Die Geschichte meiner Familie reicht zurück bis in das Jahr 1492. Meine Vorfahren sind damals von Spanien über Italien nach Ungarn gekommen, wo sie alle bis zur Schoa gelebt haben. Das alles konnte ich nachlesen in einem Buchmanuskript meines Vaters, das leider nie veröffentlicht wurde.
So weiß ich auch, dass ich mein Leben letztlich dem schweizerischen Diplomaten Carl Lutz verdanke, der mehr als 60.000 ungarischen Juden das Leben gerettet hat, indem er für diejenigen, die nach Palästina auswandern wollten, Schutzpässe ausstellte. Dies bewahrte sie vor der Deportation nach Auschwitz, wie das auch bei meiner Mutter der Fall war.
Ich bin 1956 in Kfar Saba nordöstlich von Tel Aviv geboren. Damals hat meine Mutter in der Nähe als Ingenieurin auf einem Militärstützpunkt gearbeitet. Sie war sehr wichtig für die Armee, weshalb ihr der Kommandeur während des Sinai-Feldzugs seinen Fahrer zur Verfügung gestellt hat, damit meine Mama zwischendurch nach Hause kommen konnte, um mich zu stillen. Als ich vier Jahre alt war, sind wir nach Rischon LeZion umgezogen. Einige Jahre später besuchte ich ein technisches Elite-Gymnasium.
jom-kippur-krieg An Jom Kippur 1973 saß ich mit meiner Familie auf unserer Terrasse, als uns plötzlich Nachbarn zuriefen, dass irgendetwas los sei. Militärfahrzeuge fuhren durch die Straßen, was an Jom Kippur nicht üblich ist. Wir waren sofort davon überzeugt, dass es Krieg gibt. Mein Vater begab sich umgehend zu seiner Militärbasis, wo er als Offizier diente. Am nächsten Tag sagte man mir an unserem Gymnasium, man habe einen Hilferuf vom Militär bekommen, ob man technische Unterstützung leisten könne
Wir Schüler waren im letzten Jahr unserer Ausbildung und konnten schon drehen, fräsen und vieles mehr. Ich wurde einem Stützpunkt der israelischen Rüstungsindustrie zugeordnet. Dort mussten wir auf Teile aus den USA warten, die wir verarbeiten sollten. Die kamen aber recht spät, weil der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt den Amerikanern die Überflugrechte und die Zwischenlandung zum Tanken verweigerte. Das wurde dann auf den Azoren gemacht. Nun erst bekamen wir die Raketenwerfer, deren Montage auf Jeeps wir bereits vorbereitet hatten. Nach Abschluss der Schule habe ich dann meinen regulären dreijährigen Militärdienst geleistet.
In deutschen Medien wird über Israel nicht gelogen, es wird nur oft die Hälfte weggelassen.
Es waren private Umstände, die mich veranlasst haben, nach Deutschland zu emigrieren: Ich habe eine deutsche Frau kennengelernt. Ansonsten hätte ich keinen Anlass gehabt, hierherzukommen, weshalb meine Begegnung mit Deutschland anfangs etwas verkrampft war. Damals lebten noch viele, die mit dem Krieg zu tun hatten, und ich erinnere mich an einige belastende Begegnungen. Ein Mann hat mir erzählt, dass er in Russland einmal an Erschießungen von Juden teilgenommen hat. Dafür habe es als Vergütung zusätzliche Urlaubstage gegeben.
PREISTRÄGER An der TU Stuttgart habe ich Maschinenbau studiert. Als ich mit dem Studium fertig war, nahm ich mit 600 anderen Studenten an einem Wettbewerb für eine technische Produktentwicklung teil und erreichte den ersten Platz. Etwas später wandte ich mich an meinen Professor mit dem Wunsch zu promovieren. Doch obgleich ich Preisträger war, erklärte er, dass er »lieber Deutsche« annehme, weil Juden wegen des Holocaust ohnehin immer bevorzugt würden. Das sagte er mir unter vier Augen direkt ins Gesicht.
Daraufhin bin ich in die Produktentwicklung für die Automobilindustrie gegangen. Zu meiner Tätigkeit gehörte die Entwicklung von Autositzen, wobei ich bald Projekte mit einem Budget in zweistelliger Millionenhöhe geführt habe. Ich leitete globale Vorhaben im Bereich Verkehrssicherheit, und zwar in den USA, Mexiko, England, Frankreich, China und Korea.
Seit 2012 war ich freiberuflich als Interimsmanager in der Branche tätig, bin also überall dort eingesprungen, wo Bedarf entstand. Und seit einigen Monaten bin ich in Rente.
