Nationalsozialismus ermordeten Menschen erinnern.
Für die U15 des 1. FC Köln sind es Timo und Kristiyan, die gemeinsam mit anderen jungen Sportlern Kerzen entzünden an der Tafel mit dem Text »Dieser Ort sei allezeit ein Aufschrei der Verzweiflung und Mahnung an die Menschheit. Hier ermordeten die Nazis etwa anderthalb Millionen Männer, Frauen und Kinder. Die meisten waren Juden aus verschiedenen Ländern Europas. Auschwitz-Birkenau 1940–1945«.
Zusammenarbeit Die Reise mit dem Besuch der Gedenkstätte markiert einen ersten Höhepunkt in der noch jungen Zusammenarbeit der Synagogen-Gemeinde Köln (SGK) mit dem Kölner Traditionsverein. »Wir freuen uns außerordentlich auf die Zusammenarbeit mit dem 1. FC Köln. Der Besuch von einer der Nachwuchsmannschaften des 1. FC Köln in Auschwitz dieser Tage ist ein Beispiel dafür, wie wichtig und ernsthaft dem Verein der Kampf gegen Antisemitismus ist«, sagt SGK-Vorstandsmitglied Felix Schotland der Jüdischen Allgemeinen.
Der Besuch in Auschwitz zeige, wie wichtig dem 1. FC Köln der Kampf gegen Antisemitismus ist.
Mit größtem Interesse verfolgt nicht zuletzt auch Werner Wolf die Reise der U15. Der Präsident des 1. FC Köln hatte wenige Tage vor deren Fahrt nach Tschechien und Polen als Festredner beim Jahresempfang der Synagogen-Gemeinde dargelegt, wie solche und ähnliche Aktionen künftig noch intensiver in die Arbeit des Nachwuchsleistungszentrums aufgenommen werden sollen.
»Der 1. FC Köln positioniert sich seit Jahren klar gegen Antisemitismus. Dazu gehört es auch, unsere Nachwuchsspieler zu sensibilisieren und entsprechend zu bilden. Deshalb sind uns solche Reisen, wie sie jetzt unsere U15 unternommen hat, ein großes Anliegen.«
rundgang Der Ankündigung folgte nur wenige Tage später die Umsetzung. Rund vier Stunden dauert der Besuch in der Gedenkstätte mit Rundgang durch den Ausstellungsbereich im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz I sowie im Vernichtungslager Birkenau.
Vor dem Eingangsbereich des Stammlagers mit der Aufschrift »Arbeit macht frei« nimmt der stellvertretende Direktor der Gedenkstätte sowie Leiter des internationalen Bildungszentrums über Auschwitz und den Holocaust die sechs Mannschaften aus Köln und Augsburg, Ostrava und Vikovice (Tschechien), dem polnischen Zabrze sowie von der ungarischen Puskas-Akademie in Empfang.
»Ich bin sehr bewegt, dass ihr so zahlreich und gemeinsam aus Deutschland, Tschechien, Ungarn und Polen hierhergekommen seid«, empfängt sie Andrzej Kacorzyk und ergänzt: »Gerade nach der langen Zeit der Pandemie und aufgrund der aktuellen Lage ist es umso wichtiger, dass junge Menschen diesen Ort sehen und gemeinsam der Opfer gedenken.«
nachhaltigkeit Diesen Gedanken nimmt auch Maria Chrapczynska auf. Die Deutschlehrerin hatte die Führung für die Mannschaft der 15 Jahre alten Spieler aus Köln übernommen. »Dieser Ort soll Mahnung sein, es soll nichts vergessen werden, denn die Geschichte, die sich hier ereignet hat, ist grausam«, wendet sie sich an die jungen Fußballer und ergänzt: »Menschen sollen hier zusammenkommen und gedenken, die Besuche sollen einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen und etwas bewirken.«
Am Ende des Rundgangs zeigt sie sich beeindruckt von dem großen Interesse und der Konzentration, mit der die Jugendlichen ihren Ausführungen gefolgt sind. »Bitte tragt eure Eindrücke weiter und bestärkt andere, hierherzukommen«, gibt sie den Jugendlichen mit auf den Weg.
Drei Tage hat sich die U15-Nachwuchsmannschaft des 1. FC Köln in Tschechien und Polen aufgehalten und an einem Vierländerfußballturnier für U15-Nachwuchsmannschaften im tschechischen Ostrava teilgenommen. Doch bei der Reise spielt der Sport eher eine Nebenrolle.
