Es ist ein heißer Sommertag in Erfurt. Jugendliche aus Israel und Deutschland sind zu Gast in der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen und diskutieren über jüdisches Leben. »Was macht die Landesregierung für Ihre Gemeinde? Werden Sie unterstützt? Ist es gefährlich für Juden, in Erfurt öffentlich eine Kippa zu tragen? Wie gehen Sie mit dem Erbe um, mit der Geschichte des Holocaust?«
Geduldig beantwortet Lutz Balzer von der Gemeinde die Fragen der jungen Studierenden aus Israel. Es sind jüdische, christliche und muslimische junge Menschen, die am Programm »Classmates for coexistence« teilnehmen – einem Programm, das von der Robert-Bosch-Stiftung finanziert und von einem engagierten Hamburger Kreis der »Freunde der Universität Haifa« getragen wird.
Für die wissenschaftliche Seite steht Birgit Schäbler, Lehrstuhlinhaberin für die Geschichte Westasiens/des Nahen Ostens. Die Forscherin der Universität Erfurt ist sich des Balanceaktes, eine Sommerakademie von jüdischen, muslimischen, drusischen und christlichen oder atheistischen Jugendlichen zu organisieren, bewusst. Doch genau darum geht es: Wie schaffen wir es, dass verschiedene Kulturen und Religionen friedlich miteinander und nebeneinander leben?
summer school »Die Summer School hier in Erfurt bildet den Abschluss des akademischen Jahres«, sagt sie, denn bereits seit Monaten beschäftigen sich die israelischen Jugendlichen in Gruppen miteinander, hören einander zu, lernen voneinander und diskutieren – manchmal auch kritisch innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft. Zum Beispiel debattieren sie über die Frage: Was ist rassistisch? Und wie sehen wir selbst unseren Staat Israel?
In der Neuen Synagoge Erfurt sitzen junge Männer neben den jugendlichen Frauen, manche tragen ihr Haar verhüllt. Die Männer hatte Lutz Balzer gebeten, eine Kippa aufzusetzen – aus Respekt. Es sind die kleinen Dinge, die dieses Projekt wichtig machen. So erzählt Adi, eine junge jüdische Israelin, wenig später, dass sie in einem Umfeld lebt, in dem sie normalerweise keinen Kontakt zu arabischen Menschen hat. Hier im Projekt habe sich das geändert. Die 29-Jährige schaut zu einer Kommilitonin aus Haifa. Die junge Muslimin ist zum zweiten Mal Teilnehmerin des deutsch-israelischen Projektes.
Bei ihrer ersten Teilnahme genau vor einem Jahr befand sich ihr Land mitten im Gaza-Konflikt. Das friedlich-unbeschwerte Leben der jungen Menschen wurde mit einem Schlag von den politischen Aggressionen überschattet. Die Diskussion, wer den Konflikt provoziert habe, fand auch in Erfurt statt. »Der Konflikt, den wir ständig miteinander haben, besteht nicht, weil wir so oder so religiös sind«, sagt die junge Muslimin, »sondern er ist politisch.« Sie erzählt von den Freunden ihrer Familie, von Muslimen, Christen, Drusen und Juden. »Wenn wir die anderen akzeptieren, dann haben wir auch keinen Streit!«
Gemeinsamer Aufbau Sie stamme aus einem kleinen Dorf. Im Herbst möchte sie ihr Studium in Haifa mit dem Master in Geschichte des Mittleren Ostens abschließen. Was ihr an dem Projekt gefällt? Die Studentin mit dem fliederfarbenen Kopftuch denkt kurz nach und blickt mit freundlichen dunklen Augen in den Raum. Der tiefe Riss in ihrem Land sei ihr schon bewusst, doch vielleicht könne man mehr Verantwortung übernehmen und mehr voneinander lernen, so wie im Ausstellungsprojekt, das sie alle gemeinsam für die Räume der Universitätsbibliothek vorbereitet haben: »Unbekanntes jüdisches Kunsthandwerk aus Syrien«.
»Man weiß wenig über die syrischen Juden, über die Größe der Gemeinden und über ihr Leben in Damaskus, Aleppo und anderen Orten.« Die Wissenschaftlerin Birgit Schäbler beschäftigt sich seit Langem mit dem Erbe der jüdischen Metallhandwerkskunst. Aus Syrien stammt vor allem das Tauschierhandwerk, bei dem kleine Silberfäden meist in Bronze- oder andere Gefäße eingelegt und als Ornamente eingehämmert werden. Das Handwerk war populär, seine Künstler und Händler genossen großes Ansehen, die Aufträge kamen aus ganz Syrien, von der islamischen und jüdischen Kundschaft, aber auch von Touristen.
