Kultus

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Drei sind gut, dreißig wären besser: Im August wurden die Rabbiner Shlomo Afanasev, Jakov Eber und Moshe Baumel (v.l.n.r.) ordiniert. Dennoch mangelt es vielen Gemeinden an der notwendigen religiösen Betreuung. Foto: getty

Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland braucht mehr Rabbiner. Das ist eine zwischen Rhein und Oder immer wieder erhobene Forderung. Zu Recht: Gegenwärtig sind in den 107 jüdischen Gemeinden der Bundesrepublik kaum mehr als 40 Rabbiner tätig. Die Folge: In zahlreichen Orten mangelt es an der notwendigen religiösen Betreuung. Wenn der Schabbatgottesdienst nur einmal im Monat von einem Rabbiner – der auch für drei weitere Gemeinden zuständig ist – geleitet werden kann, dann ist das für beide Seiten frustrierend. Auch Religionsunterricht und die Vermittlung jüdischen Wissens an Erwachsene werden in Mitleidenschaft gezogen. Großgemeinden wiederum brauchen oft mehr als nur einen Rabbiner.

Mit Sicherheit tut eine erhebliche Steigerung der Zahl der in Deutschland tätigen Rabbiner dringend not und gehört zu den wichtigsten Zielen, denen sich die Gemeinden und Landesverbände widmen müssen. Auch für den Zentralrat der Juden in Deutschland besitzt dieses Anliegen seit Langem eine besondere Priorität. Indessen sind Rabbiner keine Massenware, die sich durch Einlegen einer Nachtschicht in beliebiger Quantität produzieren lässt. Daher verlangt die Lösung dieses Problems einen strategischen Ansatz und langfristigen Plan.

Migration Als vor 20 Jahren die jüdische Zuwanderung aus der damals noch existierenden Sowjetunion nach Deutschland begann, setzte sich die jüdische Gemeinschaft in der größer gewordenen Bundesrepublik mit Nachdruck für eine dauerhafte Sicherung dieser Migration ein. Die große Zahl der neuen Gemeindemitglieder legte die Grundlage für einen bis dahin für unmöglich gehaltenen Aufschwung jüdischen Lebens in Deutschland.

Allerdings war dies eine durch die politische Umwälzung in Osteuropa bedingte, demografische Revolution. Und Revolutionen treffen die Gesellschaft in der Regel unvorbereitet. Das war auch bei der alteingesessenen jüdischen Gemeinschaft hierzulande der Fall. Jahrzehntelang hatten sich die Juden als eine Bevölkerungsgruppe »in Liquidation« verstanden. Mit der kleinen Schar erfahrener, zumeist älterer Rabbiner glaubten die Gemeinden, auskommen zu können. Für ausgebildeten Nachwuchs zu sorgen, schien aus damaliger Sicht eine eher überflüssige Aufgabe.

Dennoch: Als die Zuwanderung Rekorde schlug, von denen niemand zu träumen gewagt hatte, als sich immer mehr ex-sowjetische Juden entschlossen, Deutschland zu ihrer neuen Heimat zu machen – reagierte die jüdische Gemeinschaft schnell. Tatsache ist, dass sich die Zahl der in den Gemeinden amtierenden Rabbiner bis heute auf mehr als 40 verdreifacht hat. Freilich: Dass das Verhältnis zwischen der Zahl der Rabbiner und der der Gemeindemitglieder damit einigermaßen gewahrt wurde, ist kein wirklicher Trost. Eine Gemeinschaft, die für die Zukunft plant und daher einer angemessenen religiösen Führung bedarf, braucht weitaus mehr rabbinische Unterstützung. Es gilt, Menschen mit unterschiedlichem sprachlichen Hintergrund und vielfältigen Lebensläufen zu betreuen.

Identität Dabei hat auch unter den Zuwanderern jede Generation ihre eigenen Bedürfnisse. Was für viele Ältere eine Rückkehr zu in der Sowjetunion unterdrückten geistigen Wurzeln bedeutet, ist für manche jüngere Erwachsene die Suche nach einer Tradition, die sie selbst im »real existierenden Sozialismus« nicht mehr erleben konnten, wobei man auch innerhalb einer Generation nicht alle über einen Kamm scheren sollte.

Die alteingesessenen Gemeindemitglieder wiederum haben Anspruch darauf, das religiöse Leben, das sie gewohnt sind, fortzuführen. Schließlich gilt es, die in Deutschland geborenen oder in ihren prägenden Jahren hier aufgewachsenen Jugendlichen und Kinder eng an die jüdische Religion und Tradition zu binden und ihnen jüdische Identität zu vermitteln. Wenn man so will, sind die Bedürfnisse der Gemeinden nicht linear, sondern eher exponentiell gestiegen.

