Fußball oder Tanzen? Macho oder Familienvater? Religiös oder säkular? Wer sind sie, die Männer? Und müssen sie das eine oder das andere sein – geht nicht auch beides?
Um zu erkunden, welche Geschlechterbilder jüdischen und muslimischen Männern zugeschrieben werden und um neue Konzepte von Männlichkeit zu debattieren, kamen am vergangenen Donnerstagabend der Autor Fikri Anıl Altıntas, der Rabbiner Jehoschua Ahrens und der Professor für Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft, Michael Tunc, zur Online-Debatte »ModernEr – Jüdische und muslimische Perspektiven auf Männlichkeit« des jüdisch-muslimischen Dialogprojekts des Zentralrats der Juden »Schalom Aleikum« zusammen. Shelly Kupferberg moderierte.
Trafen sich im August 2019 jüdische und muslimische Frauen bei »Schalom Aleikum«, standen nun also die Rollenverständnisse von Männern zur Debatte.
ELTERNZEIT Aber wer ist er, der moderne Mann? Für Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden, ist die Antwort klar: Er ist jemand, »der die Entwicklungen der heutigen Zeit als für sich persönlich vorteilhaft betrachtet«, jemand, der »ganz selbstverständlich Elternzeit« nehmen, »voller Stolz seine Kinder wickeln« kann, »auf Augenhöhe mit der Partnerin und dem Partner agiert« und sich von alten Rollenbildern aus eigenem Antrieb verabschiedet und nicht, weil die Gesellschaft es vorgibt.
»Die innere Überzeugung macht mehr den modernen Mann aus als nur das Handeln.« Und doch: Die Elternzeit-Quote stieg zwar laut Mikrozensus des Statistischen Bundesamts von 2009 bis 2019 um gut ein Drittel an – nämlich von 9,1 auf 12,6 Prozent –, aber der Anteil der Väter, die in Elternzeit gingen, lag im Jahr 2019 nur bei 1,6 Prozent.
Fikri Anıl Altıntas
»Wir sind nicht so, wie ihr denkt, wie wir sind.«
Könnte das vielleicht auch an der Art liegen, wie die Kampagnen geführt werden? Michael Tunc kritisierte, dass das öffentliche Bild in großen Kampagnen für Carearbeit, wie zum Beispiel die für die Elternzeit, von weißen Mittelschichtsmännern geprägt sei. »Da kommen keine Schwarzen vor, keine erkennbar muslimischen oder jüdischen« Männer.
Es sei eher ein Einheitsbild von engagierten Männern. »Dort bewusst Muslime zu zeigen, die das tun«, oder auch Juden, die in der fürsorglichen Väterrolle zu sehen seien, das fehle. Viele Männer verstünden sich heute als traditionell-modern, aber im öffentlichen Bild bleibe allein das Traditionelle übrig.
JUDENTUM Die Wahrnehmung von Rollenverteilungen sei auch im Judentum eine Debatte. Jehoshua Ahrens ging auf das scheinbar sehr traditionelle Rollenbild von Männer und Frauen ein und betonte den Unterschied zwischen den jüdischen Gemeinden und den religiösen Aspekt. Denn der Annahme »starker Mann, schwache Frau« würden in der Tora auch schwache Männer und starke Frauen gegenüberstehen.
»Auch wenn es vielleicht im religiösen Judentum verschiedene Rollen gibt, bedeutet es nicht per se, die eine wäre wichtiger, die andere unwichtiger.« In den Synagogen würden allerdings Themen wie neue Männlichkeitskonzepte eher nicht so oft diskutiert. Es gebe »nicht so die jüdische Männlichkeit und die jüdische Sozia-lisation von jüdischen Männern hier in Deutschland«, aber es gebe im Bereich der Stereotype Bilder von jüdischen Männern: Alle seien religiös, ultraorthodox, und die Männer beherrschten Frauen patriarchal.
»Wer meine Frau kennt, der weiß, dass sie kein Heimchen ist.«
Rabbiner Jehoschua Ahrens
TV-Serien wie Unorthodox täten ihr übriges, um gewisse Stereotype mindestens zu pflegen. Ahrens nannte seine Frau als Gegenbeispiel: »Wer meine Frau kennt, der weiß, dass sie kein Heimchen ist. Sie hat einen Masterabschluss, sie ist sehr gebildet.« Sie arbeite und habe auch während der Ausbildung ihres Mannes gearbeitet. »Ich war der, der studiert hat und auf ihr Geld angewiesen war.« Zu Hause sei es klassischerweise die Frau, die entscheide. Jüdisch-orthodox und emanzipiert zu sein, das schließe sich nicht mehr aus.
NORM Der freie Autor Fikri Anıl Altıntas hat seinen Schwerpunkt auf marginalisierte Männlichkeiten gelegt. Um zu verdeutlichen, was genau das heißt, nannte er den CDU-Politiker Friedrich Merz als Beispiel. Dieser repräsentiere eine gewisse Vorstellung von Männlichkeit, »die versucht wird, nachzuahmen«.
Diese Norm würde zum Beispiel von Altıntas, betonte er, nicht unbedingt erreicht werden, »weil ich muslimisch gelesen werde, türkisch gelesen werde, weil ich wahrscheinlich auch nie so viel Geld haben werde wie Friedrich Merz«. Altıntas’ These: Es gibt so viele Entwürfe von Männlichkeiten, wie es Menschen gibt, die sich als männlich definieren.
»Der moderne Mann ist jemand, der auf Augenhöhe mit der Partnerin und dem Partner agiert.«
Zentralratsgeschäftsführer Daniel Botmann
Vor allem sei Bewusstwerdung ein wichtiger Schritt zur Auslegung von Männlichkeiten. Bereits früh gelernte Verhaltensmuster zu reflektieren, sich selbst zu hinterfragen und sich gegenseitig zu helfen, darum ging es dem heutigen Professor Michael Tunc schon als Student in einer Männergruppe. Bereits von frühester Kindheit an werden Mädchen und auch Jungen mit Strukturen konfrontiert, die sich später in traditionelle Geschlechterrollen verfestigen.
GLEICHSTELLUNG Gelernte Muster deswegen auf die Probe zu stellen und sie an die gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen, das ist eben auch für das Bild des modernen Mannes wichtig. Gleichstellung helfe auch Männern, sich persönlich zu entwickeln und ihre Rolle bezüglich der Care-Arbeit in der Familie zu überdenken, denn – so eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung – die Pandemie hat zu einer Retraditionalisierung geführt.
Im Jahr 2019 übernahmen Frauen in circa acht Prozent der Familien alle Betreuungsarbeiten, im Frühjahr 2020 waren es circa 16 Prozent. Es gibt also viel zu tun, um theoretische Männlichkeiten mit den praktischen Bedürfnissen zu vereinen.
»Wir sind nicht so, wie ihr denkt, wie wir sind.« Der Satz von Fikri Anıl Altıntas ist vielleicht ein Anfang, um die Frage zu klären, wer er ist, der Mann, der moderne Mann – ob christlich, jüdisch, muslimisch oder säkular.