Porträt der Woche

Material für die Ewigkeit

Jehoshua Rozenman ist leidenschaftlicher Bildhauer und arbeitet vor allem mit Glas

von Alicia Rust  05.01.2025 09:02 Uhr

»Wenn ich mich als Kind beschreiben müsste, dann würde ich sagen, ich war ein Träumer«: Jehoshua Rozenman (69) aus Berlin Foto: Stephan Pramme

Jehoshua Rozenman ist leidenschaftlicher Bildhauer und arbeitet vor allem mit Glas

von Alicia Rust  05.01.2025 09:02 Uhr

Glas kann transparent sein, fragil und vielschichtig, durch die entsprechende Bearbeitung kann es aber auch die Anmutung von Stahl haben, hart und kalt. Wenn es nicht zerbricht, handelt es sich um ein Material für die Ewigkeit. Dass aus mir einmal ein Bildhauer werden würde und Glas das von mir bevorzugte Medium sein sollte, war mir nicht in die Wiege gelegt, als ich 1955 in Tel Aviv geboren wurde.
Meine Mutter Rivka und mein Vater Aron waren hart arbeitende Menschen, sie waren liebevoll und streng.

Mein Bruder Moses ist sieben Jahre älter, und wir könnten unterschiedlicher kaum sein. Er war Busfahrer und führt ein bürgerliches Dasein, ist Vater einer Tochter, hat ein Haus und eine Frau, während ich als Künstler weltweit unterwegs bin, mit mehreren Wohnsitzen und ständig neuen Projekten.

Meine Eltern hatten eine Bäckerei in Tel Aviv, aus der sie später eine Milchbar machten. Da sie sehr viel gearbeitet haben, war ich als Kind oft allein zu Hause. Es gab Freunde und Bekannte in unserem Umfeld, meine Eltern sorgten für gutes Essen und ein Dach über dem Kopf, doch wenn es um das Thema Familie ging, war da eine Mauer des Schweigens. Ich hatte keine Großeltern, alle waren in der Schoa getötet worden, wie die meisten unserer Verwandten. Was genau wo und wann in ihren Herkunftsländern passiert war, bevor meine Eltern nach Israel kamen, darüber weiß ich nur wenig.

Fragen danach habe ich nie gestellt, so konnte es auch keine Antworten geben

Als Kind habe ich manchmal heimlich in den Schränken gewühlt und dabei Fotos gefunden, auf die ich mir keinen Reim machen konnte. Von meiner Mutter in jungen Jahren in Berlin, mit einem Mann und einem Kind an der Hand. Schick gekleidet, das Kleinkind war mein Bruder, der Mann aber nicht mein Vater. Fragen danach habe ich aber nie gestellt, so konnte es auch keine Antworten geben.

Mein Ehemann Boris Dittrich, mit dem ich schon 43 Jahre zusammen bin, hat mich oft gefragt, weshalb wir in der Familie nicht einfach über alles gesprochen haben. Ich konnte es ihm nicht beantworten. Umso offener spreche ich dafür heute meine Meinung aus, zum Beispiel, wenn es um politische Belange geht, um Ungerechtigkeiten oder darum, dass Menschen gleichgeschaltet und Dinge nicht kritisch hinterfragt werden.

Mein Vater Aron kam ursprünglich aus der Ukraine und meine Mutter aus Polen, aus einem Dorf in der Nähe von Łódz. Im Zweiten Weltkrieg war sie in einem Konzentrationslager interniert, in welchem, weiß ich leider nicht. Aber ich weiß, dass sie dort in der KZ-Bäckerei gearbeitet hat, was ihr vermutlich das Leben rettete. Mein Vater hielt sich mit seinem Bruder in den Wäldern versteckt, er war Partisan. Als ich geboren wurde, war er nicht mehr jung, aber er war ein gütiger Mann.

Glas kann transparent sein und fragil, aber auch die Anmutung von Stahl haben.

Wenn ich gefragt werde, wie wir es zu Hause mit der Religion hielten, würde ich sagen: gemischt. Meine Mutter stammte aus einer konservativen jüdischen Familie, in ihrem Elternhaus wurde Jiddisch gesprochen. Sie war sehr religiös, aß koscher und ging am Schabbat in die Synagoge, hielt alle Feiertage ein und fastete vor Purim, vor Pessach, an Jom Kippur und Tischa beAw.

Mein Vater hat alles boykottiert, was mit Religion zu tun hatte. Ich war irgendwo dazwischen. Mal schloss ich mich meiner Mutter an und ging mit in die Synagoge, bei anderen Gelegenheiten hielt ich mich raus. Meine Beziehung zu beiden Eltern war gut, allerdings fand ich keine emotionale Ebene zu ihnen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war meine Mutter eine Weile in einem DP-Camp in Berlin, bevor es nach Israel ging. Dass mein großer Bruder einen anderen Vater hat, habe ich viel später, aber nie offiziell erfahren. Bei der Beerdigung meines Vaters sagte der Rabbi, der älteste Sohn möge hervortreten, um das Kaddisch zu sprechen, also trat ich hervor und sagte: Wir sprechen das Gebet zusammen. Da wusste mein Bruder, dass ich es wusste.

Wenn ich mich als Kind beschreiben müsste, dann würde ich sagen, ich war ein Träumer. Meine Grundschullehrerin nahm mich einmal beiseite und sagte: Aus dir wird mal ein Künstler. Sie sorgte dafür, dass ich einen Kurs für kunstbegabte Kinder am Tel Aviv Museum besuchen durfte, da war ich zwölf Jahre alt. Damit war mein Weg vorgezeichnet.