Um den durch die Zuwanderung ausgelösten Bedarf möglichst schnell zu decken, stellten Gemeinden häufig Rabbiner aus dem Ausland ein. Viele von ihnen haben einen nicht hoch genug einzuschätzenden Beitrag zur Festigung jüdischen Lebens in Deutschland geleistet und sind ein nicht wegzudenkender Teil der Gemeinden. Ihnen schulden wir Dank. Indessen war die »rabbinische Zuwanderung« angesichts des besonderen Anforderungsprofils, dem sich die Rabbiner in Deutschland gegenübersehen, nicht in allen Fällen erfolgreich.

Wanderrabbiner Eine dauerhafte Bewältigung der großen Herausforderung muss hauptsächlich von innen kommen. Rabbiner, die nicht nur über die erforderlichen Kenntnisse des Judentums verfügen, sondern selbst auch in der komplexen Realität der hiesigen Gemeinden aufgewachsen sind, haben einfach bessere Chancen, der besonderen Kombination rabbinischer Aufgaben, die in Deutschland vorliegt, gerecht zu werden. Das ist in keiner Weise als eine Absage an Gemeindebetreuer aus Israel, den USA oder dem europäischen Ausland gemeint: Niemand, erst recht nicht eine so heterogene Gemeinschaft wie wir es sind, wird Rabbiner nach Herkunftsland oder Staatsangehörigkeit beurteilen. Auch künftig sind Rabbiner und Rabbinerinnen aus allen Ecken der jüdischen Welt willkommen. Vom Zentralrat finanzierte Programme wie das für »Wanderrabbiner« oder das SchatzMatz-Programm der Allgemeinen Rabbinerkonferenz sichern eine Art Notversorgung, sind aber nur eine Übergangslösung.

Daher bleibt die einheimische Rabbinerausbildung der Kernpunkt unserer Zukunftsstrategie. Bemühungen zur Schaffung entsprechender Einrichtungen liefen relativ schnell an, nachdem das ganze Ausmaß der Zuwanderung deutlich geworden war. Allerdings war die Konzipierung, Planung und Realisierung dieses Ansinnens kein einfacher Prozess. Auch dauert die Ausbildung ihre Zeit.

Im September 2006 war es endlich so weit: Zum ersten Mal nach der Schoa wurden in Deutschland Rabbiner ordiniert – drei Absolventen des liberalen Berliner Abraham-Geiger-Kollegs. Seitdem fanden zwei weitere Rabbinerordinationen in der Bundesrepublik statt: Im Jahre 2009 und im August 2010 erhielten jeweils zwei Studenten des ebenfalls in Berlin beheimateten, orthodoxen Hildesheimerschen Rabbinerseminars ihre Urkunden. Beide Einrichtungen werden vom Zentralrat mit erheblichen Mitteln gefördert. Das ist auch bei der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg der Fall, die im Bereich wissenschaftlicher Bildung künftiger Rabbiner tätig ist. Zudem erhalten Rabbinatskandidaten Studienstipendien des Zentralrats.

Potenzial Von den sieben bisher ordinierten Rabbinern haben sich fünf entschlossen, in jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik tätig zu sein. In den kommenden Jahren wird die Zahl der ordinierten Absolventen der beiden Ausbildungsstätten steigen. An Potenzial fehlt es nicht: Viele junge Juden in Deutschland verfügen über eine fundierte Wissensgrundlage, die ihnen ein erfolgreiches Rabbinatsstudium ermöglicht. Es ist zu hoffen, dass sich ein Teil von ihnen für den Beruf und die Berufung des Rabbiners entscheiden wird. Dadurch wäre es möglich, die Zahl der Gemeinderabbiner zu steigern, aber auch, diejenigen unter den heutigen Amtsinhabern, die im Laufe des kommenden Jahrzehnts in Pension gehen werden, durch einheimischen Nachwuchs zu ersetzen.

Natürlich wird die jüdische Gemeinschaft auch für angemessene Finanzierung sorgen müssen, damit der grundsätzlich bestehende Bedarf in neue Rabbinerstellen umgesetzt werden kann. Das wird keine einfache Aufgabe sein; bekanntlich ist die finanzielle Lage vieler Gemeinden angesichts gestiegener Ausgaben bei gleichzeitig niedrigem Kultussteueraufkommen nicht gerade glänzend. Dennoch gilt, dass die rabbinische Betreuung für Gemeinden die höchste Priorität haben muss. In vielen ist das bereits der Fall, in anderen hat sich der erforderliche Bewusstseinswandel noch nicht in ausreichendem Maße vollzogen. Hoffentlich wird sich das bald ändern.

In jedem Fall müssen alle Beteiligten eine neue, gut überlegte Strategie entwi- ckeln. Dass die Lösung, wie auch immer sie aussehen mag, perfekt sein wird, kann niemand versprechen. Allerdings dürfen wir nichts unversucht lassen, um eine solche Lösung – vielleicht in der Form einer Vielzahl von Einzelfalllösungen – zu finden. Ohne angemessene rabbinische Betreuung werden die so mühsam aufgebauten Gemeinden irreparablen Schaden nehmen.

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