Matthias Heidrich und Carsten Schiel, die beiden Leiter des Nachwuchsleistungszentrums des 1. FC Köln, unterstreichen dies auch im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen: »Es geht bei dieser Fahrt in erster Linie darum, die Persönlichkeitsentwicklung jedes einzelnen Spielers zu stärken.« In den vielen Mannschaften des Kölner Vereins seien Menschen aus vielen Nationen aktiv, an dieser Fahrt nahmen beispielsweise Spieler aus Syrien und Angola teil. »Der Sport hat integrativen Charakter, er ist ein verbindendes Miteinander – auch abseits des Fußballplatzes.«
Vorbereitung Dem Besuch des ehemaligen Vernichtungslagers war ein gemeinsamer Workshop der Teams aus den vier Ländern im Kulturzentrum von Ostrava vorausgegangen. Die jungen Menschen sollten dabei voneinander lernen und nachvollziehen, wie im jeweiligen Land an die von den Nationalsozialisten ermordeten Juden erinnert wird.
Die Gruppe aus Augsburg griff das Projekt Stolpersteine auf und berichtete von jüdischen Fußballern aus der Fuggerstadt. Die Kölner stellten dar, wie jüdische Sportler in der NS-Zeit zunächst aus den Verbänden und Vereinen gedrängt und später verfolgt und ermordet wurden. Namentlich erinnerten sie an den Kölner Fußballer Adolf Levy sowie den engagierten Kölner Unternehmer und Fußballfunktionär Ernst Peltzer.
Bereits am Abend zuvor, im Anschluss an den kräftezehrenden Turniertag mit mehreren Spielen hintereinander, hatten sich die 18 jungen Kicker aus der Rheinmetropole mit ihren Begleitern durch Vorträge im Rahmen einer Mannschaftsbesprechung auf den Tag vorbereitet.
vorträge So referierten die Jugendlichen beispielsweise über Adolf Hitler und den Nationalsozialismus, Formen und Personen des Widerstands wie Georg Elser und Oskar Schindler, vor allem aber über den Holocaust. »Diese Vorträge sind für die Gruppe insgesamt, aber auch für jeden Einzelnen sehr wertvoll«, fasst es Markus Halfmann, Co-Trainer der U15 und einer der Mitorganisatoren des Vierländerturniers, zusammen.
Halfmann hatte die Jugendlichen dazu angeregt, sich auf diesen Aspekt der Reise vorzubereiten. »Es war mir wichtig, dass sich die jungen Menschen vorab mit der Geschichte des Nationalsozialismus und der Entstehung des Holocaust befassen, auch wenn manche von ihnen das Thema noch gar nicht in der Schule behandelt haben.« Ebenso wichtig sei es aber auch, gemeinsam darüber zu sprechen und das Erlebte aufzuarbeiten.
Die Jugendlichen hatten sich vorab mit der Entstehung des Holocaust beschäftigt.
Dies wird am Abschlussabend nach dem Besuch von Auschwitz deutlich. Der Besuch hat die Jugendlichen sehr bewegt. Auf die Frage eines Betreuers, was sie denn am meisten beeindruckt habe, antwortet ein 15-Jähriger schlicht und eindringlich: »Die Kinderschuhe.« Solche Reaktionen nimmt auch Carsten Cullmann auf.
Fußball ist mehr, als einfach nur als Profi oder Spieler auf dem Platz zu stehen«, betont der Trainer der U15. Der ehemalige Profispieler aus der Bundesliga-Mannschaft des 1. FC Köln resümiert: »Dass wir mit unserem FC-Nachwuchs gemeinsam in Auschwitz waren, prägt die jungen Spieler unter Umständen stärker, als es beispielsweise der Schulunterricht leisten kann.«
signal Und das sieht auch Felix Schotland von der Synagogen-Gemeinde so. Eine solche Reise sei ein starkes Signal für die noch am Anfang befindliche Kooperation. »Wir glauben, dass Sport und besonders der in Köln so geliebte Fußball einen großen Teil zum Kampf gegen Antisemitismus beitragen kann«, sagt Schotland. »Wir von der SGK sehen diese Kooperation daher als die perfekte Brücke, um Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren und durch gemeinsame Projekte zu erreichen.«
Aus den Gesprächen, die die jungen Sportler vor, während und nach dieser Begegnung mit der Geschichte führten, lässt sich heraushören, wie nachhaltig sie diesen Tag aufgenommen haben. Timo fasst seine Eindrücke mit den Worten zusammen: »Was wir hier erlebt haben, ist mehr als Schulunterricht. Das geht darüber hinaus. Ich finde, dass viel mehr Schüler unbedingt einen solchen Ort besuchen müssen.« Und Kristiyan fügt hinzu: »Ein Besuch ist viel krasser als die Schwarz-Weiß-Fotos in den Schulbüchern.«