Nürnberg

Lokalpatriot

Bei der Stadtratssitzung haute Hamburger auf den Tisch und forderte eine israelische Partnerstadt für Nürnberg. Foto: Christian Rudnik

Personenschutz hat Arno Hamburger immer abgelehnt, auch wenn sehr häufig Drohbriefe erhielt. »Ich helfe mir selbst! Wer sich fürchtet, ist im Bett nicht sicher«, besteht der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg fast trotzig darauf, dass er sein Leben genauso führen kann wie jeder andere.

Der Ur-Nürnberger hat irgendwann seinen Landsmann und damaligen Innenminister Günther Beckstein angerufen und ihm gesagt: »Günther, horch, ich bin Bürger wie jeder andere auch, und es ist eure Aufgabe, uns grad so zu schützen wie sie.« Günther, mit Nachnamen Beckstein, ließ daraufhin in unregelmäßigen Abständen Streifenwagen vorbeifahren.

Stadtpolitik Stadtrat Arno Hamburger ist ein streitbarer und reger Geist. Er feiert zwar in diesen Tagen seinen 90. Geburtstag, doch immer noch sitzt er hellwach im Nürnberger Stadtrat. Der Chef der Israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg kämpft dort und an vielen anderen Fronten gegen die Nachkommen der alten Nazis und für den Staat Israel, in dem ein Teil seiner Familie lebt. Aus der Stadtpolitik ist er nicht wegzudenken, in seiner Gemeinde ist er als knorriger und mitunter durchaus autoritärer Chef unumstritten, über ihm sitzt dort nur der Allmächtige.

Aufgewachsen als einziges Kind eines Schlachtereibesitzers im Nürnberger Stadtteil St. Leonhard, war Arno Hamburger im Jahr der Machtergreifung auf das städtische Realgymnasium gewechselt. Im Juni 1933 wird er von einem Mitschüler als »Judensau« beschimpft. Er antwortet mit einem Faustschlag. Daraufhin muss er das Gymnasium verlassen und macht seinen Abschluss auf einer jüdischen Schule. Mutterseelenallein emigriert er mit 16 Jahren nach Palästina, lernt dort Hebräisch, das er bis heute mit einem unüberhörbaren fränkischen Akzent spricht.

Nach dem Krieg, in dem er bei den englischen Truppen diente, kommt er zurück in seine Vaterstadt. »Als ich 1945 die zerstörte und brennende Stadt sah, erinnerte ich mich an Streicher und all die Menschen, die 1938 schrien und unsere Synagogen verbrannten und zerstörten. Wie es den Synagogen erging, so erging es nun auch den Tätern.«

Hamburgers Eltern hatten den Holocaust überlebt, aber viele Familienmitglieder waren ermordet worden. Nächtelange Diskussionen mit seinem Vater folgen, schließlich entscheidet sich Arno Hamburger dazu, in Nürnberg zu bleiben.

Prägung für sein späteres Engagement gegen jeden noch so scheinbar kleinen Ruck nach Rechts ist seine Arbeit als Dolmetscher bei den Nürnberger Nachfolgeprozessen. »Das hat sowohl meine Psyche als auch die Physis extrem belastet. Ich hatte eine Tante, die mit 29 Jahren in den Osten verschleppt wurde, meine Großeltern waren in Sobibor, mein Onkel in Mauthausen. Wenn man dann schwarz auf weiß gesehen hat, was dort mit den Leuten passiert ist, hat man die Dinge personenbezogen betrachtet, und das war schlimm.«

Er wird 1972 als Nachfolger seines Vaters Chef der Kultusgemeinde und beobachtet die Veränderung, die sich langsam in Nürnberg vollzieht, scharf. Von der Stadt der Reichsparteitage zur Stadt der Menschenrechte, er trägt seinen Teil dazu bei. »Er ist ein absoluter Lokalpatriot«, bestätigt der Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly, der ihn als bedingungslos treuen und loyalen Freund schätzt – auch wenn dieser durchaus sehr stur sein könne.

Partnerstadt Und doch ist er stets Vermittler, gerade wenn es um die Belange seiner Heimat geht. Vor Jahren fuhr Arno Hamburger nach Israel und erklärte, dass Nürnberg genauso eine Partnerstadt haben sollte wie andere deutsche Städte. »Überall hieß es, mit allen anderen ja, mit Nürnberg – nie!« Denn die Stadt hatte als »Führers Lieblingsstadt« ein denkbar schlechtes Image.

»Ich hab’ dort im Stadtrat auf den Tisch gehauen, dass die Gläser klirrten, und gesagt, Freunde, das könnt ihr nicht machen – entweder mit keiner deutschen Stadt oder aber auch mit Nürnberg, die waren hier nicht schlechter als anderswo!« Schließlich wurde die Freundschaft mit Hadera besiegelt, und der streitbare Herr bilanziert zufrieden, dass daraus inzwischen eine wirkliche Beziehung gewachsen ist.

Und er kann richtig streng werden, seine Bundesverdienstkreuze gab er zurück, als die Israel-Kritikerin Felicia Langer damit geehrt wurde. »Ich bin ein militanter, aggressiver Jude«, hat er in einem Interview gesagt. Der Patriarch geht bis heute vorneweg, wenn es gilt, Flagge gegen Rechts zu zeigen, das ist sein Lebensthema. »Ich bin nicht der Alibi-Jude im Stadtrat, auch wenn ich einigen nicht gefalle – bei jeder Demonstration gegen die Rechten ist die IKG mit mindestens 500 Leuten dabei, so viel bringt sonst niemand auf die Beine!«

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