Eva Bustans erster Berlin-Besuch vor sechs Jahren war ein Schock: der klirrend-kalte Winter, die ruppigen Menschen auf den Straßen in ihrem Neuköllner Kiez, fast überall lag Müll. Hierhin kommst du freiwillig kein zweites Mal, schwor sich die 30-jährige Immobilienmaklerin aus Herzliya. Doch es sollte anders kommen. Denn ihr Job führte sie erneut in die Stadt. Und dieses Mal war es »nicht übel« gewesen, erinnert sich Bustan. Inzwischen war es Frühling, die Berliner waren freundlicher und die Straßen in Neukölln zwar immer noch verdreckt, aber das fiel bei der guten Stimmung nicht wirklich auf.
Der Liebe wegen kam sie im Sommer 2009 ein drittes Mal nach Berlin – und blieb. »Ich habe die Stadt nicht wiedererkannt«, sagt Bustan und lacht. »Es war fast wie Tel Aviv«. Der Mann spielt schon längst keine Rolle mehr in ihrem Leben – verliebt in die Hauptstadt ist sie nach wie vor. Seit nun schon vier Jahren lebt die Israelin in Berlin. »Ziemlich glücklich sogar«, wie sie erklärt.
überrascht Es sind Geschichten wie diese, von denen der junge Filmemacher Zachary Johnston fasziniert ist. Als der 32-jährige Amerikaner 2008 nach Berlin zog, war er überrascht, hier immer wieder Israelis zu treffen. »Ich hörte auf den Straßen oft Hebräisch und dachte mir nur: Wie kann das sein?«, erzählt der Regisseur. Angesichts der Schoa hatte er erwartet, dass Juden nie wieder deutschen Boden betreten würden.
Um mehr über die Biografien von israelischen Wahl-Berlinern zu erfahren, hat Johnston für sein neues Filmprojekt Geschichten wie die von Eva Bustan aufgespürt. Mit einem halben Dutzend Israelis in Berlin führte er ausführliche Gespräche. Diese kreisten um Beruf, Familie, Liebe, deutsche Geschichte und die Sozialproteste in Israel. Aliyah Le Berlin heißt der Film, im Moment dreht Johnston die letzten Szenen.
»Ich wollte herausfinden, warum so viele Israelis sich gerade für Berlin entscheiden«, sagt Johnston über die Idee zu seinem Film. Dafür sprach er mit einem Holocaust-Überlebenden, der in Berlin aufwuchs und kürzlich in die Stadt seiner Kindheit zurückzog; mit Künstlern und Kreativen, die sich hier ihr kleines Stück vom Glück versprechen; und mit einer jungen Familie, die ihre Kinder ganz bewusst in Berlin großzieht, und nicht in Israel. Rasch stellte er fest, dass es den einen Grund für die »Aliyah Le Berlin« nicht gibt. »Die Motive sind so vielfältig, wie die israelische Community in Berlin groß ist«, weiß der in Washington aufgewachsene Künstler.
Karriere Wie viele Israelis tatsächlich in Berlin leben, ist schwer zu sagen. Weil viele einen deutschen oder anderen EU-Pass besitzen, tauchen sie in keiner Statistik auf, offizielle Zahlen gibt es nicht. Die israelische Botschaft in Berlin schätzt, dass rund 15.000 Israelis ihren Lebensmittelpunkt in der deutschen Hauptstadt haben. Die einen ziehen wegen ihres Partners hierher, die anderen aus Karrieregründen, und wieder andere sind hier, um für eine bestimmte Zeit einmal in einem anderen Land zu leben. Dabei nicht ganz unwichtig: das teure Leben in Israel beziehungsweise das vermeintlich günstige in Berlin.
Dass die Hauptstadt inzwischen deutlich teurer geworden ist, hat die Jerusalemer Austauschstudentin Hagar Levin vor einem Jahr schmerzlich erfahren müssen. Damals sei sie vielleicht etwas blauäugig nach Berlin gekommen, sagt die 25-jährige Islamwissenschaftlerin rückblickend. Ihre Bekannten in Israel hatten ihr davon berichtet, wie günstig das Leben in Berlin im Vergleich zu anderen europäischen Hauptstädten sei. »Ein Irrtum«, wie sie schmunzelnd bekennt.
Schwierig waren für Levin auch die vielen Formulare, die man in Deutschland ausfüllen muss. Ob Mietvertrag, BVG-Umweltkarte oder ein Arbeitsplatz in der Universitätsbibliothek – »ich hatte das Gefühl, das mit den Anträgen hört nie auf«, berichtet sie. Überfordert und alleingelassen fühlt sie sich manchmal noch heute. »Ich bin mittlerweile in der Wirklichkeit angekommen«, befindet sie. Und trotzdem, nach Abschluss ihres Austauschjahres hat sie nur ein Ziel: nach Berlin zurückzukommen, hier Arbeit zu finden und dauerhaft zu bleiben.
Herausforderungen Sprache, Behördengänge und Geld: Das seien in der Tat die häufigsten Schwierigkeiten, die Israelis in Berlin zu Beginn haben, sagt Regisseur Johnston. Davon berichten ihm in seinem Film fast alle Israelis. Viele Israelis hätten ein Bild von Berlin im Kopf, als sei es das Gelobte Land. Deshalb auch der Filmtitel Aliyah Le Berlin, erklärt er beiläufig. Berlin sei aber beides: schön und anspruchsvoll zugleich.
Wenn alles gut läuft, wird Johnstons Dokumentation bereits ab Januar 2014 in Programmkinos und auf Festivals gezeigt. Sorgen bereitet dem Amerikaner mit Blick auf seinen Film nur eines: Eigentlich hatte er vor, auch Israelis zu porträtieren, die Berlin frustriert den Rücken gekehrt haben und zurück in ihre Heimat gegangen sind. Das Problem: Trotz zahlreicher Anzeigen in Zeitungen, sozialen Netzwerken und Aushängen hat Johnston bis heute keinen »Rückkehrer« gefunden.