Ich hatte ein Stillleben mit einer Vase und Blumen gemalt

Zuvor hatte es ein unschönes Erlebnis gegeben: Wir hatten die Hausaufgabe, ein Bild unserer Wahl zu malen, und als ich es abgab, fragte mein Lehrer: Warum lügst du mich an, das Bild kann unmöglich von dir sein, wer hat es gemalt? Ich war ungefähr acht Jahre alt, und seine Reaktion hat mich damals tief getroffen. Ich hatte ein Stillleben mit einer Vase und Blumen gemalt, inspiriert von einem Gemälde, das bei uns zu Hause im Wohnzimmer hing. Erst später dämmerte es mir, dass er es möglicherweise für zu gut hielt.

1979, als ich 24 Jahre alt war, verließ ich Tel Aviv nach nur einem Jahr des Kunststudiums an der Klisher Art School. Damals war Tel Aviv nicht zu vergleichen mit heute, es war provinziell und heruntergekommen. Mein Ziel war, in Amsterdam Kunst zu studieren. Das erste Mal, als ich mich an der Rijksakademie van beeldende kunsten bewarb, wurde ich abgelehnt. Also drehte ich ein Jahr lang eine Ehrenrunde und nahm in Tel Aviv nahezu jeden Job an, um Geld zu verdienen. Ich reinigte Büros, und am Abend besuchte ich Kurse in Kunst und Niederländisch.

Ein Jahr später wurde ich zu einem Vorstellungsgespräch nach Amsterdam eingeladen, und als ich dort ankam, stellte sich heraus, dass mein Holländisch zu schlecht war und die Komitee-Mitglieder kein Englisch sprachen, also kommunizierten wir mit Händen und Füßen. Sie wollten wissen, was ich mache, wenn ich erneut abgelehnt würde. Ich sagte: Dann bewerbe ich mich wieder. Schließlich erhielt ich den lang ersehnten Studienplatz und begann mit Malerei. Später auch mit Film.

Mein Umzug nach Amsterdam war in jeder Hinsicht eine Befreiung für mich, in kurzer Zeit lernte ich viele neue Leute kennen, auch meinen späteren Mann Boris. Er ist sehr engagiert, war Rechtsanwalt und später Richter, ist Menschenrechtler und LGBT-Aktivist. Als demokratischer Abgeordneter im niederländischen Parlament war er einer der Initiatoren der gleichgeschlechtlichen Ehe. Als er Direktor von Human Rights Watch war, lebten wir zwischendurch sechs Jahre lang in New York. In den USA bin ich aber nie heimisch geworden, selbst in kreativen Kreisen scheint sich alles ums Geld zu drehen.

Im Wesentlichen interessierte mich der Umgang mit dem Material, wenn es in eine Form gegossen wird

Zum Werkstoff Glas bin ich durch Zufall gekommen, auf einer unserer Reisen durch die USA besuchten wir ein Glasmuseum, und ich war augenblicklich von dem Material begeistert. Zurück in Amsterdam, schenkte mir mein Mann einen Workshop für Glaskunst. Im Wesentlichen interessierte mich der Umgang mit dem Material, wenn es in eine Form gegossen wird, so arbeite ich noch heute. Meine Technik habe ich im Lauf der Jahre perfektioniert.

Berlin, wo ich seit 2007 einen Zweitwohnsitz mit Atelier habe, lernte ich bereits als junger Mann kennen.

Berlin, wo ich seit 2007 einen Zweitwohnsitz mit Atelier habe, lernte ich bereits als junger Mann kennen, mein Onkel Isak Levin lebte hier, der Bruder meiner Mutter. Er hatte nach der Schoa einen Handel mit Antiquitäten aufgebaut, er stattete meine Eltern aus, bevor sie nach Israel gingen. Einige dieser Gegenstände habe ich noch heute. Unter anderem eine silberne Menora, die ich in Ehren halte.

Später hatte Onkel Isak ein Geschäft für Schmuck am Ku’damm. Bei ihm zu sein, fühlte sich an, wie auf einer Insel zu leben. Er ließ mich im KaDeWe einkleiden, aber zurück in Tel Aviv, konnte ich diese Sachen gar nicht tragen. Damals besuchten wir jeden Tag ein anderes Museum. Auch den Osten Berlins haben wir besucht. Als mir bei einem Essen im Hotel Europa meine Kette mit dem Magen David aus dem Pullover herausrutschte, haben mich alle angestarrt.

Warum ich heute dreidimensional arbeite? Als Kind habe ich stundenlang Kartenhäuser gebaut und meine Eltern damit regelrecht verrückt gemacht. Irgendwann habe ich die Karten zusammengeklebt, meine Eltern schenkten mir schließlich neue. Meine Skulpturen haben etwas davon. Etwas fällt zusammen, ich baue auf.

In meinem ganzen Wesen bin ich nach vorne gerichtet, immer gehe ich davon aus, etwas Neues zu erschaffen. So wie das Zimmer, in dem ich in Amsterdam während des Studiums lebte, ich baute Wohnräume aus Holz auf einer Ruine aus Stein. Darin ließ es sich leben.

Einmal fragte mich meine Mutter, ob ich eine Familie gründen würde, ich antwortete ihr, dass ich Männer mag. Sie hat nur kurz innegehalten und dann gesagt: Hauptsache, du bist glücklich. Heute kann ich sagen: Das bin ich.

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