Buch

Marginalisiert und stigmatisiert

Ein muslimischer Beitrag aus der neuesten Veröffentlichung des Zentralratsprojekts »Schalom Aleikum«

von Misbah Arshad  28.06.2021 14:54 Uhr

Für sie sei es langer Weg gewesen, Muslimasein und Deutschsein als eine Selbstverständlichkeit für sich anzunehmen: Misbah Arshad Foto: Piero Chiussi

Ein muslimischer Beitrag aus der neuesten Veröffentlichung des Zentralratsprojekts »Schalom Aleikum«

von Misbah Arshad  28.06.2021 14:54 Uhr

»Misbah« bedeutet im Arabischen »Leuchte«, und dieser Begriff taucht im Koran in einem Gleichnis auf, wo Gottes Licht von einer Leuchte getragen wird, die in einer Nische steht. Beflügelt von dieser sehr mystischen Namensbedeutung, bereitete es mir bereits in jungen Jahren großes Vergnügen, mein Wissen und meine Erfahrung an andere weiterzugeben. Der Plan war, Lehrerin zu werden, aber die Debatten um das Thema Kopftuch schreckten mich ab, und ich entschied, mich beruflich breiter aufzustellen. Ich studierte Religionswissenschaften und Pädagogik und ließ mich zudem als Seelsorgerin und Anti-Bias-Trainerin ausbilden. Alles Entscheidungen, die mir dazu verhalfen, mich beruflich interdisziplinär in ganz unterschiedlichen Handlungsfeldern zu bewegen.

So kam ich mit Einrichtungen von der Kita bis zum Knast – und allem, was dazwischenliegt – schon in Berührung. Entweder um von Diskriminierung und Ausgrenzung Betroffene zu begleiten und in ihrer kulturell-religiösen Identität zu stärken oder um Multiplikatorinnen im Kontext einer wertvollen Kinder- und Jugendbildungsarbeit rund um die Themen Religion, Diskriminierung und Extremismus fortzubilden.

Das Maimonides Bildungswerk ist aus einer Initiative aus Mainz entstanden.

Aktuell bin ich als Pädagogische Leitung im »Maimonides jüdisch-muslimisches Bildungswerk« tätig, das 2019 mit Sitz in Ingelheim am Rhein gegründet wurde. Das Bildungswerk geht auf eine jüdisch-muslimische Initiative aus Mainz zurück und wird von dem Willen getragen, das Zusammenleben und die Zusammenarbeit von Jüdinnen*Juden und Muslim*innen in der Bundesrepublik zu fördern und die Gesellschaft für die Prävention von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit zu sensibilisieren. Wir als Initiatorinnen sind der festen Überzeugung, dass sich so unterschiedliche (Religions-)Kulturen in Deutschland besser verwurzeln lassen und diese Gesellschaft bereichern werden.

Bildungsarbeit Um dieses Vorhaben zu realisieren und eine nachhaltige Bildungsarbeit anzubieten, haben wir im Bildungswerk im Rahmen des Bundesprogramms »Demokratie leben!« das Modellprojekt »Couragiert! Gemeinsam gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit« entwickelt. Ziel des Projektes ist es, haupt- und ehrenamtliche Fachkräfte und Multiplikator*innen für eine salutogenetische und prozessorientierte Projektarbeit mit Kindern und Jugendlichen im Rhein-Main-Gebiet zu qualifizieren.

Fachkräfte sollen gegen Antisemitismus und Islamophobie qualifiziert werden.

Der Schwerpunkt der Qualifizierung ist die Sensibilisierung für Antisemitismus und Islamfeindlichkeit. Dabei geht es nicht nur um die Vermittlung theoretischen Wissens, sondern ebenso um die Arbeit an den eigenen Einstellungen sowie das Training einer spezifischen Wahrnehmungs- und Handlungskompetenz.

Wenn es um die Frage nach der Begegnung von Jüdinnen*Juden und Muslim*innen geht, ist die Auseinandersetzung mit jüdisch-muslimischen Verflechtungen in Geschichte und Gegenwart von besonderer Bedeutung. Dabei finde ich die (unerzählten) Geschichten, die von fruchtbaren jüdisch-muslimischen Beziehungen berichten, besonders spannend, da sie uns als Modell für die Gegenwart dienen und für die Bildungsarbeit nutzbar gemacht werden können.

Maimonides So ist der Name »Maimonides« nicht zufällig gewählt: Moses Maimonides (1135/38–1204), der im Hebräischen »Mosche ben Maimon« und im Arabischen »Musa bin Maimun« genannt wurde, dient uns als historisches Modell für eine erfolgreiche jüdisch-muslimische Zusammenarbeit. Als bedeutender Rabbiner, Philosoph und Arzt spielte er eine maßgebliche Rolle. Geboren im andalusischen Córdoba und gestorben in Fustat (heutiges Kairo), befand er sich zeit seines Lebens in muslimischer Gesellschaft und lernte unter anderem von der muslimischen Gelehrsamkeit. Als historische Persönlichkeit war er beispielhaft für die mögliche fruchtbare Verbindung von Jüdinnen und Juden und Musliminnen und Muslimen und versuchte in seinen philosophischen Schriften, die zugleich praktisches Handeln anleiten sollten, Religion und Rationalität, Glaube und Wissen zu verbinden. Er entwickelte dabei eine Ethik, die sich an der Mitte als idealer Position orientiert.