Schätzungen gehen davon aus, dass es zu Beginn des 20. Jahrhunderts 30.000 Juden in Syrien gab. Erst nach Israels Staatsgründung 1948 seien viele von ihnen ausgewandert. Eine zweite große Auswanderungswelle hat es Anfang der 90er-Jahre gegeben. Damals sollen etwa 4000 Juden im Land gelebt haben.
Marokko Bis vor wenigen Jahren, zu Beginn des Bürgerkriegs, waren es nur noch wenige Hundert. Genaue Zahlen gibt es vermutlich nicht, wohl aber die Kunsthandwerkserzeugnisse und die Überlieferungen. Durch einen Umweg über Marokko hat zum Beispiel das Linden-Museum in Stuttgart Exponate erworben und diese jetzt der Universität Erfurt zur Verfügung gestellt. Kleine Ölgefäße sind zu sehen, Vasen, Schatullen, selbst ein filigran gearbeitetes Korankästchen. »Es sind bemerkenswerte, eigentlich unbekannte Schätze, die uns etwas über die Juden und ihr Kunsthandwerk in Syrien erzählen«, sagte eine der deutschen Studentinnen beim Vorbereiten der Schaukästen.
»Beachtlich ist«, sagt Birgit Schäbler, »dass es im uralten Basar von Damaskus eine jüdische Gasse gibt, wo genau diese Arbeiten hergestellt und verkauft wurden. Bemerkenswert ist auch, dass alle drei Religionen hier zusammengearbeitet haben.« Eine Gruppe war für die Grundgestaltung der Gefäße zuständig und die Juden zum Beispiel für das Einarbeiten der filigranen Silberfäden in die Metalle. Es entstanden Muster aus der arabischen Kalligrafie, Suren, florale Ornamente, jüdische Signets und hebräische Schriftzeichen.
»Betrachten wir die Kunst«, sagt Birgit Schäbler, »so geht es auch hier um die Koexistenz verschiedener Religionen, von Juden, Muslimen, Christen und einigen Minderheiten.« Die handwerklich begabten Juden aus Syrien sind übrigens zum größten Teil nach Amerika ausgewandert. Die USA, vor allem Brooklyn, wurden für sie zur zweiten Heimat.
Dass sich die Studierenden aus Erfurt und Haifa nun mit dem Thema beschäftigt haben, bringt ebenfalls mehr Aufmerksamkeit. Denn viele haben vor dem Projekt nichts von den Juden aus Syrien gewusst. Nun haben alle gemeinsam an einer kleinen Ausstellung gearbeitet, Informationen zu den Exponaten gesammelt, zur Kalligrafie und zur Geschichte der speziellen Kunst, die in Fachkreisen als »Mamluk-Revival« bezeichnet wird.
Chancen »Der Workshop war eine großartige Chance, darüber mehr zu lernen«, meinten nicht nur muslimische Teilnehmer. Und die Summer School? Die 29-jährige Adi aus Haifa bilanziert: »Für mich war die Zeit hier sehr intensiv. Es ist friedlich, ruhig, wenn man sich Erfurt ansieht. Ich könnte glatt hier leben. Aber würde ich das wirklich tun? Nein, mein Land ist Israel, auch wenn mir viele politische, ökonomische und soziale Dinge nicht so gut gefallen. Ich suche mir vielleicht einmal einen anderen Wohnort, aber auswandern will ich nicht. Obwohl das derzeit bei Jugendlichen populär ist, zum Beispiel nach Deutschland, etwa nach Berlin zu gehen.«
Oron, ein 29-jähriger Student der Politikwissenschaft, erzählt von Freunden, die nun in Deutschland leben, und wird nachdenklich. »Ich hadere nicht mit der Geschichte. In Haifa hatte ich auch schon einmal einen deutschen WG-Mitbewohner, ich kenne deutsche Musik und Kultur. Aber trotzdem, da ist schon etwas, das mitschwingt, auch wenn wir nun eine neue Generation sind. Dennoch, wir sollten nicht in der Vergangenheit leben und müssen uns ja auch weiterentwickeln.«
Später will er einen Job annehmen, der etwas mit internationalen Beziehungen zu tun hat. Vielleicht würde er aber auch für die Europäische Union arbeiten, und dort vielleicht sogar für Deutschland, meint Oron.