AKTIONSFORUM Es gab auf Facebook schon seit Längerem eine Gruppe, die sich für eine faire Berichterstattung über Israel einsetzte. Eigentlich hatte ich mich dort angemeldet, um Kontakt zu Verwandten unserer sehr umfangreichen Familie zu suchen. Nun also hatte ich diese Gruppe entdeckt, die aus über 200 Mitgliedern bestand, die Medienberichte zu Israel bewerteten. Anfangs war mir gar nicht bewusst, wie groß da die Problematiken sind.
Vieles von dem, was falsch berichtet wird, ist ja gar nicht auf Anhieb zu erkennen. Denn es wird nicht zwingend gelogen, sondern es wird die Hälfte der Information weggelassen, und so erscheint die andere Hälfte der »Wahrheit« in einem falschen Licht. Als die Administratorin die Gruppe aus Zeitgründen schließen wollte, habe ich sie übernommen und sie später in »Aktionsforum Israel« umbenannt. Bisher hatten sich die Gruppenmitglieder nur ausgetauscht.
Meine Einstellung, wenn mich etwas ärgert, ist die: Entweder will ich mich damit nicht mehr beschäftigen oder ich werde aktiv. Eines Tages gab es eine Berichterstattung in einem Morgenmagazin über eine Sitzung der UN aus New York. Das Thema war die Situation von Kindern in Kriegsgebieten. In diesem Beitrag bezog man sich auf zwei Fälle. Einmal war das die Entführung von 300 Schülerinnen durch die islamistische Terrororganisation Boko Haram in Nigeria. Dann gab es einen Schwenk, und man berichtete, dass auch in Gaza israelische Soldaten in eine UN-Schule eingedrungen seien, um da Kinder zu ermorden.
Dann kam der britische Gesandte bei der UN zu Wort, der sagte, dass »diese Kriminellen« vor Gericht gehörten und bestraft werden müssten. Ich habe sofort angefangen zu recherchieren und mir alle Protokolle der UN-Sitzung heruntergeladen. So habe ich erfahren, dass der britische Gesandte nur von Boko Haram sprach und nicht von Israel. Das aber war dem Bericht der Journalistin nicht zu entnehmen.
REDAKTION Man wusste auch damals schon, dass israelische Soldaten in eine UN-Schule eingedrungen waren, aber nicht, um Kinder zu ermorden, sondern weil sich dort Raketenrampen befanden. Davon aber hat die Autorin des Berichts nicht gesprochen. Ich habe dann in der Redaktion angerufen. Als der Chef vom Dienst erfuhr, warum ich ihn kontaktierte, weinte er beinahe. Kurz danach rief mich die Journalistin an und fragte, ob jetzt alles in Ordnung sei. Ich wusste nicht, was sie meint. Dann erklärte sie, sie habe jetzt keine Zeit, und legte einfach auf. Die Redaktion aber hat danach den Text der Online-Version entsprechend geändert. Das war zumindest ein kleiner Erfolg.
Im Jahr 2019 trat hier auf der Ruhrtriennale eine Gruppe auf, die BDS nahestand und Israel einen »faschistischen Staat« nannte.
Im Jahr 2019 trat hier auf der Ruhrtriennale eine Gruppe auf, die BDS nahestand und Israel einen »faschistischen Staat« nannte. Es gab Demonstrationen dagegen. Wir aber entwickelten eine neue Strategie und drehten den Spieß um. Wir organisierten in Bochum in einer Halle mit 800 Plätzen ein Festival mit jüdischen Künstlern, darunter auch israelische, die von BDS boykottiert werden. Die Veranstaltung nannten wir »Benefiz-Festival für Kunstfreiheit und gegen Kulturboykott«.
Wir dachten, dass Negatives negativ ankommt. Also wettern wir nicht gegen BDS, sondern treten dem mit unserer vielfältigen Kultur positiv entgegen. Das machen wir nun unter dem Schirm der »Jüdischen Kulturinitiative« seit ein paar Jahren. Die Einnahmen gehen an die Israel Trauma Coalition (ITC), die sich um traumatisierte israelische Kinder kümmert, die im Grenzgebiet zu Gaza unter Raketenbeschuss aufwachsen. Und ich erteile Online-Hebräischunterricht und spende auch diese Einnahmen gern und immer wieder an die ITC.
Auf der Plattform des Aktionsforums für Israel sind wir inzwischen etwas mehr als 2000 Mitglieder. Wir betreiben zusammen mit der »Jüdischen Kulturinitiative« zwei YouTube-Kanäle mit Filmen unserer Aktionen. Zeitlebens war ich gewohnt, strukturiert zu arbeiten und entsprechend ist auch das Aktionsforum organisiert. Diese Arbeit ist mir als Israeli wichtig. Als Jude war ich seit jeher säkular aufgestellt, obgleich ich mich in der Tora ziemlich gut auskenne.
Aufgezeichnet von Gerhard Haase-Hindenberg