So gut wie unbekannt ist heute die Tatsache, dass Grünwald nach 1918 als das »Hollywood im Isartal« galt. Damals waren München und Berlin die wichtigsten Filmproduktionsstätten in Deutschland. Jüdische Filmpioniere vor und hinter der Kamera sowie Kinobetreiber hatten großen Anteil daran.
Die Historikerin Susanne Meinl erforschte dieses Kapitel und präsentierte vor Kurzem im Grünwalder Freizeitpark einen Text- und Bilderreigen in Sepiatönen. Die aus Galizien stammenden Kaufleute Isidor Fett und Karl Wiesel gründeten die »Münchner Lichtspielkunst«, aus der später die »Bavaria Film« werden sollte. Alfred Gugenheim spezialisierte sich mit der »Orbis-Film AG« auf Detektivfilme. 1922 entstand als zweite Produktion Das Wirtshaus im Spessart nach einer Novelle von Wilhelm Hauff. Erhalten blieb nur die Binnenerzählung »Das kalte Herz«.
Akribisch recherchierte Meinl die Schicksale vieler Protagonisten. Der Darstellerin Lisa Plaut gelang die Flucht nach Amerika. Alfred Gugenheim floh mit seiner Frau nach Frankreich, wo sie 1934 infolge eines Suizidversuchs zum Pflegefall wurde, er erlag schwerer Krankheit, da er mit falscher Identität keine ärztliche Hilfe fand. Sohn Fritz überlebte schwer traumatisiert. Der Vormarsch der Alliierten hatte seine Deportation nach Osten verhindert. Der Schauspieler Jack Mylong-Münz, eigentlich Adolf Heinrich Münz, wurde von der eigenen Ehefrau bei der Münchner Polizei als Jude denunziert. Ihm gelang noch die Flucht und in Hollywood eine bescheidene Karriere im jiddischen Film sowie in Anti-Nazi-Filmen.
Film als Propagandamittel
Bei der Ausstellungseröffnung und Präsentation des Stummfilms über den Köhler Peter Munk, der für Erfolg und Ruhm seine Menschlichkeit aufgibt und nurmehr »Das kalte Herz« aufweist, ging Meinl auch darauf ein, wie die NS-Bewegung schon früh den Film als Propagandamittel für sich entdeckte. Die Förderung dieses Projekts war für Jan Neusiedl, Erster Bürgermeister der Gemeinde Grünwald, ein Herzensanliegen. 100 Jahre zuvor hatte die Orbis-Film AG an dieser Stelle eines der modernsten Ateliergebäude Europas errichtet und den Stummfilmklassiker dieses Abends gedreht.
Wie Neusiedl in seiner Ansprache ausführte, betreibe die Gemeinde Grünwald seit geraumer Zeit mithilfe der Historikerin Susanne Meinl die Erforschung ihrer Lokalgeschichte während der NS-Zeit. Dazu gehöre auch das Gedenken an die »vielen jüdischen Protagonisten« der »damaligen sehr prosperierenden Filmindustrie in Grünwald«.
Umso mehr freute sich der Bürgermeister, Charlotte Knobloch bei dieser ausgebuchten Verantaltung zu begrüßen. Filmaffin, wie die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern ist, schlug sie schnell die Brücke zum Kern des Themas: »Das Jahr 1933 ist in der deutschen und europäischen Geschichte bis heute verankert als das Jahr, mit dem der Untergang begann.
Der Tag im Januar, an dem die Nationalsozialisten an die Macht kamen, stand am Anfang einer nie zuvor und nie wieder danach gesehenen Welle von Terror, Ausgrenzung, Unterdrückung – und schließlich Mord.« Wo in den 1920er-Jahren zu viele Menschen stumm geblieben seien, resümierte die IKG-Präsidentin, müsse man heute deutlich und laut werden. Ellen Presser