Wege Genau das möchten wir auch finden – einen Weg zwischen den Extremen aus Abschottung und Assimilation, damit jüdische und muslimische Religionskulturen gesunde Wurzeln in die Gesellschaft schlagen können. So weiß ich aus eigener Erfahrung, wie schwierig es für eine junge Heranwachsende sein kann, die einer marginalisierten und stigmatisierten Community angehört, ihren Platz in dieser Gesellschaft zu finden. Es war ein langer Weg dahin, dass ich Muslimasein und Deutschsein als eine Selbstverständlichkeit für mich annehmen konnte. Und ich weiß, dass ich damit nicht allein bin. Vielen Muslim*innen, vielen Jüd*innen fällt es schwer, diese beiden Ebenen zusammenzubringen. Mein Anliegen ist es, bei jungen Erwachsenen etwas zu bewirken, was ich in meiner Jugend vermisst habe: ein Beheimatungsgefühl in Deutschland. Das ist für mich von zentraler Bedeutung, denn wenn ich mich schon nicht selbst zu diesem Land dazugehörig denke oder fühle, dann ist es für andere umso leichter, mich auszugrenzen und zu diskriminieren. Das ist auch der Grund, warum ich mich gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit einsetze, weil beide Phänomene das Gefühl des Dazugehörens erheblich erschweren – wenn nicht sogar verhindern.

Verständnis durch Toleranz, Respekt und Vielfalt entwickeln.

Durch meine Arbeit im jüdisch-muslimischen Bildungswerk möchte ich dazu beitragen, ein neues Verständnis füreinander zu erzeugen, um durch Begegnungen und Wissensvermittlung Vorbehalte und Vorurteile sowohl auf muslimischer als auch auf jüdischer Seite abzubauen. Das hat auch positive Auswirkungen auf die Mehrheitsgesellschaft. Denn nur so kann ein tolerantes und respektvolles Miteinander in der Multikulturalität und Multireligiosität der Bundesrepublik Deutschland gelingen. Aus diesem Grund setze ich mich für ein solidarisches Miteinander über die Religionsgrenzen hinweg ein.

Die Autorin ist pädagogische Leiterin bei »Couragiert! Gemeinsam gegen Anti­semitismus und Islamfeindlichkeit«.
Schalom Aleikum Buchreihe, Band IV: »Goodbye Hate! Bildungsakteurinnen und -akteure gegen Antisemtismus«, Hentrich & Hentrich Verlag Berlin Leipzig, 2021

München

»Das Gemeinsame betonen«

Die 38. Jüdischen Kulturtage zeigten ein vielfältiges Programm

von Luis Gruhler  15.01.2025

Berlin

»Wir sind bitter enttäuscht«

Nach den höchst umstrittenen Wahlen in der Jüdischen Gemeinde zogen die Kritiker nun vor Gericht. Doch das fühlt sich nicht zuständig – und weist die Klage ab

von Mascha Malburg  15.01.2025

Forschung

Vom »Wandergeist« einer Sprache

Die Wissenschaftlerinnen Efrat Gal-Ed und Daria Vakhrushova stellten in München eine zehnbändige Jiddistik-Reihe vor

von Helen Richter  14.01.2025

Nachruf

Trauer um Liam Rickertsen

Der langjährige Vorsitzende von »Sukkat Schalom« erlag seinem Krebsleiden. Er war ein bescheidener, leiser und detailverliebter Mensch

von Christine Schmitt  14.01.2025

Porträt der Woche

Keine Kompromisse

Rainer R. Mueller lebt für die Lyrik – erst spät erfuhr er von seiner jüdischen Herkunft

von Matthias Messmer  12.01.2025

Familien-Schabbat

Für den Zusammenhalt

In den Synagogen der Stadt können Kinder und Eltern gemeinsam feiern. Unterstützung bekommen sie nun von Madrichim aus dem Jugendzentrum »Olam«

von Christine Schmitt  12.01.2025

Köln

Jüdischer Karnevalsverein freut sich über großen Zulauf

In der vergangenen Session traten 50 Neumitglieder dem 2017 gegründeten Karnevalsverein bei

 11.01.2025

Vorsätze

Alles neu macht der Januar

Vier Wochen Verzicht auf Fleisch, Alkohol und Süßes? Oder alles wie immer? Wir haben Jüdinnen und Juden gefragt, wie sie ihr Jahr begonnen haben und ob sie auf etwas verzichten

von Brigitte Jähnigen, Christine Schmitt, Katrin Richter  09.01.2025

Würdigung

»Vom Engagement erzählen«

Am 10. Januar laden Bundespräsident Steinmeier und seine Frau zum Neujahrsempfang. Auch die JSUD-Inklusionsbeauftragte Jana Kelerman ist dabei

von Katrin Richter  09.01.2025